Vermischtes

Nach Unwetterauswirkungen debattiert Politik über Katastrophen- und Klimaschutz

  • Montag, 19. Juli 2021
Ein Sanitätsfahrzeug der Bundeswehr fährt über eine überflutete Straße. /picture alliance/dpa/Marius Becker
Ein Sanitätsfahrzeug der Bundeswehr fährt über eine überflutete Straße. /picture alliance/dpa/Marius Becker

Berlin – Während sich die Lage in den Hochwassergebieten beruhigt, nimmt die politische Debatte über Folgen für Katastrophen- und Klimaschutz an Fahrt auf. So sprach sich die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, heute dafür aus, dass der Bund eine größere koordinierende Rolle bei überregiona­len Katastrophen wie Fluten oder Waldbränden bekommt. Kritik an der Effizienz des Bevölkerungsschut­zes äußerten auch die FDP und die Linke.

Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) forderte gestern im „Bild live“-Politiktalk „Die rich­tigen Fragen“ Aufklärung, ob der Katastrophenschutz ausreichend funktioniert habe. Es gehe nicht um Schuldzuweisungen.

„Der zweite Punkt ist, dass wir Klimaanpassungsmaßnahmen brauchen“, sagte Baerbock im ARD-Morgen­magazin. CSU-Chef Markus Söder forderte in der Sendung mehr Anstrengungen: „Wir brauchen schon einen Klima-Ruck in Deutschland.“

Der bayerische Ministerpräsident kündigte für übermorgen eine Regierungserklärung an. Dabei werde es nicht nur darum gehen, Ziele zu definieren, sondern das auch finanziell mit einem Klimaprogramm zu hinterlegen, sagte er. Klimaschutz sei keine ideologische Frage, sondern eine Frage der Vernunft und der Ethik. Es gehe darum, die Heimat stärker zu schützen und zu überlegen, welche Welt man Kindern und Kindeskindern übergeben wolle.

In der ARD sagte die Grünen-Kanzlerkandidatin, die Warnketten müssten verbessert werden. Zudem müssten Städte umgebaut werden und Flüssen müsse mehr Raum gegeben werden. „Das ist kein Entweder-oder zwischen Klimavorsorge, Klimaanpassung und Klimaschutz, sondern ein Dreiklang, der eigentlich in den ganzen Klimaschutzverträgen weltweit auch genauso beschlossen ist.“

Im Spiegel sagte Baerbock, es brauche im Katastrophenfall eine Instanz, die alle Kräfte bündele. „Dazu muss das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit einer Zentralstellenfunktion ausgestattet werden, wie wir sie in der Polizeiarbeit vom Bundeskriminalamt kennen.“

FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer sieht schwere Versäumnisse beim Bevölkerungsschutz: „Es bietet sich das Bild eines erheblichen Systemversagens, für das der Bundesinnenminister Seehofer un­mit­telbar die persönliche Verantwortung trägt.“ Linken-Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow brach­te sogar eine Rücktrittsforderung ins Spiel. „Seehofer trägt die politische Verantwortung für das desaströse Versagen der Bundesregierung“, sagte sie.

Die FDP-Bundestagsfraktion hat wegen der Unwetterkatastrophe eine kurzfristige Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. Dabei solle es um die Lage in den Hochwassergebieten, Abläufe der Warn- und Alarmierungsverfahren in der vergangenen Woche sowie Schlussfolgerungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und der Bundesregierung gehen. Die FDP forderte die Anwesenheit von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), des BBK-Präsidenten Armin Schuster und der Spitze des Technischen Hilfswerkes (THW).

Schuster sagte im Deutschlandfunk, derzeit sei man in der Phase „Retten, Bergen, Obdachbieten et cete­ra“. „Ich habe meinen Mitarbeitern sogar quasi untersagt, Manöverkritik zu machen. Wir helfen jetzt.“ Es brauche einen Warnmittelmix aus verschiedenen Methoden, rein digitale Warnungen seien nicht der richtige Weg. Mit einem Förderprogramm in Höhe von 90 Millionen Euro sollen gemeinsam mit den Bundesländern „an den richtigen Stellen“ wieder Sirenen installiert werden. „Die 90 Millionen werden dafür aber nicht reichen.“ Schnell werde es nicht gehen – dies sei ein Projekt für mehrere Jahre.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der nach seinem Besuch an der Steinbachtalsperre weiter nach Bad Neuenahr-Ahrweiler in Rheinland-Pfalz reiste, sagte, der Katastrophenschutz in Deutschland sei gut aufgestellt. Bund, Länder und Kommunen müssten sich aber auch gemeinsam Gedanken machen, welche Lehren aus dem Krisenmanagement zu ziehen seien. Es wäre falsch „in der Arroganz (zu) verharr­en“, dass man nichts mehr verbessern könne.

Krankenhäuser unterstützen

Der Marburger Bund forderte, die vom Hochwasser betroffenen Krankenhäuser müssten rasch wieder in­standgesetzt werden. „Die Beschäftigten in den betroffenen Kliniken brauchen eine konkrete Wiederauf­bauzusage der Politik. Die jetzt notwendig gewordenen Evakuierungen zeigen, dass wir den Schutz vor extremen Wetterereignissen stärker in den Blick nehmen müssen – nicht nur in den vom Hochwasser be­troffenen Regionen, sondern ganz generell“, erklärte Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bun­des.

Johna zufolge sind Krankenhäuser im Katastrophenfall das letzte Glied in der Rettungskette und müssen deshalb als kritische Infrastruktur besonders geschützt werden. Darauf sollten alle Verantwortlichen zu­künftig ihr Augenmerk richten.

„Unser gemeinsames Ziel muss es sein, die Versorgung der Bevölkerung mit Gesund­heitsdienstleistungen auch in Krisensituationen zu gewährleisten. Das gilt für epidemische Notlagen genauso wie für Naturka­tastrophen oder auch Cyber-Attacken auf Krankenhäuser. Das Vorsorgeprinzip muss an erster Stelle ste­hen“, sagte Johna.

Krisenszenarien müssten auch regelmäßig in den Kliniken und mit den Verantwortlichen in den Kommu­nen besprochen werden. Schon der Mangel an Schutzkleidung zu Beginn der Coronapandemie habe ge­zeigt, dass Krisenpläne zu wenig beachtet werden. „Übungen für den Fall der Fälle sind die beste Krisen­prävention. Dafür muss den Beschäftigten dann aber auch ausreichend Zeit zur Verfügung stehen“, mahn­te Johna.

Krankenkassen kündigen Entgegenkommen an

Die Ersatzkassen kündigten an, den von Evakuierungen betroffenen Krankenhäusern in den Hochwasser­regionen unkompliziert helfen zu wollen. Jörg Meyers-Middendorf, stellvertretender Vorstandsvorsit­zen­der des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), erklärte, bereits in der Vergangenheit habe man für die Kran­ken­häuser, die bei Hochwasser durch Evakuierungen betroffen waren, unkompliziert in den Budget­ver­handlungen Regelungen gefunden, die finanzielle Stabilität garantierten.

„Diese pragmatische Vorgehensweise sagen die Ersatzkassen nun auch den Krankenhäusern in den aktu­ell betroffenen Hochwassergebieten zu.“ Auch in anderen Versorgungsbereichen seien die Ersatzkassen laut Meyers-Middendorf gesprächsbereit, um pragmatische Lösungen zur Entlastung der Leistungserbrin­ger mitzuentwickeln.

„Die Bilder und Berichte der letzten Tage aus den Hochwasserregionen haben mich wie so viele andere erschüttert“, sagte die Präsidentin der Landesärztekammer Thüringen, Ellen Lundershausen. „Die Men­schen vor Ort brauchen jetzt schnelle und unbürokratische Hilfe und jeder von uns kann dazu einen Bei­trag leisten“, so Lundershausen. „Deshalb mein herzlicher Appell an die Thüringer Kolleginnen und Kolle­gen: Bitte unterstützen Sie mit einer Spende die Wiederaufbauarbeiten.“

Gestern gegen Mittag traf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in dem vom Hochwasser betroffenen Gebiet in Westdeutschland ein – gemeinsam mit der Mainzer Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und weiteren rheinland-pfälzischen Ministern. In der Eifelgemeinde Schuld, die besonders schwer von der Unwetterkatastrophe getroffen wurde, wollte sich Merkel ein Bild von der Lage machen.

„Die deutsche Sprache kennt kaum ein Wort für die Verwüstungen, die hier angerichtet wurden.“ Merkel nannte es eine „surreale, gespenstische Situation“. Deutschland sei ein starkes Land und könne sich kurz- und mittelfristige Hilfen leisten, so Merkel. „Wir stehen an Ihrer Seite.“

afp/dpa

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