Politik

Neuen Dateninfrastrukturen müssen passende Regulierungen folgen

  • Donnerstag, 4. Dezember 2025
/ipopba, stock.adobe.com
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Berlin – Bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln sollten künftig verstärkt Registerstudien zum Einsatz kommen. Das fordert der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Josef Hecken.

Insbesondere bei Studien zu Neben- und Wechselwirkungen oder langfristigen Wirkungen von Arzneimitteln läge in medizinischen Registern ein enormes Potenzial, erklärte Hecken vorgestern beim Nationalen Digital Health Symposium der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) in Berlin.

Er habe deshalb beim Bundesgesundheitsministerium (BMG) angefragt, ob es dies im Rahmen des geplanten Medizinregistergesetzes ermöglichen könnte. Das Haus habe dies jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass dies innerhalb dieses Gesetzes zu kompliziert umzusetzen sei – und damit nach seiner Auffassung eine wichtige Chance vertan.

Ähnliches gelte für den Medizinproduktesektor, ergänzte Dorothee Stamm, Vorständin beim Bundesverband Medizintechnologie (BVMed). Insbesondere bei der Entwicklung von Schrittinnovationen hätten es Medizinprodukteunternehmen hierzulande sehr schwer, da die diesbezüglichen Verfahren beim G-BA zu langwierig wären oder diese gar nicht ermöglichten. „Hier stoßen wir immer wieder an unsere Grenzen“, sagte sie.

Er habe hingegen die Hoffnung, dass die anstehende Reform der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR) und die europäische Nutzenbewertung insbesondere die Zulassungsverfahren für digitale Medizintechnikprodukte vereinfachen und beschleunigen könnten, sagte Hecken: „Hier haben wir ein Innovationshemmnis, weil wir keine echte zentralisierte Zulassung in Europa haben. Bei Arzneimitteln klappt das doch auch sehr gut.“

Auch der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Karl Broich, erwartet von der Umsetzung der europäischen Verfahren erhebliche Fortschritte für Zulassung und Nutzenbewertung. Zudem werde künftig die Koordination mit anderen EU-Ländern bei den Daten des Forschungsdatenzentrums Gesundheit (FDZ) die Datenverfügbarkeit deutlich verbessern.

Es gebe immer mehr kombinierte Produkte, bei denen man gar nicht mehr klar zwischen Arzneimittel und Medizinprodukt unterscheiden könne, sondern das klinische Setting betrachten müsse. Hier seien diese neuen Möglichkeiten entscheidend.

Allerdings fehle es weiter an europäischer Infrastruktur und Technologie. „Unser Hauptproblem sind die Rechenressourcen“, beklagte Jaqueline Lammert, Leiterin der Forschungsgruppe AI for Women's Health an der Technischen Universität München (TUM). Der Mangel an souveränen, skalierbaren Rechenressourcen behindere das Training und den produktiven Einsatz klinischer KI-Modelle.

Ihre Forschungsprojekte zu medizinischer KI seien stattdessen auf Standorte mit physischer Serverinfrastruktur angewiesen – ohne nutzbare Cloudlösungen wären Echtzeitanwendungen an kleineren Standorten deshalb meist nicht möglich. „Ich würde mir sichere Cloudsysteme wünschen, die in Europa entwickelt wurden“, sagte sie.

Es sei ein eindeutiges Marktversagen, dass Gesundheitsdaten heute in der Hand privatwirtschaftlicher Player seien und nicht der Gesellschaft, betonte Martin Gersch, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der FU Berlin.

Der Europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS) mit seinen Richtlinien und Verfahren zur sicheren Verwaltung öffentlicher Gesundheitsdaten werde helfen, „die verkrusteten deutschen Strukturen aufzubrechen“ und im Gesundheitswesen neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, „gegen die sich viele etablierte Akteure wehren werden“, sagte er. Es handele sich deshalb um einen der seltenen Fälle, in denen Regulierung Innovation vorantreiben kann.

Damit das funktioniert, müssten die Umsetzung von Geschäftsmodellen und Investitionen in Start-ups erleichtert werden, hatte zuvor auch Tino Sorge (CDU), Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), betont. Gesundheit müsse stärker als Wertschöpfungsmöglichkeit wahrgenommen werden.

Darüber, dass die Gesundheitsdateninfrastrukturen rund um FDZ und Medizinregister sowie europaweit in Form des Europäischen Gesundheitsdatenraums in Zukunft auch enorme Fortschritte in Wissenschaft sowie Forschung und Entwicklung bieten werden, herrschte hingegen Einigkeit.

Doch auch wenn es vorangeht, sei weiter Eile geboten, mahnte TMF-Geschäftsführer Sebastian C. Semler. Es werde noch eine Dekade dauern, bis europaweit alle Daten verknüpft werden könnten – so viel Zeit bleibe jedoch angesichts des wachsenden technologischen Rückstands gegenüber den USA und China gar nicht.

So müssten konkrete Fragen, wie man Daten zusammenziehe, wie Datenzugang funktioniere und wie niedrigschwellig er sei, so bald wie möglich adressiert werden. „Wir haben die Möglichkeit, mehr Wissenschaft mit hochwertigen und durchgängigen Daten zu betreiben“, erklärte Semler. Dafür brauche es jetzt Projekte und Strategien. „Von beidem könnten wir mehr.“

Dabei seien schon die jetzigen Vorhaben eng getaktet, erklärte Nilofar Badra-Azar aus dem Referat für Grundsatzfragen neue Technologien und Datennutzung im BMG. Bis 2029 sollen die meisten Datenkategorien in den EHDS eingeschlossen sein, bis 2031 alle vorgesehenen. „Das ist eine sehr toughe Zeitlinie, die wir da einhalten müssen.“

Um aus den Daten, die für Universitäten und Forschungseinrichtungen zugänglich werden, auch konkrete Innovationen in die Versorgung zu bringen, brauche es bessere Bedingungen für Transfer und Translation, forderte Rainer Röhrig, Direktor des Instituts für Medizinische Informatik der RWTH Aachen und Vorstandsvorsitzender der TMF.

Dazu brauche es neben einem „Belohnungssystem für Akademiker“ auch einen Kulturwandel an den Universitäten. So müssten dringend bestehende Vorbehalte gegen die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie abgebaut werden und ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Forschungsergebnisse auch einen praktischen Zweck in Wertschöpfung und Versorgung haben sollten. „Intellektuelle Selbstbefriedigung müssen wir nicht mit Steuergeldern bezahlen“, sagte er.

lau

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