Politik

Nordrhein-Westfalen will Zugriffsrechte auf Krankenhäuser und medizinisches Personal erweitern

  • Montag, 30. März 2020
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Düsseldorf – In einer epidemischen Lage von nationaler oder landesweiter Tragweite soll die nordrhein-westfälische Landesregierung künftig medizinisches Personal dienst­verpflichten können sowie Krankenhäuser zwingen, planbare Operationen zu verschieben und den Mitarbeitern des Öffentlichen Gesundheitsdienstes konkrete Versorgungs- und Untersuchungsstrukturen vorgeben.

Außerdem soll sie befugt werden, medizinisches Material zu beschlagnahmen. Das sieht ein Gesetzentwurf zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie vor, den das Kabinett vorgestern beschlossen hat. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur will Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) übermorgen die geplanten Maßnahmen dem Landtag vorlegen. Ziel sei es, bei einer Epidemie oder Pandemie die Handlungsfähigkeit des Gesundheitssystems kurzfristig erhöhen zu können, heißt es zur Begründung.

Im Einzelnen sieht der Gesetzentwurf vor, dass das Gesundheitsministerium im Fall einer Epidemie anordnen kann, dass die Krankenhäuser zusätzliche Behandlungskapazitäten schaffen und elektive Eingriffe verschieben.

Außerdem soll das Ministerium bestimmte Meldepflichten anweisen und Vorgaben zu medizinischen Behandlungen machen können. Die Vorgaben sollen auch für private Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen gelten. Zulässig seien diese Maßnahmen nur, wenn ansonsten die stationäre Versorgung der Bevölkerung gefährdet sei, heißt es im Gesetzentwurf.

Gegenüber dem Öffentlichen Gesundheitsdienst erweitert der Gesetzentwurf die Anordnungsbefugnisse des Gesundheitsministeriums. Es ermöglicht dem Ministerium, die im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes erforderlichen Untersuchungs- und Versorgungsstrukturen vorzugeben und die medizinischen Fachkräfte zu einer Mitwirkung zu verpflichten.

Behörden sollen medizinisches Material oder Gerät beschlagnahmen können

Wenn die Versorgungslage dies erfordert, können die zuständigen Behörden dem Gesetzentwurf zufolge medizinisches Material oder medizinische Geräte sicherstellen und Verkaufsverbote erlassen. Um angesichts von Materialknappheit Wucherpreise zu verhindern, können die Behörden für sichergestelltes oder mit einem Verkaufsverbot belegtes Material Preise festsetzen, die dem üblichen Warenwert entsprechen.

Nach dem Gesetzentwurf können Ärzte, Pflege- und Rettungskräfte künftig dienstver­pflichtet werden, wenn es die epidemische Lage erfordert. Diese Maßnahmen seien nur dann zulässig, wenn die Landesregierung zuvor einen erheblichen Mangel an medizi­nischem oder pflegerischem Personal festgestellt habe. Arbeitgeber können einem Einsatz ihres Personals nur dann widersprechen, wenn sie auf dieses zwingend angewie­sen sind, um die gesundheitliche oder pflegerische Versorgung der Bevölkerung zu sichern oder andere, in der Epidemie unverzichtbare Versorgungsstrukturen zu erhalten.

Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen müssen Mitglieder melden

Die zuständigen Behörden sollen künftig Gemeinden, Hilfsorganisationen, die Ärzte­kammern und die Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe verpflichten können, ihnen kostenfrei Namen, Alter, ärztliche Fachrichtung und Kontaktdaten ihrer aktiven oder bereits im Ruhestand befindlichen Mitglieder zu übermitteln, die geeignet sind, den für die Bewältigung der epidemischen Lage erforderlichen Personalbedarf zu decken.

SPD und Rechtswissenschaftler haben Verfassungsbedenken

Die SPD im nordrhein-westfälischen Landtag lehnt das geplante Epidemie-Gesetz der Landesregierung ab. Sie hält es in mehreren Punkten für verfassungswidrig. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty, Rechtsanwalt und ehemaliger NRW-Justizminister, sprach heute gegenüber der Deutschen Presse-Agentur von einem der „drastischsten Gesetze“, das ihm in seiner juristischen und politischen Tätigkeit begegnet sei.

Die SPD-Fraktion werde darauf bestehen, dass sich die jeweiligen Fachausschüsse noch mit dem Entwurf beschäftigen und Sachverständige angehört werden. Der Landtag könnte dann einige Tage später noch einmal zusammentreten, erklärte Kutschaty.


Die NRW-Regierung ging ihrerseits davon aus, dass der Landtag das Gesetz bereits am Mittwoch beschließt. Kutschaty betonte, dass seine Fraktion den Entwurf nicht in Gänze ablehne: Medizinisches Material zu beschlagnahmen, sei zum Beispiel in Ordnung.

Auch der Rechtswissenschaftler Janbernd Oebbecke hat Zweifel an der Verfassungs­festigkeit des geplanten Gesetzes. Es müsse intensiver geprüft werden, ob massive Eingriffe wie Dienstverpflichtungen von Ärzten, Pflegern oder Rettungskräften vom Grundgesetz gedeckt seien, sagte Oebbecke heute in Düsseldorf.

Oebbecke kritisierte vor allem, dass nicht alle Teile des Gesetzentwurfs mit einer Befristung versehen seien. Gerade die weitreichendsten Eingriffe in Grundrechte, wie die Dienst­verpflichtungen, seien unbefristet. Dies sei „demokratisch problematisch“, kritisierte der Münsteraner Staatsrechtler.

Für unproblematisch hält Oebbecke hingegen ebenso wie die SPD die im Entwurf vorgesehene Möglichkeit, medizinisches Material von Unternehmen oder auch Privatpersonen sicherzustellen. Solche Möglichkeiten seien in Deutschland schon lange bundesgesetzlich verankert, erklärte der emeritierte Rechtsprofessor.

HK/dpa

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