Politik

Epidemiegesetz in Nordrhein-Westfalen vorerst ausgebremst

  • Mittwoch, 1. April 2020
Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf - Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, spricht im Landtag. Die Landesregierung hat ein umstrittenes Vorhaben in den nordrhein-westfälischen Landtag eingebracht: ein Epidemie-Gesetz, das Grundrechte massiv einschränken würde./picture alliance, Rolf Vennenbernd
Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen /picture alliance, Rolf Vennenbernd

Düsseldorf – Die Opposition im Landtag in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat den Plan von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) für weitgehende Regierungsbefugnisse im Kampf gegen das Coronavirus vorerst ausgebremst.

Gut eine Woche nach der einstimmigen Verabschiedung eines 25-Milliarden-Rettungs­pa­kets im Landtag verweigerten SPD, Grüne und AfD der CDU/FDP-Regierung heute die rasche Zustimmung zum geplanten Epidemiegesetz. Die Opposition warnte Laschet, im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus das Maß zu verlieren und die Rechte des Parlaments zu beschneiden.

Der umstrittene Gesetzentwurf wurde nicht, wie ursprünglich von der Regierung geplant, im Eiltempo durch den Landtag gebracht, sondern zunächst in Ausschüsse überwiesen. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem Zwangsverpflichtungen von Ärzten im Notfall vor. Außerdem sollen die Behörden berechtigt werden, medizinisches Material sicherzu­stellen.

Nach Ansicht der Grünen wäre das Gesetz in der jetziger Form ein „Blankoscheck“ für die Regierung, die SPD sieht einen Verfassungsbruch, für die AfD ist es eine „Bauchlandung“ der Regierung Laschet. Alle Fraktionen zeigten sich aber bereit, das Gesetz zu korrigieren und zu einer Einigung zu kommen.

Laschet drängt zur Eile

Laschet mahnte hingegen zur Eile. „Das Virus ist noch lange nicht gestoppt“, sagte La­schet heute im Landtag. „Um italienische Ver­hältnisse zu vermeiden“, müssten weiterhin alle gemeinsam gegen die Ausbreitung käm­pfen. Das einzige Ziel sei, am „Tag X“, wenn es „zum Katastrophenfall“ komme, genug Handlungsmöglichkeiten zu haben. „Wir müssen vor Ostern Klarheit haben.“

Die öffentlichen Stellen bräuchten schnellen Zugriff auf medizinisches Material, wenn es nötig werde. Ein solches Gesetz könne aber nicht durch parteipolitische Kämpfe und nur mit der hauchdünnen Ein-Stimmen-Mehrheit von CDU und FDP durch den Landtag ge­bracht werden, räumte er ein. Daher werde die Regierung die Bedenken der Opposition einbe­ziehen. Am 6. April sollen zunächst Sachverständige angehört werden. Das Gesetz soll dann am 9. April in einer Sonder-Plenarsitzung verabschiedet werden.

Die Landesregierung versuche, in der Coronakrise mit Rechtsverordnungen am Parla­ment vorbei zu regieren, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty. „Diesen Freifahrtschein können wir Ihnen so nicht ausstellen.“ Kutschaty zitierte einen Beitrag in der Welt, in dem Laschet gewarnt hatte, dass Politiker in der Coronakrise „nicht dem Rausch des Ausnah­me­zustands und der Tatkraft“ verfallen dürften. Laschet aber habe das von ihm darin ge­forderte Gespür für „Maß und Mitte verloren“, betonte Kutschaty.

Das Parlament dürfe in Krisenzeiten der Regierung keine „Blankovollmachten“ ausstellen, sondern müsse Verantwortung übernehmen, forderte Grünen-Fraktionschefin Monika Düker. Die geplanten Eingriffsbefugnisse seien so gravierend, dass sie nur befristet gelten dürften. Zwangsverpflichtungen seien zudem „weder erforderlich noch angemessen“.

Auch die FDP als Koalitionspartner der CDU äußerte Bedenken. „Es darf nicht an der Par­la­mentsbeteiligung und am Parlamentsvorbehalt gerüttelt werden“, sagte FDP-Fraktions­chef Christof Rasche. CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen stellte klar, dass weiterhin das Par­lament das letzte Wort haben solle und Arbeitgeber zudem dem Einsatz von zwangsver­pflich­teten Medizinern widersprechen könnten.

Gegen das geplante Epidemiegesetz hatten zuletzt auch Ärzte- und Pflegeverbände massive – teils auch verfassungsrechtliche – Bedenken geäußert. Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Anja Weber, mahnte: „Das Gesetze der Landesregierung schießt übers Ziel hinaus. Die Demokratie darf nicht auf der Strecke bleiben.“

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund kritisierte: „Notstandsgesetze lösen die tatsächlichen Probleme in den Krankenhäusern nicht.“ In nie gekanntem Ausmaß fehlten Schutzmate­rial, Beatmungsgeräte und vor allem Fachärzte mit intensivmedizinischer Zusatzqualifika­tion. Das sei nicht in ein paar Wochenendkursen auszubilden, stellte der Landesvorsit­zende Michael Krakau fest.

Gesetzesvorgaben von Misstrauenskultur geprägt

Allen Widrigkeiten zum Trotz arbeiteten Ärzte seit Wochen intensiv. „Anstatt Wertschät­zung für unseren Einsatz zum Ausdruck zu bringen, das hohe Engagement der Klinikmit­arbeiter zu loben und sie zu bitten, weiterhin alles Menschenmögliche zu tun, greifen Politiker gerade auf unsinnige Zwangsinstrumente zurück“, kritisierte Krakau. Das Geset­zes­vorhaben sei geprägt von einer Misstrauenskultur, die in der derzeitigen Corona-Pan­de­mie völlig unbegründet und kontraproduktiv sei. „Wir brauchen sinnvolle Lösungen, aber nicht solche untauglichen Eingriffe.“

Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe wandte sich energisch dagegen, „im Hauruck-Verfahren“ ein Gesetz „durchzuwinken“, das Grundrechte wie die Selbstbe­stimmung und die Berufsfreiheit für Zwangsrekrutierungen von Pflegefachpersonen opfere.

Kritik kam auch vom früheren Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams. Für „eine solche Beschneidung von Grundrechten, zu denen auch die Freiheit der Berufsausübung gehört, braucht es ein Höchstmaß an inhaltlicher Bestimmtheit der Voraussetzungen, unter denen ein solcher Grundrechtseingriff möglich sein soll“, sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. Daran mangele es dem Entwurf der schwarz-gelben Koalitionsregierung.

dpa

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