Omikron: Labortests deuten auf abgeschwächte Wirkung von Impfstoffen hin
Durban/Südafrika, Frankfurt und Mainz – Erste Labortests aus Südafrika bestätigen den Verdacht, wonach die neue Variante Omikron von SARS-CoV-2, die sich mittlerweile auch in Europa ausbreitet, dem Immunschutz durch eine Impfung entgehen könnte.
Auch in Labortests der Universität Frankfurt war die Wirksamkeit deutlich abgeschwächt. Der Hersteller Biontech geht davon aus, dass die Boosterung mit einer 3. Dosis für eine ausreichende Immunität sorgt. Das US-National Institute of Health (NIH) will in der nächsten Woche ausführliche Testergebnisse vorlegen.
Die rasche Ausbreitung in Europa – in Großbritannien verdoppeln sich die Fallzahlen mittlerweile alle 2 bis 3 Tage – belegen die hohe Infektiosität auch in Ländern mit einer vergleichsweise hohen Impfquote (in Großbritannien zuletzt 69,3 %). Dies lässt befürchten, dass sich das Virus auch in Labortests dem Zugriff von neutralisierenden Antikörpern entzieht.
Ein Team um Alex Sigal vom Africa Health Research Institute in Durban/Südafrika hat untersucht, ob Plasmaproben von 12 mit BNT162b2 geimpften Erwachsenen die Omikron-Variante davon abhalten können, Zellen zu infizieren (was als Neutralisationstest bezeichnet wird).
Die Hälfte der Probanden hatte eine Infektion mit SARS-CoV-2 in der Vorgeschichte, die im Mittel 417,5 Tage zurücklag. Die Impfung hatten die 6 Personen erst vor 22 bis 30 Tagen erhalten. Die anderen 6 Personen hatten keine Infektion in der Vorgeschichte. Ihre Impfung mit BNT162b2 lag 10 bis 39 Tage zurück.
Die Tests ergaben, dass das Plasma in beiden Gruppen den Wildtyp von SARS-CoV-2 neutralisieren kann. Der geometrische mittlere Titer (GMT) betrug 1.321. In den Experimenten mit der Variante Omikron war der Wert auf 32 abgefallen, was eine 41-fach schwächere neutralisierende Wirkung anzeigt. Die Teilnehmer mit einer Infektion in der Vorgeschichte waren weniger stark betroffen: Hier erzielten 5 von 6 Probanden einen GMT, der einen Schutz vor einer Infektion erwarten lässt.
Der Leiter des Instituts Willem Hanekom schließt aus den Ergebnissen, dass eine Boosterung den Impfschutz auch gegen Omikron verbessert. Die meisten Vakzinologen seien sich einig, dass die aktuellen Impfstoffe angesichts einer Omikron-Infektion immer noch vor schweren Krankheiten und dem Tod schützen könnten. Deswegen sei von entscheidender Bedeutung, dass jeder geimpft werde.
Die Daten, die Sandra Ciesek vom Institut für Medizinische Virologie der Universität Frankfurt, per Twitter mitteilt, sind etwas ungünstiger. Das Serum von Personen, deren Impfung (2 Mal BNT162b2, 2 Mal mRNA-1273 oder die Kombination AZD1222/BNT162b2) 6 Monate zurücklag, erzielte keine neutralisierende Wirkung mehr. Auch 3 Monate nach einer Boosterung mit BNT162b2 war die neutralisierende Wirkung auf 25 % abgeschwächt (jeweils im Vergleich zur Delta-Variante).
Auch die Antikörperkombination aus Casirivimab/Imdevimab könnte nach dem von Ciesek über Twitter verbreiteten Screenshot der noch nicht veröffentlichten Studie zu urteilen, seine Wirksamkeit verloren haben. Eine ähnliche Befürchtung hatte der Hersteller Regeneron in den letzten Tagen geäußert.
Auch die Tests bei Biontech/Pfizer deuten auf eine abgeschwächte Wirksamkeit der Impfung hin. Im Vergleich zum ursprünglichen Wildtyp sei das Neutralisierungspotenzial 25-fach schwächer, heißt es in einer Pressemitteilung des Herstellers. Die überwiegende Mehrheit der Epitope, gegen die sich die Impfstoff-induzierten T-Zellen richten, sei jedoch nicht von den Mutationen der Omikron-Variante betroffen. Man gehe deshalb davon aus, dass geimpfte Personen noch immer vor einem schweren Verlauf von COVID-19 geschützt sein könnten.
Nach den Tests des Unternehmens, die aber noch nicht publiziert sind, könnten die Antikörpertiter durch eine 3. Dosis um das 25-fache erhöht werden. Die 3. Dosis würde „ein ähnliches Niveau an neutralisierenden Antikörpern gegen Omikron hervorrufen, wie es nach 2 Dosen gegen den Wildtyp und andere Varianten, die vor Omikron auftraten, beobachtet wurde“, teilt Biontech mit. Die 3. Dosis erhöhe zudem die Anzahl von CD8-positiven T-Zellen erheblich, die gegen mehrere Spikeproteinepitope gerichtet sind. Von diesen CD8-positiven T-Zellen werde angenommen, dass sie den Schutz vor schweren Krankheitsverläufen beeinflussen. Im Vergleich zum Wildtypvirus bleibe die große Mehrheit dieser Epitope in der Omikron-Spikevariante unverändert.
Für den Fall, dass Omikron sich allen Impfstoffen entziehen sollte, wird auf die Möglichkeit eines Omikron-spezifischen COVID-19-Impfstoffs hingewiesen, mit dessen Entwicklung der Hersteller bereits begonnen habe. Ähnliches teilte Moderna in den letzten Tagen mit. mRNA-Impfstoffe lassen sich schnell anpassen. Sie müssen danach allerdings erneut auf ihre Sicherheit geprüft werden, was einige Wochen bis Monate dauern dürfte.
Das US-National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) führt derzeit ausführliche Tests mit Omikron und Pseudoviren (die einzelne Mutation von Omikron tragen) zur Infektiosität in Zellkulturen durch. Ergebnisse sollen Mitte (für das Pseudovirus) bis Ende (für das Live-Virus) nächster Woche vorliegen.
Darüber hinaus würden Tierstudien durchgeführt, um den Immunschutz sowie die Wirksamkeit antiviraler Medikamente zu bewerten, teilte der Leiter der Behörde, Anthony Fauci, auf einer Pressekonferenz mit. Fauci hofft wie andere Experten, dass die zahlreichen Mutationen die Pathogenität des Virus geschwächt haben könnten. Darauf würden erste Berichte aus Südafrika hindeuten, erklärte Fauci. Dies sei allerdings noch mit Fragezeichen zu versehen.
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