Vermischtes

Region Aachen sorgt für atomaren Ernstfall vor

  • Donnerstag, 31. August 2017
Kernkraftwerk Tihange, Belgien
Kernkraftwerk Tihange (Belgien) /dpa

Aachen – Morgen beginnt in der Region Aachen die Versorgung der Bevölkerung mit Jodtabletten. Diese sollen im atomaren Ernstfall verhindern, dass die Schilddrüse radioaktives Jod aufnimmt. Eine Maßnahme, die bisher bundesweit nur in Ausnahme­fällen und in sehr begrenzten Bereichen zugelassen wurde.

Hintergrund ist das Szenario, dass es im belgischen Atomkraftwerk Tihange zum Atomunfall kommt. Mit Westwind würde die radioaktive Wolke auf die Region Aachen zutreiben. Keine 70 Kilometer liegen zwischen Aachen und dem wegen Sicherheits­bedenken umstrittenen Kernkraftwerk Tihange. In der Grenzregion gibt es deshalb große Zweifel, dass im Erstfall die Zeit reicht, die Bevölkerung mit hoch dosierten Jodtabletten zu versorgen.

Zeit ausschlaggebender Faktor

„Je nachdem, wie das genaue Szenario aussieht, haben wir ganz große Zweifel, dass wir es schaffen, Jodtabletten rechtzeitig zu verteilen“, begründet der Aachener Vertei­lungskoordinator Markus Kremer die Maßnahme. Sofort müssten über die ganze Stadt verteilt und an fußläufig zu erreichenden Punkten Ausgabestellen eingerichtet werden, „und das in einer Zeit, wo nicht nur geringe Unruhe entsteht“, beschreibt er die Heraus­forderung.

Menschen bis zu 45 Jahren, Schwangere und Stillende haben ein Recht auf die kostenlosen Tabletten, die Schilddrüsenkrebs verhindern sollen. Menschen über 45 Jahren sollten nach der Empfehlung der Strahlenschutzkommission keine Jodtabletten nehmen. Das Risiko von Nebenwirkungen sei dann höher als das Risiko, später einmal an Schilddrüsenkrebs zu erkranken.

Wer unter 45 Jahren ist, kann in der Aachener Region bis Ende November über einen Link im Internet Bezugsscheine beantragen, die sie in beteiligten Apotheken einlösen. Die Behörden rechnen damit, dass mehr als jeder Dritte das Angebot wahrnimmt. Es gebe eine hohe Sensibilität, hieß es.

Durch die Vertei­lung der Tabletten verändert sich nach Meinung des Heidelberger Psychologen Joachim Funke das Risikoempfinden der Menschen in der Region. „Mit der Verteilung von Jodtabletten erhöht sich die Risikowahrnehmung, weil die Behörden offensichtlich den Eindruck haben, dass sie ihre Strategie ändern müssen“, sagte er.

Je nach Typ reagierten Menschen unterschiedlich auf diese Situation. Die einen würden mehr grübeln, die anderen meinten, sie hätten mit den Jodtabletten alles unter Kontrolle. „Aber das ist nur eine Scheinkontrolle. Denn mit den Jodtabletten habe ich ja nicht wirklich Kontrolle über das Geschehene“, erklärte Funke.

Und dann gebe es vielleicht noch die Sorglosen, die die Sorgen anderer nicht ernst nähmen – und nichts täten. Für diese Gruppe würden im Ernstfall noch Jodtabletten ausgegeben, sagte der Aachener Ausgabekoordinator Kremer. Aber das wäre in keinem Fall so entspannt wie jetzt. „Wir appellieren, die Chance einfach jetzt zu nutzen und sich den Druck zu nehmen.“

dpa

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