Ärzteschaft

Risiko- und Fehlervorsorge optimieren Patientensicherheit

  • Donnerstag, 27. April 2017
/Tobilander, stock.adobe.com
/Tobilander, stock.adobe.com

Berlin – Vor einer zunehmenden, durch gesetzliche Reformen mitverursachte „Ver-Öko­nomisierung“ der medizinischen Versorgung in Deutschland warnte der Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Andreas Crusius. Anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärzte­kam­mern mahnte der Vorsitzende der Ständigen Konferenz der Schlichtungsstellen und Gut­achterkommissionen der Bundesärztekammer (BÄK): „Gesundheit ist keine Ware, der Patient kein Kunde.“

Dennoch seien Fehler auch zunehmend durch die zunehmende Ökonomisierung des Systems mitverursacht. Deshalb sei es notwendig, die Patientensicherheit als Qualitäts­ziel in der medizinischen Versorgung zu erhalten. Für die ärztliche Fehlervorsorge blie­ben deshalb „Offenheit, Transparenz und Zusammenarbeit“ auch 40 Jahre nach Grün­dung der Schlichtungsstelle der maßgebliche Trend. Risiko- und Fehlervorsorge seien ein wichtiges Mittel, die Patientensicherheit zu optimieren. Nur wer die Risiken, die Fehler auslösen, kenne, könne sie vermeiden oder zumindest verringern.

Seitens der Krankenkassen sei, so führte Crusius aus, immer wieder zu hören, die von der Ärzteschaft „bearbeiteten Fälle seien nur die Spitze des Eisbergs. Dabei bearbeiten wir das Gros der Fehler“, betonte Crusius, der seit 18 Jahren die Arbeit der Schlich­tungs­stelle begleitet. Zu den von den Ärzten geschaffenen Schlichtungsstellen gebe es nur wenige vergleichbare Einrichtungen. Letztlich profitierten vor allem die Patienten von dem unabhängigen, kostenlosen und objektiv ausgerichteten Gutachten der Schlich­tungs­stellen. Auch Richter und Rechtsan­wälte hätten durch die hohe Expertise der aus­gewählten Gutachter klare Vorteile. Und letztlich diene die Überprüfung gerade wegen der institutionellen Objektivität auch den betroffenen Ärzten.

Krankheit darf keine Ware sein

Dennoch gebe es, so Crusius, nach wie vor medizinische Einrichtungen, die ihre Zu­sam­menarbeit mit den Schlichtungsstellen aus ökonomischen Gründen versagten: „Wenn Krankheit zur Ware wird, wenn Ärzte durch Verwaltungsdirektoren genötigt werden, nicht ärztlich indizierte Behandlungen vorzunehmen, dann ist das verwerflich und auch recht­lich relevant für die ärztlichen Direktoren von Kliniken.“ Aus diesem Grunde überprüfe die Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern die Verträge von Chefärzten, ob dort zur Maximierung von Leistungen angehalten werde. Crusius: „Jede nicht indizierte medizini­sche Leistung ist Körperverletzung.“

Aufgabe der Schlichtungsstellen sei es, Transparenz und damit eine Grundlage des Ver­trauens zu schaffen, unterstützte der Vorsitzende der vor 40 Jahren gegründeten Schlich­­tungsstelle, Walter Schaffartzik, die Ausführungen des Ärztekammerpräsidenten. „Das Bild der ‚Halbgötter in Weiß‘ mag gestern gewesen sein, heute setzen sich Ärzte mit ihrer Fehlerhaftigkeit in der Öffentlichkeit auseinander.“ Schaffartzik mahnte aber auch zur Sachlichkeit: „Nicht immer ist ein nicht erreichtes Behandlungsziel durch eine fehler­hafte Behandlung verursacht.“

Heute zählt offene Fehlerkultur

Mit Gründung der Schlichtungsstellen habe man vor vier Jahrzehnten begonnen, erläu­terte der Ärztliche Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses in Berlin, Axel Ekkernkamp, in seinem Festvortrag, „die Stahlschränke abgeschlossener Behandlungs­fehlerverfahren zu öffnen, um die Erkenntnisse zur Schaffung von Fehlervermeidungs­strategien zu nutzen“. Ekkernkamp erinnerte an die Aufgabe, auch den betroffenen Ärz­ten zu helfen und diese „nicht allein zu lassen“. Denn sie müssten befähigt werden, „den Zwist um vermeintliche oder tatsächliche Behandlungsfehler aus der Behandlung he­raus­­zu­halten“. Hierzu sei das Verfahren zur außergerichtlichen Schlichtung von Vorteil. Hinzu komme, dass das System für Ärzte und Patienten kostenfrei sei.

Heute werden die norddeutschen Schlichtungsstellen von zehn Kammern, darunter auch das Saarland und Thüringen, getragen. Die Schlichtungsstelle habe in den vergangenen 40 Jahren rund 100.000 Anträge bearbeitet. Die dafür eingesetzten juristischen und ärzt­li­chen Gutachter agierten unabhängig. Im Laufe der Jahre seien mehr als acht von zehn Fälle erfolgreich geschlichtet worden.

Entscheidend sei, so Ekkernkamp, dass die Gutachter einen objektivierbaren Beitrag zur Schlichtung leisten könnten. Anders als vor Gericht würden die Vorkommnisse nicht nur von Juristen, sondern auch von ausgesuchten und erfahrenen Fachärzten begutachtet. Das System gestatte ärztlichen Fachgesellschaften darüberhinaus, anhand der Erkennt­­nisse entsprechende Vermeidungsstrategien zu entwickeln. Das inzwischen etablierte Sys­­tem und auch die entsprechend eingerichteten und abrufbaren Fall­schil­de­rungen widerlegten die noch immer hörbaren Vorwürfe, hier agierten Ärzte durch Verschweigen oder Verheimlichen „nach dem Motto des Krähenprinzips“.

Vielmehr hätten Deutschlands Mediziner weitere Vorsorge über Therapie-Empfeh­lungen, Checklisten, Sicherheits- oder Übergabeprotokolle, aber auch anonyme Fehler­melde­sys­teme getroffen. Diese Maßnahmen hätten dazu beitragen, dass aus Fehlern gelernt und diese zunehmend vermieden werden. Dass diese Vorgehensweise erfolg­reich sei, erkenne man unter anderem auch aus der Haltung der Versicherungs­wirt­schaft, die das Motto „schlichten statt richten“ ausdrücklich begrüßte. Zudem würden vor Gericht in­zwi­schen weniger als zehn Prozent der Entscheidungen anders als von der Schlichtungs­stelle vorgeschlagen beurteilt.

Auch der zweite, aus Patientensicht argumentierende, Festvortragsredner, der Hambur­ger Medizinrechtler Uwe Brocks, bestätigte, dass er seinen Klienten in der Regel den Weg der Schlichtung anrate. Zivilprozesse seien für die Patienten kostenbelastet: „Das Gerichtsverfahren als initiale Vorgehensweise ist keine Konkurrenz zur Schlichtung.“ Brocks betonte, dass sich seit Bildung der Schlichtungsstelle vieles geändert habe. Heu­te sei der sachliche Umgang betroffener Ärzte mit zur Schlichtung anstehenden Vor­wür­fen „von beachtlicher Neutralität und orientiere sich ausschließlich an der fachlichen Qualität“.

mn

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung