5 Fragen an...

„Ich bin überzeugt davon, dass die Widerspruchsregelung bei der Organspende viel erreichen könnte“

  • Donnerstag, 30. Mai 2024

Berlin – Deutschland könnte bei den Themen Organspende, Digitalisierung und Hitzeplänen einiges von Spa­nien lernen. Wie genau Spanien in dieser Hinsicht Vorreiter ist, erklärte die Bundestagsabgeordnete Tina Rudolph (SPD) im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt.

Die Ärztin war vergangene Woche mit weiteren Abgeordneten des Gesundheitsausschusses des Bundestags in der spanischen Hauptstadt Madrid und hat einen Einblick in das dortige Gesundheitssystem gewonnen. So hat sie etwa erfahren, dass nicht nur die spanische Widerspruchslösung, sondern weitere medizinische Verfahren zu hohen Organspenderraten beitragen. Zudem kündigte Rudolph einen möglichen neuen gesetzlichen Vorstoß zum Thema Organ­spende in Deutschland an.

Weiter scheint der ärztliche Personalschlüssel in Spanien besser zu sein als in Deutschland, sagte Rudolph. Was aber ganz ähnlich zu der Situation hierzulande ist: Die spanischen jungen Ärztinnen und Ärzte orientie­ren sich verstärkt hin zu medizinischen Fachbereichen, die eine bessere Work-Life-Balance versprechen.

Tina Rudolph (SPD), /Maximilian Bubinger
Tina Rudolph (SPD), /Maximilian Bubinger

5 Fragen an Tina Rudolph (SPD)

Welche Erfahrungen haben Sie in Spanien gemacht und welche Teile des spanischen Gesundheitssystems fanden Sie besonders beein­druckend?
Das Beeindruckendste war, sich vertieft mit dem spanischen Organ­spendesystem beschäftigen zu können. Spanien ist beim Thema Organspende in Europa Vorreiter und verzeichnet mehr als 40 Organ­spenden pro einer Million Einwohnerinnen und Einwohner. Für Deutschland sind es etwa zehn pro einer Million Einwohnerinnen und Einwohner. Diese Zahlen habe ich schon im Studium gelernt, und sie haben sich seitdem nicht wirklich geändert.

Beeindruckend war zudem der Stand der Digitalisierung. Spanien ist uns in dieser Hinsicht einen Schritt voraus. Dort gibt es schon länger eine elektronische Patientenakte und die Bevölkerung nutzt seit der COVID-19-Pandemie eine Gesundheitsapp (Tarjeta Sanitaria).

Über diese können Arzttermine gebucht, Formulare ausgefüllt, Bescheinigungen wie Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen heruntergeladen, Impfungen eingesehen und die eigene Krankheitshistorie verwaltet werden. Auch die persönliche Einstellung zur Organspende kann dort festgehalten werden. Die Primärversorgungszentren, also der ambulante ärztliche Bereich, sind an dieses System angeschlossen.

Spanien setzte bei Entwicklung dieser Digitalisierung vor allem auf private Anbieter, die digitalen Anwen­dungen werden aber – so habe ich es für die autonome Region Madrid kennengelernt – gemeinsam mit der zuständigen Abteilung im Ministerium entwickelt. Die Gesundheitsdaten sind jedenfalls zentral gespeichert (auf zwei Servern an zwei Orten, um das Risiko zu verringern). Das wäre in Deutschland kaum denkbar und ich fände das auch nicht gut und bin hier wiederum froh, dass wir dezentralere Lösungen bevorzugen.

Im Gegensatz zu Deutschland gilt in Spanien die Widerspruchslösung bei der Organspende. In Deutschland gilt die erweiterte Zustimmungslösung, vor kurzem ist das Organspenderegister online gegangen. Fährt Deutschland damit einen richtigen Kurs oder was muss sich hierzulande ändern, um die Zahl der Spender zu erhöhen?
Ich bin überzeugt davon, dass die Widerspruchsregelung viel erreichen könnte, aber sie wird uns trotzdem nicht auf das Niveau von Spanien bringen. Man muss sich die verschiedenen Bausteine anschauen, die zu der hohen Spenderrate führen.

Spanien hat 1979 die Widerspruchslösung eingeführt, obwohl vier Jahre vorher erst die Franco-Diktatur ge­endet hatte. Ich hätte gedacht, dass die Gesellschaft danach dem Staat erst wieder vertrauen müsste. Aber das Gesetz ist damals so gut durchgegangen, weil die spanische Bevölkerung stolz auf ihr sehr gut zugängliches Gesundheitssystem war und immer noch ist.

Spanien hat ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem, in dem alle versichert sind und die gleichen Leistun­gen erhalten. Das Credo damals: Alle bekommen Leistungen, auch teure und aufwendige wie eine Organ­spende.

Dann kann es nicht zu viel verlangt sein, wenn die Bevölkerung sich mit dem Thema auseinandersetzt und diejenigen, die keine Organe spenden möchten, eben einen Widerspruch festhalten aber man ansonsten da­von ausgehen darf, dass es im Interesse jedes Einzelnen ist, wenn viele Spenden realisiert werden können, weil es ja auch jeden selbst treffen kann. Diese Haltung und Argumentation hat damals getragen und trägt bis heute.

Zudem führen noch weitere Rahmenbedingungen zu der hohen Spenderrate. Seit mehreren Jahren ist die Organspende nach dem Herztodkriterium in Spanien erlaubt. Rund 45 Prozent der Spenden gehen darauf zurück. In Deutschland ist dies erst nach dem Hirntod zulässig. Man merkt auch an der Organisation der Organspende, dass sie gut durchdacht ist.

Bei der Palliativbehandlung schwer kranker Menschen wird mit dem Einverständnis der Patientinnen und Patienten auch eine potenzielle Organspende mitberücksichtigt. Diesen Gedanken kenne ich so aus Deutsch­land nicht. Hierzulande gibt es oft die Sorge, dass Patientinnen und Patienten denken, für das ärztliche Per­sonal stehe die Organspende im Vordergrund und nicht mehr die Behandlung der Menschen. Das ist natürlich Unsinn.

Hinsichtlich der Widerspruchlösung besteht zudem oft die Sorge, dass die Angehörigen nach dem Tod nicht mehr entscheiden könnten. Aber in Spanien und auch beispielsweise in Österreich ist die Familie trotz Wider­spruchsregelung bei dieser Frage sehr eng eingebunden.

In Spanien gibt es sogar die Möglichkeit, die Organspende zu verankern, wenn man Beihilfe zum Suizid in An­spruch nimmt. Dies ist seit 2021 möglich und seitdem ist auf diesem Wege bereits eine zweistellige Anzahl an Organspenden realisiert worden. Auch dies wäre in Deutschland vermutlich ein zunächst harter gedanklicher Schritt.

Wird es einen neuen Anlauf für die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland geben?
Ein entsprechendes Vorhaben würde ich für sehr sinnvoll erachten und ich weiß, dass ich mit dieser Meinung nicht allein bin. Es wird vermutlich nochmal den Aufschlag eines überfraktionellen Entwurfs aus dem Bun­destags geben.

Der Bundesrat hat sich ja ebenfalls schon positioniert und ich nehme wahr, dass sich sowohl die Zusammen­setzung des Bundestages als auch die Haltung einiger Kolleginnen und Kollegen zum Thema grundlegend in Richtung der Befürwortung einer Widerspruchsregelung gewandelt hat.

Die Abstimmung wird aber wieder als Gewissensentscheidung ablaufen, da es sich um eine ethische Frage­stellung handelt.

Auch die Umsetzung der in der letzten Legislatur beschlossenen strukturellen Verbesserungen – zum Beispiel die Möglichkeit der Freistellung für Transplantationsbeauftragte – müssen wir weiterhin im Auge behalten. Dies läuft noch nicht überall ideal und gerade kleinere Krankenhäuser verzeichnen nicht so viele potenzielle Spenderinnen und Spender, wie man statistisch erwarten würde.

Thema der Delegationsreise war auch das Thema Hitze. Wie geht Spanien damit um? Welche Aspekte des spanischen nationalen Hitzeschutzplans sollten auch in Deutschland angewandt werden?
Spanien führt schon länger eine sehr zielgenaue, regionale Hitzekartierung. Damit können Behörden regional bis lokal vor Hitzeereignissen warnen. Der spanische nationale Aktionsplan tritt jedes Jahr von Mai bis Sep­tember in Kraft und fungiert quasi als eine Art Alarmzustand.

In dieser Zeit werden Temperaturen sehr genau im Auge behalten und wenn es lokal zu Hitze kommt, also wenn an einigen Tagen hintereinander eine bestimmte Temperatur erreicht wird, gehen Warnungen und Empfehlungen an die Bevölkerung heraus. Diese Empfehlungen sind meistens die üblichen, beispielsweise ausreichend Trinken oder leichte Kleidung tragen.

Wo ich allerdings einen weniger großen Durchbruch gesehen habe als ich es mir erhofft hatte, war die syste­matische Ermöglichung der Anpassung der Städte an das veränderte Klima, beispielsweise durch städtebau­liche Anpassungen.

In Madrid wurden zwar einige Plätze verkleinert und mit Grünflächen, großen Bäumen, die für Schatten sor­gen sowie Wassersprinkleranlagen versehen. Diese Maßnahmen hängen aber wie in Deutschland auch stark an der Finanzkraft der jeweiligen Kommune oder Region, sodass es große Unterschiede gibt.

Sie haben sich auch den spanischen Krankenhaussektor angeschaut. Was haben Sie dort gesehen und was hat Sie auch als Ärztin überrascht?
Das spanische Gesundheitssystem ist zentralistischer aufgebaut als das deutsche. Die 17 autonomen Gemein­schaften sind für die Krankenhausplanung und -finanzierung zuständig. Es gibt regionale Budgets, die sowohl Faktoren wie etwa die Einwohnerzahl, aber auch Morbiditäts- und Mortalitätsraten berücksichtigen.

In einem bestimmten Einzugsgebiet gibt es immer mindestens ein großes Krankenhaus und mehrere kleine, im ambulanten Bereich gibt es vor allem primäre Versorgungszentren. Eine doppelte Facharztschiene, wie wir sie haben, gibt es dort nicht.

Mir ist aufgefallen, dass der ärztliche Personalschlüssel ziemlich gut ist. Allerdings sind die Löhne dort deut­lich niedriger als bei uns. Auch in Spanien streikt das ärztliche Personal hin und wieder für mehr Gehalt. Die medizinischen Leistungen sind für alle zugänglich, allerdings gibt es in manchen Regionen auch lange Warte­zeiten für Operationen.

Der Trend geht in Spanien gerade dazu, dass immer mehr Menschen eine private Zusatzversicherung ab­schließen, um schneller an Termine zu kommen. Das hat wiederum auch Folgen für das Gesundheitspersonal, für die es oft lukrativer ist – mindestens zusätzlich – im privaten Bereich zu arbeiten.

Aufgefallen ist mir zudem, dass sich die beliebten Fächer etwas ändern. Bislang war in Spanien offenbar vor allem der Bereich der Chirurgie in Madrid oder Barcelona unter jungen Ärztinnen und Ärzten sehr beliebt. Jetzt werden auch hier stärker etwa die Radiologie, Dermatologie oder Augenheilkunde bevorzugt, weil es hier gute Verdienstmöglichkeiten und eine gute Work Life Balance gibt.

cmk

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