Politik

Tattoo-Termin im Bundestag: Abgeordnete setzen Zeichen für die Organspende

  • Donnerstag, 16. Mai 2024
/Holger Groß
/Holger Groß

Berlin – Eine ungewöhnliche Aktion sollte heute auf die Organspende aufmerksam machen: Mehrere Abgeord­nete des Bundestags ließen sich ein Tattoo stechen. Die Ab­geordneten plädierten dafür, dass sich die Politik erneut mit der Wider­spruchslösung befasst. Ziel sind mehr Organspenden in Deutschland.

„Mir ist es ein großes Anliegen, die Organspendebereitschaft in Deutschland zu erhöhen“, sagte der Patienten­beauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), der die Aktion gemeinsam mit dem Verein Junge Hel­den organisiert hatte. 19 Abgeordnete und zwei Mitarbeiter beteiligten sich heute daran. Für Schwartze ist es das erste Tattoo.

„Es wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch mein einziges bleiben. Aber das ist eine Sache, mit der ich mich zu 100 Prozent identifiziere und die mir dann im wahrsten Sinne des Wortes auch mal unter die Haut geht“, sagte der SPD-Politiker, bevor er sich das Tattoo auf den linken Oberarm stechen ließ.

„Wir wissen aus Umfragen, dass viele Menschen grundsätzlich bereit dazu sind, ihre Organe zu spenden“, betonte Schwartze. „In der Wirklichkeit sieht es ganz anders aus. Viele Menschen, die auf der Warteliste stehen, verster­ben, weil es zu wenig Organspenden gibt“.

Dass die Organspendebereitschaft in Deutschland zu gering ist, bestätigten die anderen Abgeordneten. „Es muss mehr Organspenden geben, damit man mehr Leben retten kann“, sagte Dagmar Andres (SPD). Dass es so wenig Organspenden gebe, liege aber auch daran, dass sich die Menschen zu wenig mit dem Thema auseinander­setz­ten und oftmals nicht gut informiert wären, sagte Nadja Sthamer (SPD).

Mit dem Tattoo – ein Kreis, dem sich zwei halbe Kreise anschließen – soll mehr Aufmerksamkeit für die Organ­spen­de geschaffen werden. „Ich möchte ein Zeichen setzen und anderen zeigen, dass bei manchen Menschen das Leben von einer Organspende abhängt“, erzählte Carolin Wagner (SPD) von ihren Beweggründen. „Macht Euch Gedanken, ob Ihr Organspender werden möchtet oder nicht – aber macht euch Gedanken“, brachte sie ihre Botschaft zum Ausdruck.

„Dies ist mein erstes Tattoo“, sagte Ye-One Rhie (SPD) und hielt ihren Arm stolz in die Kamera. Sie möchte eben­falls auf die Organspendesituation in Deutschland aufmerksam machen und mit dem Symbol ein klares Zeichen setzen. Andere Menschen sollten nachfragen und sich mit dem Thema beschäftigen.

Wiebke Esdar (SPD) hat sich entschieden, das Tattoo an einer sichtbaren Stelle stechen zu lassen, um mit ande­ren Menschen ins Gespräch zu kommen. „Vielleicht kann ich so einen kleinen Beitrag dazu leisten, Menschen für das Thema zu sensibilisieren und am Ende davon überzeugen, auch potenzieller Spender oder Spenderin zu werden“, sagte sie.

Auch Martin Diedenhofen (SPD) will mit seinem neuen Tattoo am Oberarm die Aufmerksamkeit seiner Mitmen­schen erhöhen. „Die Organspende wurde schon weit mehr in der Öffentlichkeit diskutiert als momentan“, sagte er. Das Tattoo eigne sich gut als Gesprächsstoff für die nächste Familienfeier. „Wir müssen die Debatte wieder in die Gesellschaft tragen und es hinbekommen, dass überhaupt darüber nachgedacht wird“.

Viele Menschen hätten Angst vor der Entscheidung, sagte Ebru Yildiz, Fachärztin für Innere Medizin und Nephro­logie und Leiterin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation in Essen. Es sei wichtig, die Menschen konsequent aufzuklären und über die Entscheidung zu sprechen. Die Informationen seien in Deutschland nicht unbedingt leicht zugänglich. Einige Themen wie der Hirntod müssten zudem explizit angesprochen und aus der sogenannten „Blackbox“ geholt werden.

„Den meisten Menschen ist bewusst, dass eine Organspende etwas Gutes ist, aber vielen nicht, was dazwischen kommt“, begründete Yildiz ihren Vorschlag. „In Deutschland brauchen wir eine Organspendekultur, die Organ­spende muss irgendwann zur Normalität werden“, sagte sie.

Sabine Grützmacher (Grüne) zufolge könnte eine deutlich größere Kampagne dabei helfen, die Organspende­zahlen in Deutschland zu erhöhen. „Die Menschen sind zu wenig informiert“, gab sie zu bedenken. Sie wünscht sich, dass auch Ärztinnen und Ärzte das Thema aktiver ansprechen. Die Informationen rund um die Organspende müssten sichtbarer werden.

Es könne auch darüber nachgedacht werden, grundsätzlich vor Operationen über die Organspende aufzuklären, sagte Sthamer. „Nicht als Großszenario, sondern als wichtige Information, über die man auch als Gesellschaft reden muss“.

„Jede Initiative, die auf die Organspende aufmerksam macht und dafür sorgt, dass die Menschen sich damit aus­einandersetzen, ist gut“, sprach sich auch Schwartze für mehr Informationen in der Öffentlichkeit aus. „Aber es wird nicht das Gesamtproblem lösen. Wir brauchen einen größeren Schritt, deshalb trete ich an dieser Stelle für die Widerspruchslösung ein“. Das bedeutet, dass man einer Organentnahme aktiv widersprechen muss und ansonsten als Organ­spender gilt.

Die Wider­spruchslösung war im Januar 2020 von der Mehrheit des Bundestags abgelehnt worden. Stattdessen entschieden sich die Parlamentarier damals für eine sogenannte Zustimmungslösung. Diese fordert eine aus­drückliche Zustimmung des Spenders und sieht zugleich eine bessere Information der Bürger vor. Wer nach seinem Tod Organe spenden will, muss dem im Vorfeld aktiv zustimmen.

Stärken wollte der Gesetzgeber die Informationspflichten. Seit dem Jahr 2020 sollen alle Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt auf das Thema Organ­spen­de beim Abholen oder Verlängern eines Personalausweises oder Passes angespro­chen werden.

Auf den Bürger­ämtern oder auch später zu Hause soll man freiwillig seine Ein­stellung zur Organ­spende in ein Onlineregister eintragen können. Dieses kam aber mit deutlicher Verspätung und steht erst seit wenigen Wochen bereit. Der Eintrag ist freiwillig und kostenfrei, er kann jederzeit geändert oder gelöscht werden, wie das Bundesgesundheitsministerium mitteilte.

Die Widerspruchslösung ändere nichts an der Freiwilligkeit der Organspende, sagte Schwartze. Man würde nur aufgefordert, sich mit dem Thema zu beschäftigen und eine Entscheidung zu treffen. Als potenzieller Organspen­der könne man dem ohne Konsequenzen und Folgen jederzeit widersprechen. „Die Freiwilligkeit bleibt erhalten“, sagte er.

Carolin Wagner machte ebenfalls darauf aufmerksam, dass bei der Widerspruchslösung weiterhin jede Person für sich entscheiden könne, ob sie spenden möchte oder nicht. „Aber es hilft, mehr Menschen überhaupt zu einer Entscheidung zu bringen – und das ist ein Gewinn für uns alle“, sagte sie.

Mit der Widerspruchslösung würden sich nochmal mehr Menschen aktiv mit der Entscheidung auseinanderset­zen, war sich auch Sthamer sicher. „Grundsätzlich wäre die Organspende dann möglich und wer das nicht möch­te, muss aktiv widersprechen“.

Auch Diedenhofen sprach sich klar für eine Widerspruchslösung aus, damit vermieden werde, dass Menschen sterben, weil sie keine Organspende erhalten haben. Es sei wichtig, dass man den Menschen einen „Schubs in die richtige Richtung“ gebe, um sie zum Nachdenken anzuregen. „Was jeder persönlich tut, ist eine freie und eigene Entscheidung“, sagte er.

Schwartze machte zudem darauf aufmerksam, dass alle Eurotransplantländer die Widerspruchslösung hätten und Deutschland davon profitiere. „Wir implantieren hier Organe, die unter der Widerspruchslösung entnommen wurden, machen das selbst aber nicht“, gab er zu bedenken. „Ich bin optimistisch, dass wir eine erneute Debatte im Bundestag anstoßen können und die Widerspruchslösung noch in dieser Wahlperiode zum Thema werden wird“, sagte Schwartze.

Die Idee für das Opt.Ink genannte Tattoo stammt von dem Verein Junge Helden. Vor etwas mehr als einem Jahr sei das Projekt gestartet, bei dem deutschlandweit rund 700 Tattoo-Studios mitmachten, sagte Anna Barbara Sum, Mitgründerin des Vereins.

Durch das Tattoo solle der Wille des jeweiligen Menschen in Bezug auf eine mögliche Organspende sofort er­kennbar sein. Denn ohne ein schriftliches Einverständnis müssen dem Verein zufolge nach dem Tod die Ange­hörigen eine Entscheidung treffen. Oft lehnten sie eine Organspende aber mangels Kenntnis über den mutmaß­lichen Willen des Verstorbenen ab.

Allerdings stellt das Tattoo einer Sprecherin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zufolge grund­sätzlich keine rechtsgültige Form der Dokumentation der Entscheidung zur Organspende dar. „Die Dokumen­ta­tion erhält rechtliche Gültigkeit erst durch die persönliche Unterschrift, sei es auf einem Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder einem formlosen Schriftstück“. Dennoch könne ein Tattoo als Willensbekundung gewertet werden und wenn keine weitere schriftlich dokumentierte Entscheidung vorliege, bei der Entschei­dungsfindung helfen, so die Sprecherin.

Erklärungen zur eigenen Organspendebereitschaft können seit März auch digital dokumentiert werden. Seitdem kann man in einem zentralen Onlineregister ab dem Alter von 16 Jahren eintragen, ob man zu einer Spende nach dem Tod bereit ist oder nicht.

Im vergangenen Jahr haben 965 Menschen nach ihrem Tod ein Organ oder mehrere Organe gespendet. Das waren 96 mehr als nach einem starken Einbruch 2022, wie die koordinierende Deutsche Stiftung Organtrans­plan­tation bilanzierte. Zugleich standen aber knapp 8400 Menschen auf den Wartelisten für eine Transplan­tation.

nfs/dpa/kna

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