„Ich möchte Patienten bei einem Verdacht auf einen Behandlungsfehler besser unterstützen“
Berlin – Seit wenigen Tagen ist Stefan Schwartze neuer Patientenbeauftragter der Bundesregierung. Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) erklärt er, was er sich für seine Amtszeit vorgenommen hat, wie er die Stellung der Patienten im Haftungssystem verbessern will und was ihm bei einer Reform des Patientenrechtegesetzes anstrebt.

5 Fragen an Stefan Schwartze, Patientenbeauftragter der Bundesregierung
DÄ: Herr Schwartze, welches Niveau hat der Patientenschutz aus Ihrer Sicht derzeit im deutschen Gesundheitswesen?
Stefan Schwartze: Die Patientensicherheit genießt meines Erachtens, insbesondere dank des unermüdlichen Einsatzes aller Beschäftigten im Gesundheitswesen, einen ausgesprochen hohen Stellenwert und das ist richtig und notwendig. Denn unser Gesundheitssystem ist kein Selbstzweck.
Oberste Priorität muss eine möglichst sichere und optimale Versorgung mündiger Patientinnen und Patienten unter Wahrung ihrer individuellen Bedürfnisse sein.
Bereits jetzt haben wir dafür zahlreiche gesetzliche Vorgaben und etablierte Strukturen, die die Sicherheit und Qualität in der ambulanten und stationären Versorgung sicherstellen und eine offene Fehlerkommunikations- und Fehlervermeidungskultur fördern sollen. Ich denke hier beispielsweise an Festlegungen zum Risikomanagement und Fehlermeldesysteme sowie an das patientenorientierte Beschwerdemanagement in Krankenhäusern.
Dennoch sind alle Akteure im Gesundheitswesen gefordert, ihre Strukturen und Prozesse immer wieder zu überprüfen und im Sinne der Patientensicherheit stetig weiterzuentwickeln. Zur Erhöhung der Patientensicherheit werbe ich daher zum einen für eine Ausweitung der Mindestmengenregelung, um sicherzustellen, dass bestimmte planbare, aber schwierige Eingriffe nur in solchen Krankenhäusern durchgeführt werden, deren Personal über ausreichende Erfahrung und Expertise in diesem Feld verfügen.
Ich setze mich außerdem für den Aufbau eines nationalen Registers zur anonymen Erfassung von besonders schwerwiegenden, aber vermeidbaren Fehlern im Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung, den sogenannten Never Events, ein. Ein nationales Meldesystem könnte die Grundlage bilden, um aus der systematischen Erfassung und Analyse von Fehlern passende Präventionsmaßnahmen abzuleiten, die Patientensicherheit weiter zu verbessern und um sicherzustellen, dass die vorgenommenen Anstrengungen wirken.
Letztlich ist auch immer noch zu wenig über die Sicherheit in der ambulanten Versorgung bekannt, was nicht nur die ärztliche Versorgung betrifft. Hier gilt es im Sinne der Patientinnen und Patienten für mehr Transparenz zu sorgen.
DÄ: Welches sind die drei wichtigsten Ziele, die Sie sich für Ihre Amtszeit gesetzt haben?
Schwartze: In meiner Amtszeit möchte ich mich für die Interessen der Patientinnen und Patienten bestmöglich auf den verschiedenen politischen Ebenen stark machen. Das Spektrum ist weit und die Interessen vielfältig. Und Bedarfe können kurz- und langfristig einem dynamischen Wandel unterliegen, was uns die Pandemie gerade eindrucksvoll vor Augen führt.
Deswegen ist mein Bestreben in und über diese besondere Zeit hinaus, die Belange der Patientinnen und Patienten besser sichtbar zu machen, sie mehr in den Fokus aktueller Diskussionen zu führen und damit für eine stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen zu sorgen.
Ganz konkret möchte ich mich zum Beispiel neben der bereits angesprochenen Erhöhung der Patientensicherheit insbesondere dafür einsetzen, die Patientenrechte zu stärken und die Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger weiter zu verbessern.
DÄ: Wie wollen Sie diese Ziele erreichen?
Schwartze: Mit Blick auf die Patientenrechte ist es mir besonders wichtig, Patientinnen und Patienten bei einem Verdacht auf einen Behandlungsfehler besser zu unterstützen. Der Koalitionsvertrag der neuen Regierung formuliert hierzu das absolut richtige Vorhaben, die Stellung der Patientinnen und Patienten im Haftungssystem zu stärken.
Um dieses Ziel zu erreichen, schlage ich vor, die seit längerem diskutierte Absenkung des Beweismaßes eingehend zu prüfen. Nach geltendem Arzthaftungsrecht müssen Patientinnen und Patienten zweifelsfrei nachweisen, dass ein Behandlungsfehler die Ursache für einen erlittenen Gesundheitsschaden ist. Dieser Nachweis gelingt im Rechtsstreit aufgrund der Komplexität von Ursache und Wirkung im menschlichen Körper oft nicht.
Wenn es zukünftig für den Nachweis der Kausalität ausreichend wäre, dass der Zusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden überwiegend wahrscheinlich ist, könnte dies im Schadensfall die Chancen für die Betroffenen erhöhen, ihre Rechte durchzusetzen.
Hinsichtlich der Verbesserung der Gesundheitskompetenz wird es ganz wesentlich darauf ankommen, die im Koalitionsvertrag verabredete Überführung der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Institution gewissenhaft umzusetzen.
Das qualifizierte, neutrale, unabhängige und kostenfreie Beratungsangebot der UPD ist ein zentraler Baustein, wenn es darum geht, Patientinnen und Patienten niedrigschwellig zu sozialrechtlichen und medizinischen Fragen zu beraten und es ihnen zu ermöglichen, sich selbstbestimmt durch unser Gesundheitssystem zu bewegen.
Eine verstetigte Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen verspricht nicht nur eine höhere Akzeptanz und Bekanntheit bei den Ratsuchenden, sondern bietet zudem alle Möglichkeiten für eine weitere Verbesserung der Beratungsqualität und Integration innovativer Beratungsformen.
DÄ: Mit dem Patientenrechtegesetz sollten im Jahr 2013 die Rechte der deutschen Patienten gestärkt werden. Ist das aus Ihrer Sicht gelungen?
Schwartze: Das Patientenrechtegesetz war ein Meilenstein. Es hat den Behandlungsvertrag im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert und damit die zuvor größtenteils nur durch Richterrecht bestehenden Rechte von Patientinnen und Patienten erstmals auf eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gestellt und verbessert. Das hat Transparenz über die vertraglichen Rechte und Pflichten im Behandlungsgeschehen geschaffen und den Grundstein dafür gelegt, dass Patientinnen und Patienten ihre Ansprüche besser durchsetzen können.
Nach fast zehn Jahren ist es jetzt allerdings an der Zeit für eine Weiterentwicklung, um dem nach wie vor bestehenden Ungleichgewicht Rechnung zu tragen – beispielsweise in Bezug auf Behandlungsfehler – und um Umsetzungsschwierigkeiten wie bei der Durchsetzung von Einsichtsrechten zu beheben. Zudem sollten wir diskutieren, welche Anpassungen an gesellschaftliche Entwicklungsprozesse notwendig sind, wie zum Beispiel die fortschreitende Digitalisierung des Gesundheitswesens.
DÄ: Wie kann es gelingen, die Gesundheitskompetenz der Menschen in Deutschland zu verbessern?
Schwartze: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich viele Menschen in gesundheitlichen Fragen nicht gut zurechtfinden. Das liegt insbesondere daran, dass unser Gesundheitssystem immer komplexer wird und das damit verbundene Informationsangebot nahezu unüberschaubar ist.
Eine aktuelle Studie der Universität Bielefeld zeigt, dass für die Gesundheitskompetenz vor allem das Alter, der soziale Status und der Bildungsstand eine Rolle spielen. Es gilt daher zunächst einmal bestehende neutrale und qualitätsgesicherte Informations- und Beratungsangebote – wie etwa die der UPD oder des Nationalen Gesundheitsportals gesund.bund.de – noch bekannter zu machen und die Inanspruchnahme so niedrigschwellig wie möglich zu gestalten.
Für vulnerable Patientengruppen, zum Beispiel ältere oder chronisch Kranke beziehungsweise Menschen mit Sprachbarrieren, müssen wir eine wohnortnahe Unterstützung anbieten. Im besten Fall sind das aufsuchende und mehrsprachige Angebote, die auf die individuellen Bedürfnisse eingehen und die Ratsuchenden im Bedarfsfall längerfristig begleiten.
Hier können die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Gesundheitskioske in den Kommunen und vor allem Patientenlotsen, die sich in vielen Modellvorhaben bewährt haben, einen wertvollen Beitrag zur Steigerung der Gesundheitskompetenz und Förderung der Gesundheit leisten. Entscheidend wird sein, mögliche neue Beratungsangebote sinnvoll mit den bestehenden Strukturen zu verzahnen, um Doppelstrukturen zu vermeiden.
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