„Wir kommen um die Bürokratie nicht herum“
Essen – Der ökonomische Druck, den viele Krankenhausärzte in ihrem Alltag spüren, ist groß. Die Ursache dieses Drucks sind die Anreize des DRG-Systems, das Leistungsausweitungen sowie Einsparungen bei den Personalkosten finanziell belohnt. Boris Augurzky vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, erklärt, weshalb es ohne ökonomische Vorgaben nicht geht und wie das DRG-System sich künftig verändern könnte.

Fünf Fragen an Boris Augurzky, RWI
DÄ: Viele Experten sind sich einig, dass das DRG-System nicht perfekt ist, aber doch besser als das Selbstkostendeckungsprinzip früherer Tage. Ist aus Ihrer Sicht ein System denkbar, das die Vorteile des deutschen DRG-Systems beibehält, zugleich aber negative Auswirkungen wie bestimmte Mengenanreize ausschließt?
Boris Augurzky: Grundsätzlich wird es kein reguliertes Preissystem geben, das keine unerwünschten Nebeneffekte hat. Die Frage ist daher, wie man unerwünschte Nebeneffekte minimieren kann. Ich würde empfehlen, am bestehenden und erprobten DRG-System aufzusetzen und es punktuell weiterzuentwickeln. Um Mengenanreize zu dämpfen, ist Transparenz über das Versorgungsgeschehen wichtig. Damit können Auffälligkeiten in der Versorgung besser erkannt werden. Sollten einige davon aus medizinischen Gründen unerwünscht sein, sollten gezielt Maßnahmen eingeleitet werden, um die Auffälligkeiten zu reduzieren – durchaus lokal dort, wo sie auftreten. Die elektronische Patientenakte wäre dafür ein hilfreiches Mittel, um die nötige Transparenz und außerdem einen sektorenübergreifenden Blick zu schaffen.
DÄ: Führt das Primat der Ökonomie, wie es aus der heutigen Krankenhausfinanzierung hervorgeht, aus Ihrer Sicht zu einer Verschlechterung der Patientenversorgung?
Augurzky: Es ist die Frage, wo man das Primat der Ökonomie ansetzt. Denn vermeidbar wird es nicht sein können, ganz einfach deswegen, weil wir nur begrenzte Ressourcen haben. Die Frage ist nicht, ob wir per Zauberei die Ressourcenknappheit einfach ausschalten können, sondern in welchen Segmenten wir welchen Nutzen aus den eingesetzten Ressourcen ziehen können. Ich glaube, dies ist unstrittig auch unter Medizinern.
Wo diesbezüglich häufig Streit aufkommt, ist auf der betrieblichen Ebene: Soll ein Patient aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen heraus eine Leistung erhalten, die medizinisch nicht oder nur wenig sinnvoll ist? Hier muss ganz klar der Patientennutzen an erster Stelle stehen. Allerdings müssen wir dazu auch das Vergütungssystem so anpassen, dass der Leistungserbringer daran ein ökonomisches Interesse verspürt. Man kann es auch anders formulieren: Das ideale Vergütungssystem bringt den medizinischen Nutzen und den betriebswirtschaftlichen Nutzen in Übereinstimmung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gesamtwirtschaftlichen Ressourcen natürlich beschränkt sind, das heißt, nicht jeder denkbare Patientennutzen kann stets vollumfänglich finanziert werden.
DÄ: Die bürokratischen Pflichten im Krankenhaus sind an einem Punkt angelangt, der viele Ärzte und Pflegekräfte demotiviert. Wenn man die Qualität der Patientenversorgung verbessern will: Müsste man die Dokumentationspflichten dann nicht zurückfahren?
Augurzky: Je mehr Verwaltungstätigkeiten zu erbringen sind, die nicht mit der eigentlichen Tätigkeit zu tun haben, desto weniger Freude hat man an seinem Beruf – insbesondere dann, wenn auch der Nutzen der administrativen Tätigkeiten nicht erkenntlich wird. Das gilt nicht nur in der Medizin und der Pflege. Zum Beispiel haben auch Wissenschaftler nur ganz wenig Freude an den vielen administrativen Aufgaben, die sie von ihrer eigentlichen Arbeit ablenken. Einige dieser Tätigkeiten sind jedoch wichtig, um Transparenz herzustellen, zum Beispiel über die Qualität. Und erst mit einer ausreichenden Transparenz kann ich einen Betrieb in die richtige Richtung steuern.
Es wäre schade, wenn man zwar völlig befreit von administrativen Tätigkeiten seiner Haupttätigkeit nachgehen könnte, es sich aber hinterher herausstellte, dass sie kaum einen Nutzen gestiftet hat. Kurz: Wir kommen um die Bürokratie nicht herum, sollten aber alles in unserer Macht Stehende tun, um sie so effizient wie nur möglich zu gestalten, zum Beispiel indem wir Daten nur einmal erfassen, möglichst digitalisieren und automatisieren und auch zurückspielen, was mit ihnen geschieht.
DÄ: Die Krankenkassen meinen, wenn es in Deutschland weniger Krankenhäuser gäbe, würde die Qualität der stationären Versorgung steigen, weil sich das Personal und dessen Können auf weniger Standorte konzentrieren könnten. Die Krankenhäuser meinen hingegen, mehr Standorte zu haben als andere europäische Länder, sei ein Zeichen höherer Qualität. Wer hat Recht?
Augurzky: Hier wird mit zwei verschiedenen Qualitätsbegriffen gearbeitet. Die Kassen zielen auf die Ergebnisqualität. Und um diese zu optimieren, ist Spezialisierung und Bündelung der Kapazitäten durchaus hilfreich, schon auch, um geeignetes Personal zu finden. Die Krankenhausseite zielt dagegen auf die Qualität des Zugangs zur medizinischen Versorgung. Es hilft ja nichts, wenn wir ein zwar Top-Krankenhaus hätten, das aber für manche Menschen nur in fünf Stunden erreichbar wäre.
Leider gibt es einen Zielkonflikt zwischen der medizinischen Qualität einerseits und ihrer Erreichbarkeit andererseits, wiederum weil die gesamtwirtschaftlichen Ressourcen begrenzt sind. Wir können zum Beispiel nicht in jedem Dorf eine Uniklinik bauen. Die Frage ist daher, wo man sich bei diesem Zielkonflikt verorten will: sehr gute Erreichbarkeit, gegebenenfalls zulasten der medizinischen Qualität, oder Spitzenmedizin mit weniger guter Erreichbarkeit. Wir lösen diesen Zielkonflikt nur, wenn wir eine Mindesterreichbarkeit und eine Mindestqualität definieren. Im Raum stehen zum Beispiel 30 Minuten Mindesterreichbarkeit.
DÄ: Wie könnte man das DRG-System weiterentwickeln. Auf einer Tagung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung haben Sie in diesem Zusammenhang vor kurzem von Hybrid-DRGs gesprochen…
Augurzky: Das zentrale Problem sind die mangelnde Vernetzung von ambulanter und stationärer Versorgung und damit zusammenhängend die unterschiedlichen Vergütungssysteme. Wenn ich zum Beispiel stationäre Krankenhausfälle habe, die vielleicht auch ambulant hätten erbracht werden können, aber dabei deutlich schlechter vergütet werden, erbringe ich sie nicht ambulant.
Es ist also die Frage, wie sich das Vergütungssystem so verändern lässt, dass die ambulante Erbringung auch betriebswirtschaftlich Sinn macht. Hier kommt der Gedanke der Hybrid-DRGs auf. Man könnte dafür geeignete DRGs in stationär und teilstationär trennen. Die teilstationäre Variante wäre geringer vergütet, hätte aber auch einen geringeren Ressourcenverbrauch, sodass sich ihre Erbringung wirtschaftlich lohnen würde. Anbieter der teilstationären DRGs könnten Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte oder Kooperationsformen sein.
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