Ausland

Europa setzt auf freiwillige Flüchtlings­verteilung

  • Montag, 28. März 2022
Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit ihrem französischen Amtskollegen Gerald Darmanin beim heutigen Treffen der EU-Innenminister in Brüssel. /picture alliance, EPA, Oliver Hoslet
Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit ihrem französischen Amtskollegen Gerald Darmanin beim heutigen Treffen der EU-Innenminister in Brüssel. /picture alliance, EPA, Oliver Hoslet

Brüssel – Deutschland und die Europäische Union (EU) setzen bei der Verteilung der Millionen Ukraine-Flüchtlinge auf freiwillige Aufnahme. Von einer verpflichtenden Quote für die EU-Länder wollte Bundes­innenministerin Nancy Faeser beim Treffen mit ihren EU-Kollegen in Brüssel nichts mehr wissen.

Auch andere Staaten erteilten dem schon während der großen Fluchtbewegung 2015/2016 gescheiter­ten Konzept eine Absage – und beschworen stattdessen die europäische Solidarität. Faeser distanzierte sich damit deutlich von früheren Aussagen: Noch Mitte des Monats hatte sie dem Spiegel gesagt, Ziel müsse „eine Verteilung der Ukraine-Geflüchteten innerhalb Europas nach festen Quoten sein“.

Von den mehr als 44 Millionen Ukrainern haben seit Beginn des russischen Angriffskrieg nach UN-Anga­ben bereits mehr als 3,86 Millionen Menschen das Land verlassen. Mehr als zwei Millionen dieser Kriegs­flüchtlinge sind in Polen angekommen, in Deutschland sind bisher 272.338 Flüchtlinge registriert wor­den.

Da es keine festen Grenzkontrollen gibt, dürfte die Zahl der Geflüchteten in Deutschland allerdings tat­sächlich deutlich höher liegen. Anfang März haben die EU-Staaten entschieden, allen Ukrainern schnell und unbürokratisch Schutz zu bieten.

Faeser stellt nun klar: „Es geht nicht um feste Quoten heute, sondern es geht um ein solidarisches Ver­teilsystem.“ In den vergangenen Wochen sei große Solidarität unter den EU-Staaten erreicht worden. Darauf solle nun aufgebaut werden. Dieser Kurswechsel ist wohl auch der Macht des Faktischen ge­schuldet.

Denn Unterstützer einer solchen Quote lassen sich in der EU nicht finden. Vielen ist der Streit von vor einigen Jahren noch gut in Erinnerung, als sich etwa Polen, Ungarn und Tschechien vehement gegen ein solches System sperrten. Per Mehrheitsentscheidung wurde dann doch ein Beschluss für die Verteilung von bis zu 160.000 Menschen durchgesetzt, dessen Umsetzung aber auf Widerstand stieß. Der Streit ging bis vor den Europäischen Gerichtshof, Vertrauen wurde zerstört.

Bundeskanzler Olaf Scholz nimmt die anderen EU-Staaten in die Pflicht. Bisher seien viele Schutzsu­chen­de vor allem in den an die Ukraine grenzenden Ländern und in Deutschland angekommen, sagt der SPD-Politiker in Berlin. Jetzt müsse es darum gehen, dass auch andere Länder einen Anteil der Menschen aufnähmen, die nicht genau wüssten, wo sie hingehen sollten.

„Es braucht hier klare Zusagen, und die gibt es auch. (...) Wir halten aber nichts von Quoten“, sagt etwa Österreichs Minister Gerhard Karner. Frankreichs Minister Darmanin weist darauf hin, dass die besonders belasteten Länder Polen, Ungarn und Rumänien bislang nicht um Umsiedlung gebeten hätten. Polen dringt stattdessen immer wieder auf finanzielle EU-Hilfe. Und die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson sagt: „Wir arbeiten nicht an irgendwelchen Quoten.“

Doch wie sollen die Menschen dann verteilt werden? Johansson schlägt dafür einen Index vor, der die freiwillige Verteilung einfacher machen soll. Er soll Johansson zufolge berücksichtigen, wie viele Flücht­linge sich derzeit in einem EU-Land aufhalten.

Ziel sei, dass EU-Staaten anbieten, Menschen aufzuneh­men, wenn andere besonders belastet sind. Zu­dem will Johansson mit der französischen EU-Ratspräsidentschaft einen Zehn-Punkte-Plan vorlegen. Da­rin solle es unter anderem darum gehen, ein gemeinsames System zur Registrierung der Ukraine-Flücht­linge aufzusetzen.

„Verbindliche Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen wären wünschenswert, auch in dieser Situation“, sagte Konstantin Kuhle, Fraktionsvize der FDP im Bundestag. „Es wäre aber falsch, eine Reform der europäischen Asylpolitik nun anhand des Krieges gegen die Ukraine übers Knie zu brechen.“

Wichtig sei ein Schulterschluss aller liberalen Demokratien. Da wäre es ein gutes Zeichen, wenn sich nicht nur europäische Staaten, sondern auch die USA, Kanada oder Australien an einer Luftbrücke für Menschen aus der Ukraine, die in Nachbarländer wie Moldau oder Polen geflohen sind, beteiligten.

In der Opposition steht Faeser ohnehin heftig in der Kritik. Die Union wirft ihr mangelnde Voraussicht vor. „Statt von vornherein konsequent zu handeln, lässt Frau Faeser vieles laufen und muss sich dann korrigieren“, sagt der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Alexander Throm (CDU).

„Das ist ein echtes Problem, denn manches lässt sich dann nicht mehr ändern.“ Faeser hätte schon beim Beschluss der Massenzustrom-Richtlinie auf Aufnahmekontingente aller Mitgliedstaaten dringen müssen – „die Richtlinie sieht das eigentlich zwingend vor“. Jetzt sei sie auf EU-Ebene „in der Position der Bitt­stellerin“.

Die Probleme, die es EU-weit im Großen gibt, gibt es so ähnlich auch in Deutschland. Hier ist die Bereit­schaft der Bevölkerung, den Kriegsflüchtlingen zu helfen, zwar immer noch groß. Gleichzeitig ist von etli­chen Bürgermeistern und ehrenamtlichen Helfern jedoch deutliche Kritik an der aus ihrer Sicht mangel­haften Organisation und Aufgabenteilung zu vernehmen – vor allem aus Städten, in denen besonders viele Menschen Zuflucht suchen.

Über die Verteilung der Kosten für Unterkunft, Versorgung und Integration gibt es zwischen Bund und Ländern noch keine Einigung. Eine Arbeitsgruppe soll dazu spätestens am 7. April einen Vorschlag vorlegen.

dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung