Medizinische Lehre: Auseinandersetzung mit NS-Zeit und Antisemitismus angemahnt

Berlin – Bundesweit sollte es an allen Hochschulen einen Antisemitismusbeauftragten geben. Das hat der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, auf dem Fachtag „Medizin und Nationalsozialismus – Stand und Perspektiven medizinhistorischer Forschung“ angemahnt.
Klein unterstrich, insbesondere Bildungseinrichtungen müssten sich mit dem Thema und strukturellen Maßnahmen im Kampf gegen Antisemitismus auseinandersetzen.
Vertreterinnen und Vertreter aus der medizinischen sowie medizinhistorischen Forschung und Lehre stellten auf der Tagung Praxisbeispiele vor, mit denen Fakultäten die Medizingeschichte des Nationalsozialismus bereits vermitteln und das Bewusstsein der Studierenden für die Verantwortung von Ärztinnen und Ärzten zu schärfen versuchen.
Zu den Angeboten zählen Exkursionen zu Gedenkstätten von Medizinverbrechen der NS-Zeit, mit denen die Phillips-Universität Marburg unter anderem das Verständnis für die damalige und heutige gesellschaftliche Einbettung fördern will.
„Der gemeinsame Exkursionstag als besonderes – auch soziales – Erlebnis verankert die Inhalte und die Reflexion stärker in der Erinnerung und kann als Ergänzung zu üblichen Lehrformaten dienen“, erläuterte Maike Rotzoll, Professorin am Marburger Institut für Geschichte der Pharmazie und Medizin.
In Erlangen nutzt Fritz Dross, Professor am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU), Audiowalks als Lehrmaterial. An elf Stationen wird an die Krankenmorde in der bayerischen Stadt erinnert.
Dross mahnte, dass solche Geschichtsorte überall im Alltag zu finden seien. Diese im Rahmen interdisziplinärer Lehrangebote zu integrieren, sei wichtig. Das gelte auch und gerade, weil Studierende heute oft eine distanzierte Haltung zu diesem Teil der deutschen Geschichte hätten und keinen Diskussionsbedarf sähen.
Einen weiteren Ansatz verfolgt Nadine Metzger, ebenfalls von der FAU. In ihren Lehrveranstaltungen bespricht sie mit ihren Studierenden den Jugendroman „Auf Wiedersehen in Tübingen“ von 1943. Das Buch spielt in der Zeit des Nationalsozialismus und erzählt die Geschichte zweier Freundinnen, die zum Medizinstudium nach Tübingen gehen.
Es behandelt unter anderem den Studienalltag in dieser Zeit, das Arztbild, die Rolle Studierender im Kriegseinsatz sowie studentischer Umsiedlungshelferinnen in Polen und Frauen- und Männerideale. Metzger beschreibt das Buch als offensichtliche Propaganda und hochgradig manipulativ.
Über die Lektüre könnten die Studierenden mitverfolgen, was mit ihnen passiere und wie sie manipuliert werden sollten. Wichtig sei dabei eine gute Begleitung in Form von Gesprächen und Kontextualisierung.
Das übergeordnete Lernziel, das Sabine Schlegelmilch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Medizin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, in ihrer Vorlesung verfolgt, ist die Bildkompetenz der Studierenden.
Sie sollen lernen, kritischer mit Abbildungen ihres Faches umzugehen und dies auch auf andere Kontexte zu übertragen. Dafür bespricht sie beispielsweise Bildinhalte, die Anordnung auf den Abbildungen und Bildnachweise.
Auch „wandernde Bilder“ werden thematisiert – das Phänomen, dass dasselbe Bild als Beleg verschiedener Diagnosen auftaucht. Ebenso lenkt sie den Blick auf Beispiele der eugenischen Ideologie wie sogenannte Sippenbilder, sowie auf die für den deutschen Sprachraum charakteristische Konvention, nackte Patientinnen und Patienten darzustellen, auch wenn es die darzustellende Pathologie nicht unbedingt erfordere.
„Es ist wichtig, den Studierenden klarzumachen, dass solche Bildtraditionen nicht schlagartig nach 1945 verschwanden, sondern in die Nachkriegszeit hineinwanderten, da sie ja vermeintlich medizinisch waren“, betonte Schlegelmilch. Auch, dass bis in die 1960er-Jahre bekennende Eugeniker medizinische Lehrstühle erhielten und den öffentlichen Diskurs beeinflussten, müsse vermittelt werden.
Interdisziplinäre Lehrinhalte zu integrieren sei nicht immer einfach, so Dross. Dass sich Medizinstudierende im Zuge der Neuregelung der Approbationsordnung für Ärztinnen und Ärzte künftig mit der Medizin im Nationalsozialismus beschäftigen müssen, begrüßten die Beteiligten des Fachtages.
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