Meistzitiert: Männer dominieren, Kluft zwischen Geschlechtern schrumpft

Stanford – Wissenschaftliche Publikationen werden nach wie vor von Männern dominiert. Die Zahl der Forscherinnen, die häufig zitiert werden nimmt aber zu. Das zeigt eine Analyse von 5,8 Millionen Autorinnen und Autoren (440.000 aus Deutschland) aus allen wissenschaftlichen Disziplinen (PLOS Biology 2023; DOI: 10.1371/journal.pbio.3002385).
In der Wissenschaft gibt es eine große Kluft zwischen den Geschlechtern, die sich auf vielfältige Weise darstellt. Eines der auffälligsten Probleme ist der ungleiche Anteil von Männern und Frauen unter den Forschenden, deren Arbeiten in der wissenschaftlichen Literatur am meisten Beachtung finden.
Verglichen wurden Erstveröffentlichung vor 1992, 1992 bis 2001, 2002 bis 2011 und nach 2011: Insgesamt war die Zahl der Männer unter allen Autoren um das 1,88-Fache und bei den am häufigsten zitierten Autoren um das 3,21-Fache höher als die der Frauen.

Ein Vergleich im Laufe der Zeit zeigte aber einen Wandel: Die Zahl der Männer unter den Autoren, die vor 1992 mit der Veröffentlichung begannen, war um das 3,93-Fache höher als die der Frauen. Zwischen 1992 und 2001 verringerte sich die Differenz auf das 2,06-Fache und sank weiter auf das 1,36-Fache nach 2011.
Ein vergleichbarer Trend zeigt sich bei der Zahl der meistzitierten Forschenden: Hier waren Männer vor 1992 noch um das 6,41-Fache häufiger vertreten als Frauen. Die Kluft sank im Laufe der Zeit auf das 2,28-Fache.
Die Arbeit dokumentiere im Laufe der Zeit einen erheblichen Rückgang der Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen im Bezug auf Zitierungen (scientific citation impact), sagte Erstautor John Ioannidis vom Meta-Research Innovation Center at Stanford (METRICs) an der Stanford University. Dennoch gebe es in den meisten wissenschaftlichen Bereichen noch Luft nach oben für Verbesserungen.
Deutschland schneidet beim Frauenanteil schlechter ab als Italien oder Rumänien
Ein Blick auf die verschiedenen Länder zeigte zudem, dass das Ausmaß der Kluft zwischen den Geschlechtern unterschiedlich ausgeprägt war.
In der jüngsten Kohorte gab es in elf Ländern sogar weniger männliche als weibliche Autoren: Die niedrigsten Quotenverhältnisse lagen bei 0,63 in Thailand und 0,87 in Italien und Rumänien. In Italien kamen beispielsweise 26.200 Forscher auf fast 30.000 Forscherinnen.
In 41 Ländern gab es mehr Männer als Frauen: Die höchsten Quoten lagen bei 6,85 im Irak und 4,06 in Saudi-Arabien. In Deutschland dominieren in der jüngsten Kohorte nach 2011 ebenfalls die Männer mit einem Verhältnis von 1,83 (58.400 Forscher, 32.000 Forscherinnen).
Bei der Analyse der Meistzitierten konnten hingegen auch in der jüngsten Kohorte kein Land identifiziert werden, in dem die Frauen die Nase vorn hatten: In Italien und Rumänien war das Verhältnis fast ausgeglichen.
Deutlich im Vorteil bei den Meistzitierten waren männliche Autoren im Irak (Verhältnis Männer zu Frauen: 14,2) und in Japan (9,92). Und auch in Deutschland werden Männer in der jüngsten Kohorte nach 2011 deutlich häufiger zitiert (2,85).
Setzt man den Frauenanteil bei den Gesamtpublikationen und den Meistzitierten ins Verhältnis, sind die größten Verschlechterungen in Indien, Kolumbien, Pakistan, Argentinien, Finnland und Japan zu verzeichneten.
Von diesen sechs Ländern gab es in Argentinien und Finnland zwar insgesamt mehr weibliche als männliche Autoren. Die Häufigkeit der Zitierungen fiel dennoch deutlich zugunsten der männlichen Autoren aus.
Orthopädie und Chirurgie mit dem geringsten Frauenanteil
Darüber hinaus entscheidet auch das Fachgebiet darüber, wie groß der Geschlechterunterschied ausfällt. Ein Gender-Report aus dem Jahr 2020 zeigte die größten Disparitäten gegenüber Frauen in den Bereichen Chirurgie, Radiologie und Bildgebung, während in Bereichen wie Infektionskrankheiten oder Fruchtbarkeit mehr Autorinnen als Männer vertreten waren.
In der aktuellen Studie konnten Frauen Männer länderübergreifend in 32 von 174 Fachgebieten nach 2011 zahlenmäßig übertreffen oder lagen zumindest gleich auf. Medizinische Fachgebiete waren dabei ebenfalls entscheidend (siehe Kasten).
Den geringsten Frauenanteil der Meistzitierten konnte das Fachgebiet der Orthopädie mit nur 14 Prozent aufweisen, gefolgt von der Chirurgie mit 28 Prozent, Kardiologie/Hämatologie und Gastroenterologie mit knapp 30 Prozent, der Urologie mit 32 Prozent und die Augenheilkunde mit 34 Prozent.
Die Fachgebiete der Onkologie und Dermatologie erreichten mit 42 und 44 Prozent fast eine ausgewogene Geschlechterverteilung.
Mehr als ein Drittel der Daten nicht ausgewertet
In der Studie werteten vier Forscher die gesamte Scopus-Datenbank aus. Diese umfasst die Arbeiten aus allen wissenschaftlichen Bereichen, darunter auch viele medizinische Fachgebiete.
Fast sechs Millionen Autorinnen und Autoren konnte ihre Geschlechtsidentität mit hoher Sicherheit zugeordnet werden. Davon waren 3.8 Millionen Männer und 2.0 Millionen Frauen (Deutschland: 256.000 Männer, 95.000 Frauen, 88.000 unklar).
Bei den übrigen 3,3 Millionen (36,1 Prozent) war die Zuordnung zum Geschlecht nicht eindeutig – sie wurden in der Berechnung nicht berücksichtigt. Das traf vor allem auf Autorinnen und Autoren aus Ländern ohne hohe Einkommen zu (25,3 versus 56,2 Prozent), die mit 3,2 Millionen auch insgesamt seltener vertreten waren.
Forschende aus den USA stellten in verschiedenen Analysen und Alterskohorten etwa 30 bis 40 Prozent der Autoren aus Ländern mit hohem Einkommen dar. Der US-Frauenanteil war den Daten aus allen anderen Ländern mit hohem Einkommen aber sehr ähnlich.
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