Politik

5.000 neue Stellen im Öffentlichen Gesundheitsdienst

  • Samstag, 5. September 2020
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) /picture alliance
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) /picture alliance

Berlin - Bund und Länder wollen als Konsequenz aus der anhaltenden Coronapandemie bis Ende 2022 mindestens 5.000 neue und unbefristete Vollzeitstellen im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) schaffen. In einem ersten Schritt solle es bis zum 31. Dezember 2021 mindestens 1.500 Stellen für Ärzte, weiteres Fachpersonal und Verwaltungs­mitarbeiter geben, teilten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und die Vorsitzende der Länder-Gesundheitsminister, Berlins Senatorin Dilek Kalayci (SPD), am Samstag in Berlin mit.

Neben den neuen Stellen geht es um eine bessere Digitalisierung der Gesundheitsämter und -behörden sowie darum, die Arbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst attraktiver zu machen und zukunftsfähige Strukturen zu schaffen. Die 375 Gesundheitsämter spielen etwa beim Verfolgen von Infektionsketten sowie bei Anordnungen von Tests und Quarantäne eine wesentliche Rolle.

Der schwarz-rote Koalitionsausschuss hatte sich am 22. Juni darauf geeinigt, für die Umsetzung eines „Pakts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ insgesamt 4 Milliarden Euro bis zum Jahr 2026 zur Verfügung zu stellen. Im Bund-Länder-Beschluss heißt es nun, die an dem Pakt Beteiligten seien sich einig, dass für dessen Umsetzung die Mitwirkung der kreisfreien Städte und Landkreise wesentlich sei.

Der Präsident des Deutschen Städtetages, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), lobte, es sei gelungen, den Pakt so zu schmieden, „dass er nachhaltig wirkt“. Die Städte hätten in den Verhandlungen deutlich gemacht, dass die Hilfen „kein Strohfeuer“ sein dürften.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Hans-Günter Henneke, begrüßte, dass es auf Drängen des kommunalen Spitzenverbandes gelungen sei, Bund und Länder zu überzeugen, die Interessen der Landkreise und Städte zu berücksichtigen. Unverzichtbare Bedingung für die Landkreise war demnach, dass sich die Länder gegenüber den kommunalen Trägern der Gesundheitsämter dazu bekennen, die Kosten der neuen Stellen vollständig und dauerhaft auszugleichen.

Marburger Bund fordert eigenen Tarifvertrag

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund forderte einen eigenen Tarifvertrag für die Ärztinnen und Ärzte in den Gesundheitsämtern. Nur so ließen sich bessere Bedingungen schaffen.

„Temporäre Zulagen sind keine Alternative und können Gehaltsunterschiede von mehr als 1.500 Euro im Monat zu den Arzttarifen in Krankenhäusern, im Medizinischen Dienst und im ambulanten Sektor auch nicht wettmachen“, erklärte der Verband. Neue Stellen in einem Bereich auszuweisen, in dem jetzt schon Stellen nicht nachbesetzt werden können, bleibe allerdings eine Luftnummer, so die Ärztegewerkschaft.

Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖ­GD) bezeichnete den Pakt als „bedeutenden Schritt“. Er könne dem ÖGD „endlich mehr Bedeutung in unserem Gesundheitssystem zu geben“, sagte BVÖGD-Chefin Ute Teichert.

Von der Bundesärztekammer (BÄK) hieß es, Bund und Länder hätten zwar mit dem Pakt ein „bisher beispielloses Hilfspaket“ für mehr Personal und bessere digitale Ausstattung in den Gesundheitsämtern geschnürt. Allerdings sollte niemand glauben, dass sich die Besetzung von 5.000 neuen Stellen einfach beschließen lasse, sagte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt. Für den Ausbau des ärztlichen Personals in den Gesundheitsämtern seien „kluge und nachhaltige Konzepte“ notwendig.

Wichtig wäre es deshalb, wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der morgigen Schaltkon­fe­renz mit Vertretern von Ländern und Kommunen für einen eigenständigen Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte im ÖGD einsetzen würde.

Bund und Länder seien außerdem „gut beraten“, über die Verwendung der Finanzmittel nicht am grünen Tisch zu entscheiden. Sie sollten sich vor Ort ein Bild machen und das Fachwissen der Ärzteschaft mit einbeziehen. Neben dem personellen Ausbau muss die digitale Vernetzung der Gesundheitsämter absolute Priorität haben.

„Wir müssen einheitliche und vor allem schnelle Meldeketten zwischen den Gesundheits­ämtern, den Landes- und Bundesbehörden, dem Bundesgesundheitsministerium und dem Robert Koch-Institut schaffen“, so Reinhardt. Mit dem Pakt seien die Voraussetzungen für Reformen geschaffen worden. „Aber die eigentliche Arbeit fängt jetzt erst an. Die Bundesärztekammer bietet der Politik hierfür ausdrücklich ihre Unterstützung an.“

Ihre Wertschätzung für die Arbeit in den Gesundheitsämtern drückte am Samstag auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus. „Wenn unser Land bisher so verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen ist, wenn das Infektionsgeschehen nicht die Ausmaße erreicht hat, die wir in anderen Ländern beobachten mussten, dann hat das nicht zuletzt mit dem zu tun, was tagtäglich im Öffentlichen Gesundheitsdienst geleistet wird“, sagte sie in ihrer wöchentlichen Videobotschaft.

Auf einer Videokonferenz am kommenden Dienstag will Merkel sich mit den Verantwortlichen vor Ort darüber austauschen, wie die Arbeit in den Gesundheitsämtern abläuft, „welche Herausforderungen sich stellen und wo die Politik helfen kann“.

Die Beschlüsse im Einzelnen

Personal: Mehr Stellen soll es auf allen Ebenen geben - in den örtlichen Gesundheitsämtern und Behörden, den mit dem Thema befassten Landesstellen sowie den obersten Landesbehörden. Dabei sollten aber grundsätzlich 90 Prozent der Stellen in unteren Gesundheitsbehörden wie den Gesundheitsämtern geschaffen werden. Auch Teilzeitstellen können aufgestockt werden. Der Bund will zur Umsetzung und Evaluierung bis Ende 2021 40 Stellen schaffen.

Digitalisierung: Die gemeinsame Kommunikationsplattform DEMIS (Deutsches Elektronisches Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz) soll bis Ende 2022 allen Gesundheitsbehörden in Bund und Ländern zur Verfügung gestellt werden. Der Aufbau von DEMIS beim Robert Koch-Institut (RKI) wird vom Bund finanziert. Über die 4 Milliarden Euro für das Paket hinaus stelle der Bund dazu schon 2020 Finanzhilfen in Höhe von 50 Millionen Euro zur Verfügung. Insgesamt sind für die bessere Digitalisierung 800 Millionen Euro vorgesehen. Entscheidendes Ziel der Digitalisierung sei es, eine Zusammenarbeit über alle Ebenen zu ermöglichen. Dafür sollen die für Meldungen und Berichte nötigen Schnittstellen und Systeme mit entsprechenden Standards geschaffen werden. Um Meldeverfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen, werden zentrale Plattformen des Bundes geschaffen, deren konsequente Nutzung vorangetrieben werden soll.Die Länder verpflichten sich dazu, dafür Sorge zu tragen, dass der Öffentliche Gesundheitsdienst digital zukunftsfähig wird und dass gemeinsame Mindeststandards eingehalten werden. Die Mindeststandards sollen sich an der „digitalen Reife“ einer Organisation festmachen. Dazu dienen die fünf Kategorien „IT-Infrastruktur“, „Hardware“, „Software“, „Informationssicherheit“ und „Prozessunterstützung“. Diese Standards sollen nun vom Bundesgesundheitsministerium mit den Ländern, Städten und Kommunen sowie anderen Experten bis zum Frühjahr 2021 erarbeitet werden.

Attraktivität: Damit die Stellen auch besetzt werden können, soll die Arbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst attraktiver werden. So sollen Anreize über das Besoldungsrecht wie auch über tarifvertragliche Regelungen und andere Maßnahmen geschaffen werden. Die Länder wollen auch für Verbesserungen für das beamtete ärztliche Personal sorgen. Bis dies umgesetzt ist, sollen bereits von 2021 an Verbesserungen eingeführt werden. Dafür soll jedes Land bis zu zehn Prozent seines Anteils aus dem Pakt nutzen können. Bund und Länder wollen zudem eine vertiefte Verbindung des ÖGD mit der Wissenschaft bei der Fort-, Aus- und Weiterbildung erreichen. Medizinstudierende sollen künftig schon im Studium stärker an die entsprechenden Themenfelder herangeführt werden.

Zudem soll auch die Fort-, Weiter- und Ausbildung von medizinischem Fachpersonal im Öffentlichen Gesundheitsdienst gestärkt werden. Die Länder verpflichten sich, Bildungsinstitutionen hier entsprechend personell und sachlich auszustatten. Dafür sollen die Länder zu Beginn der Förderperiode Mittel aus dem Pakt in Höhe von 35 Millionen Euro für fünf Jahre zur Verfügung stellen. Ein Konzept zur Aufteilung der Mittel soll bis Ende 2020 beschlossen werden.

Zukunftsfähige Strukturen: Der Öffentliche Gesundheitsdienst sei zunehmend zentraler Ansprechpartner auch in der Gesundheitsförderung und Prävention geworden, heißt es in dem Beschluss. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass er noch besser auf die aktuellen Herausforderungen eingestellt werden müsse. Deswegen soll der Gesundheitsdienst nun für kommende Pandemien und andere nationale gesundheitliche Notlagen organisatorisch und rechtlich besser aufgestellt werden. Die Grundlagen dafür soll ein externer und unabhängiger Expertenbeirat schaffen. Unter anderem müssten Kommunikationswege beschleunigt und vereinfacht werden.

Umsetzung: Der Bund stellt den Ländern zur Umsetzung des Pakts einmalig Mittel in Höhe von 3,1 Milliarden Euro zur Verfügung - in sechs Tranchen. Dafür erhalten die Länder gegen Nachweis Festbeträge im Rahmen der Umsatzsteuerverteilung. Diese Mittel sollen vorrangig in den Personalaufwuchs und für mehr Attraktivität der Arbeit im ÖGD fließen. Die restlichen Gelder sollen in den Aufbau von Strukturen, für Forschung und Evaluierung sowie zur Stärkung der Bundesbehörden ausgegeben werden.

dpa/afp

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