Politik

Ambulantisierung birgt Potenzial, aber auch Risiken

  • Mittwoch, 17. April 2024
/picture alliance, KEYSTONE, Michael Buholzer
/picture alliance, KEYSTONE, Michael Buholzer

Düsseldorf – Die Ambulantisierung von stationären Leistungen birgt großes Potenzial, um bestehende He­rausforderungen im Gesundheitssystem zu meistern. In diesem Punkt bestand bei einer Online-Veranstaltung der Handelsblatt Media Group zur „Zukunft der Versorgung“ Einigkeit. Jedoch birgt die Ambulanti­sie­rung auch Probleme. Ein Blick in die Schweiz könnte dabei entsprechende Lösungswege aufzeigen.

Die Top-Fünf Bereiche, die einen hohen Anteil von ambulant-sensitiven Eingriffen in Deutschland verzeichnen, seien die Inter­ventionelle Kardiologie (58 Prozent), Kardiale Devices (42 Prozent), Allgemeine Frauenheilkunde (30 Prozent), Plastische und Rekonstruktive Chirurgie (27 Prozent) und Urologie (27 Prozent), erklärte Manuel Heurich, Geschäftsführer des Softwareentwicklers Bindoc.

Dieser Prozentsatz könnte jeweils künftig ambulant erbracht werden. Leistungserbringer müssten sich auf diese Transformation vorbereiten und ihre Versorgung umstellen, betonte Heurich. In einem Beispiel rund um Tübingen zeigte er, dass es zwar viele niedergelassene Ärzte gebe, die dieses Ambulantisie­rungspotenzial auffangen könnten.

Wenn es aber um Fachärzte der Richtungen Kardiologie und Urologie gehe, sei das Netz be­reits heute schon deutlich dünner. Dies sei nicht die beste Ausgangslage für geplante Ambulantisierungsmaßnahmen. Die nie­dergelassenen Ärztinnen und Ärzte würden das nicht alleine stemmen können, so Heurich. Unter anderem deswegen spielten die geplanten sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen eine wichtige Rolle.

Der Abteilungsleiter für den Bereich Ambulante Versorgung beim Verband der Ersatzkassen (vdek), Boris von Maydell, warnte zudem davor, dass die Niedergelassenen aus diesen Gründen künftig mehr operative statt konservativer Leistungen anbieten würden. Man müsse vor allem Regelungen finden, um Kliniken die Mög­lichkeit zu geben, sich auch für den ambulanten Bereich zu öffnen. Eine Konkurrenz für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sei aber zu vermeiden.

Sektorenübergreifende Bedarfsplanung benötigt

Von Maydell sprach sich deshalb für eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung aus. Ambulante Zentren müssten zudem entsprechend stärker gefördert werden. Diesbezüglich sieht er es kritisch, dass die ursprüng­lich geplanten Primärversorgungszentren aus dem Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, GVSG) vermutlich aus finanziellen Gründen gestrichen worden seien.

Die Ärztin aus der Helios Klinik in Berlin-Buch, Susanne Dörr, zeigte für diese Probleme im niedergelassenen Bereich Lösungsmöglichkeiten auf. Interprofessionelle Teams seien der Schlüssel zu einer flächendeckenden Versorgung. Entsprechend müssten nicht-ärztliche Mitarbeitende allerdings mehr Wertschätzung auch in finanzieller Sicht erhalten. „Der Fokus der Vergütung liegt immer noch im ärztlichen Bereich“, bemängelte Dörr.

Es brauche zudem eine gestufte Versorgung. Zuerst müssten digitale Versorgungsmöglichkeiten immer vorge­lagert und mitgedacht werden. Auf der nächsten Stufe sei dann die Behandlung durch nicht ärztliches Perso­nal vorgesehen bis hin zur Behandlung durch ärztliches Personal, das fachlich immer spezifischer werden sollte. Telemedizinische Konsultationen spielten ebenfalls eine wichtige Rolle.

Zentral sei, Fachkräfte nicht mit Banalitäten zu behelligen, so Dörr. Eine entsprechende Einbeziehung von nicht-ärztlichem Personal sei deshalb wichtig. Und: „Fachärztinnen und Fachärzte machen ganz viel aus dem Portfolio, was in anderen Ländern Hausärztinnen und -ärzte machen“, sagte sie. Wenn das strukturell gelöst werde, dann sollte der Ambulantisierung nichts mehr im Wege stehen.

Vorbild Schweiz: Krankenhausärzte dürfen auch ambulante Leistungen erbringen

Als Vorbild zur Lösung dieser Probleme könnte auch die Schweiz dienen. Von Erfahrungen aus dem Schweizer Gesundheitssystem berichtete der deutsche Arzt und Viszeralchirurg Peter Sterk, der seit zwei Jahren in der Schweiz im Hirslanden Medical Center in Aarau arbeitet. Auch dort gelte das Prinzip „ambulant vor stationär“, so Sterk.

Deutschland und die Schweiz habe das gemeinsame Problem von mangelnden Hausärztinnen und Hausärz­ten. Die Schweiz versuche mit großen Gruppenpraxen entgegenzusteuern und die hausärztliche Versorgung sicherzustellen, so Sterk.

Allerdings gebe es in der Schweiz keine Unterscheidung zwischen allgemein und privat Versicherten im ambulanten Bereich. Jede Kasse habe die gleiche Grundleistung. Zudem existierten zwar niedergelassene Fachärzte, jeder Krankenhausarzt könne aber auch ambulante Leistungen im Krankenhaus erbringen. Das erfolge unbürokratisch ohne aufwändige Verfahren, so Sterk.

Dies führe dazu, dass Patienten in der Schweiz innerhalb weniger Tage spezialfachärztliche Termine oder bildgebende Untersuchungen bekommen würden. In Deutschland warte die Bevölkerung auf diese Termine wesentlich länger so Sterk. Krankenhäuser in der Schweiz hätten sich zudem darauf eingestellt, ambulante Bereiche in den Kliniken zu etablieren oder anzudocken.

Alle Leistungserbringer müssten in Deutschland demnach stärker an einem Strick ziehen und die, die es könnten, müssten auch entsprechende Leistungen erbringen dürfen, forderte Sterk. Für ihn wäre es zudem ein entscheidender Ansatz, die Vergütung ambulanter und stationärer Leistungen unkompliziert innerhalb eines Vergütungskatalogs darzustellen.

cmk

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung