Cannabisgesetz ermöglicht Hochrisikokonsum

Berlin – Ärzte- und Apothekerschaft lehnen die geplante Legalisierung von Cannabis als Genussmittel entschieden ab. Das geht aus ihren Stellungnahmen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (CanG) hervor. Die Krankenkassen wiederum sind nicht gegen die Legalisierung – sprechen sich aber gegen medizinisches Cannabis in Blütenform aus.
Die Bundesärztekammer (BÄK) bewertet die Legalisierungspläne der Bundesregierung als „eine relevante Gefährdung der psychischen Gesundheit und der Entwicklungschancen der jungen Generation in Deutschland“ und prognostiziert eine Zunahme cannabisbedingter gesundheitlicher und gesellschaftlicher Probleme für den Fall einer Freigabe als Freizeitdroge.
Das im Gesetzentwurf formulierten Ziele eines besseren Gesundheits- sowie Kinder- und Jugendschutzes könne mit den geplanten Maßnahmen hingegen nicht erreicht werden.
„Es ist keine realistische Erwartung, dass die besonders vulnerable Gruppe der Kinder und Jugendlichen vor einem Zugang zu Cannabis, das durch privaten und nicht gewerblichen, gemeinschaftlichen Eigenanbau verbreitet wird, und dem internationalen Erfahrungen nach weiterhin zu erwartenden Schwarzmarkt, wirksam geschützt werden könnte“, schreibt die BÄK in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf.
Diese Auffassung werde durch den Internationalen Suchtstoffkontrollrat (INCB) der Vereinten Nationen bestärkt: Laut dessen Feststellungen aus dem vergangenen Jahr führt eine Legalisierung gerade bei jungen Menschen zu erhöhtem Konsum, insgesamt zu mehr gesundheitlichen Schäden und zu einer verminderten Risikowahrnehmung – während die erhoffte Eindämmung des Schwarzmarktes nicht eintrete.
Cannabis soll Betäubungsmittel bleiben
Auch die geplante Überführung von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) in ein eigenes Gesetz lehnt die BÄK ab. Sie betrachte ihn stattdessen gemäß den Ausführungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) „unverändert als einen Stoff, der nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen seiner Wirkungsweise vor allem in Hinblick auf das Hervorrufen einer Abhängigkeit als Betäubungsmittel (BtM) im Sinne des BtMG in die Anlagen I bis III BtMG aufgenommen werden muss“, schreibt sie.
Für diesen müssten dementsprechend weiterhin die Anforderungen der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung – beispielsweise die Verordnung auf BtM-Rezepten – gelten. Diese Auffassung teilt auch die Bundesvereinigung der Apothekerverbände (ABDA).
„Cannabis zu medizinischen Zwecken ist ein Arzneimittel, das den Regelungen des Arzneimittelgesetzes unterliegt“, schreibt die Standesvertretung in ihrer Stellungnahme. „Es bedarf insofern keiner parallelen Regelungen in einem Medizinal-Cannabisgesetz, die geeignet sind, Wertungswidersprüche zwischen den neuen cannabisrechtlichen Vorschriften sowie arzneimittel-rechtlichen und apothekenrechtlichen Vorschriften hervorzurufen.“
Es bestehe die Gefahr, dass bei einer solchen Überführung die beabsichtige Parallelität dazu führt, dass Medizinal-Cannabis als eigenständiges Produkt und damit als Nicht-Arzneimittel eingestuft wird. Daraus würde laut ABDA ein Widerspruch zu übergeordnetem Recht entstehen, da der europäische Gesetzgeber den Arzneimittelbegriff verbindlich geregelt hat.
Auch der GKV-Spitzenverband – der zur generellen Legalisierung als Genussmittel explizit keine Stellung nehmen will – lehnt die Streichung aus dem BtMG ab. Dadurch würden insbesondere die der Arzneimitteltherapiesicherheit dienenden besonderen Verschreibungsvoraussetzungen der persönlichen Untersuchung und der nicht anderweitigen therapeutischen Zweckerreichung entfallen, warnen die Krankenkassen. Folge wäre demnach eine qualitative Verschlechterung der Therapie mit medizinischem Cannabis.
Zudem würde dadurch der mit der Verschreibung auf BtM-Rezept verbundene höhere Fälschungsschutz entfallen, wodurch häufiger mit in krimineller Absicht gefälschten Verordnungen zu rechnen sei. „Neben den negativen gesundheitlichen Auswirkungen kann dies auch eine finanzielle Last für die Solidargemeinschaft zur Folge haben“, warnt der GKV-Spitzenverband.
Allerdings behalten sich die Krankenkassen, abgesehen von einzelnen Selektivvertragsmodellen, weiterhin eine Prüfung der Erstattungsfähigkeit von Cannabisverordnungen vor. Auch im schlimmsten Fall dürfte die Zahl solcher Fälschungsfälle damit überschaubar bleiben und zumindest keine erhebliche Belastung der Kassenfinanzen darstellen.
GKV will keine Blüten mehr auf Rezept
Die Vorstellungen des GKV-Spitzenverbandes reichen jedoch noch weiter. So sollte der vorliegende Gesetzentwurf auch zum Anlass genommen werden, die Leistungspflicht für Cannabis in Form von getrockneten Blüten zu überprüfen.
„Mit standardisierten Extrakten und Fertigarzneimitteln auf Basis von Cannabis stehen für den medizinischen Einsatz besser geeignete Optionen zur Verfügung“, schreibt der GKV-Spitzenverband. „Es besteht daher keine Notwendigkeit für einen medizinischen Einsatz von Cannabis in Form getrockneter Blüten.“
Die BÄK wiederum hält an einem breiteren Spektrum an Therapieoptionen mit Cannabis fest, kritisiert die geplanten Neuregelungen des CanG aber auch im Detail. So ermögliche die erlaubte Besitzmenge von 25 Gramm Cannabis einen potenziell gesundheitsgefährdenden Konsum und sei deshalb mit Blick auf das Ziel Gesundheitsschutz nicht nachvollziehbar.
Auch die festgelegte Menge zur Weitergabe der Anbauvereinigung an ihre Mitglieder von 25 Gramm Cannabis pro Tag beziehungsweise 50 Gramm pro Monat oder im Fall von Heranwachsenden von bis zu 30 Gramm Cannabis pro Monat stelle eine Menge dar, die einem Hochrisikokonsum entspricht und zu cannabisbezogenen Störungen führe.
„30 Gramm Cannabis entsprechen 90 Joints. Heranwachsenden wird also ein Konsum von durchschnittlich drei Joints pro Tag ermöglicht“, kritisiert die BÄK. „Dass Suchtrisiken mit einer solchen Mengenbegrenzung verringert werden würden, ist nicht plausibel.“
Nicht ausreichend seien wiederum die geplanten präventiven Maßnahmen. So soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eine digitale Plattform mit Informationen zu Cannabis, Präventionsangeboten, Beratung und Behandlung aufbauen, ihre bestehenden Präventionsmaßnahmen weiterentwickeln, ein zielgruppenspezifisches digitales Beratungsangebot aufbauen und zielgruppenspezifisch Konsumentinnen und Konsumenten beraten.
Das werde jedoch allein nicht ausreichen, um wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen anzubieten. Stattdessen brauche es mehr kommunale, risikoadaptierte und evidenzbasierte präventive Maßnahmen unter Zuhilfenahme der zuständigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften, zum Beispiel in Schulen, Jugendeinrichtungen und Einrichtungen der Suchthilfe.
Frage nach Finanzierung offen
Doch die müssen bezahlt werden Es erscheine deshalb nicht plausible, dass für das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in der Bundeshaushaltsplanung 2024 Kürzungen für die Suchtprävention von 13,2 Millionen Euro auf 9,2 Millionen Euro vorgesehen sind, während der Referentenentwurf von zusätzlichen Kosten von sechs Millionen Euro für den Auf- und Ausbau von Informations-, Aufklärungs- und Präventionsangeboten ausgeht.
Den Gedanken, dass die Krankenkassen die Präventionsmaßnahmen finanziell tragen könnten, weisen diese ebenfalls zurück. Die GKV habe in der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention zwar eine unterstützende Funktion und bringe sich insbesondere in Schulen in die suchtpräventive Arbeit ein. Der Leitfaden Prävention sehe dabei aber grundsätzlich nur eine zeitlich befristete Förderung vor.
„Eine Regelfinanzierung von auf Dauer angelegten Stellen, zum Beispiel in Beratungseinrichtungen, ist explizit ausgeschlossen“, betont der GKV-Spitzenverband und weist darauf hin, dass die im Referentenentwurf formulierte Aussage, die langfristige Finanzierung der Suchtprävention könne auch über die gesetzlichen Krankenversicherungen erfolgen, „im Widerspruch zu den bestehenden gesetzlichen Grundlagen steht“.
Stattdessen seien nach Auffassung des GKV-Spitzenverbandes der Bund und die Bundesländer in der Verantwortung, eine flächendeckende Verankerung der Cannabisprävention für Heranwachsende sicherzustellen. Im Rahmen der Kultusministerkonferenz und in Abstimmung mit der Gesundheitsministerkonferenz könne der Bund entsprechende Initiativen anstoßen.
„Eine flächendeckende Verankerung der Suchtprävention bezogen auf Cannabis und andere suchterzeugende Substanzen ist Aufgabe der Länder, insbesondere durch Berücksichtigung dieses Themas in den Lehrplänen der allgemein- und berufsbildenden Schulen“, unterstreicht der Verband. „Krankenkassen unterstützen diese Arbeiten im Rahmen ihrer oben dargestellten Möglichkeiten, können aber Erwartungen nach einer langfristigen oder sogar flächendeckenden Finanzierung nicht erfüllen.“
Eine im Entwurf vorgesehene Maßnahme trifft auf ungeteilte Unterstützung: Durch eine Änderung des Bundesnichtraucherschutzgesetzes soll künftig das Rauchen von Tabak- und Cannabisprodukten inklusive elektronischen Zigaretten und erhitzten Tabakerzeugnissen und Verdampfern in geschlossenen Fahrzeugen verboten sein, wenn sich Minderjährigen oder Schwangeren darin aufhalten. Ärzte- und Apothekerschaft sowie die Krankenkassen befürworten diese Maßnahme unisono.
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