Politik

Digitalgesetz: KBV und BÄK fordern Ende der Sanktionen

  • Mittwoch, 2. August 2023
/tanakorn, stock.adobe.com
/tanakorn, stock.adobe.com

Berlin – Praxistaugliche Anwendungen statt Sanktionen müssen bei der Digitalisierung des Gesundheits­we­sens künftig im Vordergrund stehen. Das fordern Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche Bundesver­einigung (KBV).

In ihren Stellungnahmen zum Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheits­wesen (DigiG) kritisieren sie unter anderem die Pläne, Krankenkassen papiergebundene Befunde in die elek­tronische Patientenakte (ePA) übertragen zu lassen.

Das Gesetz soll vor allem der ePA zum Durchbruch verhelfen, indem es die Bereitstellung auf Basis einer Widerspruchslösung (Opt-out) und das Zugriffsmanagement regelt. Dieses grundlegende Vorhaben unter­stützen BÄK und KBV auch ausdrücklich.

Allerdings hapert es bei der Umsetzung. So sei die Ausgestaltung der Zugriffsverwaltung „an manchen Stellen so kleinteilig gestaltet, dass die notwendige Praktikabilität und Überschaubarkeit für die Versicherten nicht gewährleistet ist“, moniert die BÄK. „Eine angemessene Begrenzung bei der Granularität der Zugriffssteuerung liegt sowohl im Interesse einer faktischen Ermöglichung der informationellen Selbstbestimmung als auch der Validität der Inhalte der ePA.“

Die KBV geht noch weiter, denn der Regelungsentwurf sieht auch vor, dass Versicherte einzelne Daten in be­stimmten Anwendungen eigenständig löschen und verbergen können. Allerdings ergebe sich die medizini­sche Relevanz der Dokumente maßgeblich daraus, dass diese ärztlich kuratiert seien. „Ein teilweises Löschen von Informationen einseitig durch den Versicherten stellt für diese Anwendungen ein Risiko für deren medi­zinische Aussagekraft und im schlimmsten Fall auch für die Patientensicherheit dar“, erklärt die KBV. Sie lehne die Regelung deshalb ab.

Auch seien wesentliche Zugriffsrechte nicht ausreichend genau definiert. Denn der Entwurf sieht vor, dass zu­griffsberechtigte Vertragsärzte und Psychotherapeuten „im zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung“ auf die Gesundheitsdaten einer oder eines Versicherten zugreifen können, wenn er oder sie nicht widerspro­chen hat.

Unabhängig von diesem zeitlichen Zusammenhang darf der Zugriff jedoch nur erfolgen, wenn der Versicherte eine Zugriffsberechtigung erteilt hat. Auch das lehnt die KBV ab, denn es sei noch unklar, wann noch von einem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung gesprochen werden kann.

Um etwaige Rechtsunsicherheiten auszuräumen, schlägt die KBV deshalb eine Wochenfrist vor. „Der Zugriff durch die zugriffsberechtigten Vertragsärzte und Psychotherapeuten muss ohne zusätzliche Hürden erfolgen können, um eine Befüllung der elektronischen Patientenakte auch ohne Anwesenheit des Versicherten ge­währleisten zu können.

Hinzukommt, dass Versicherte diese zeitliche Eingrenzung auch noch nach unterschiedlichen medizinischen Berufsgruppen staffeln können sollen. Zugriffsberechtigungen können demnach auf verschiedenen Ebenen – wie Datensätze, Einzeldokumente, Dokumentengruppen je nach medizinischer Fachgebietskategorie – erteilt, verschattet, verborgen und entzogen werden.

Zugriffsverwaltung zu komplex

Hier sieht die BÄK eine mögliche Zusatzbelastung auf Ärztinnen und Ärzte zukommen. Denn es stehe zu be­fürchten, dass durch diese komplexe Zugriffsverwaltung der unterschiedlichsten Dimensionen einer ePA „nur ein geringer Anteil der Patienten in der Lage sein wird, diese Komplexität mittels eines geeigneten Endgeräts selbst zu beherrschen“.

Das könne sich kontraproduktiv auf die Akzeptanz und Nutzung der elektronischen Patientenakte auswirken. „Eine überkomplexe Nutzung führt dazu, dass die selbstbestimmte Wahrnehmung der Versichertenrechte kaum ermöglicht wird“, schreibt die BÄK. „Ein diesbezüglicher entstehender Beratungsaufwand in den ärztli­chen Praxen oder eine Unterstützung bei der konkreten Umsetzung von Zugriffsrechten ist in einer Behand­lungssituation nicht leistbar.“

Versicherte sollen darüber hinaus auch einen Anspruch haben, Behandlungsunterlagen und andere Dokumen­te in Papierform von ihren Krankenkassen einscannen und in die ePA übertragen zu lassen.

Was auf den ersten Blick wie eine Entlastung für Ärzte klingt – die es dann schließlich nicht selbst tun müs­sen – birgt laut BÄK Risiken. Denn eine manuelle Erfassung von medizinischen Dokumenten durch die Kran­kenkassen führe zu einer ungewollten Offenbarung von Patientendaten.

Befüllung der ePA gehört in ärztliche Hand

Stattdessen schlägt sie vor, dass Ärzte diese medizinischen Informationen für die ePA selbst erfassen, wenn es in einem medizinischen Kontext geboten ist, wenn also beispielsweise relevante Vorerkrankungen bei chro­nisch erkrankten Patienten über den aktuellen Behandlungskontext hinaus vorhanden sind.

„Es bietet sich an, die für die Papiererfassung bei den Krankenkassen vorgesehenen finanziellen Mittel eher für eine Incentivierung dieser Aufgabe in den Arztpraxen einzusetzen“, heißt es in ihrer Stellungnahme.

Tatsächlich erhält die BÄK dafür Zustimmung aus dem Kassenlager. Der Plan, dass sie Papierdokumente digi­talisieren sollen, sei irritierend, kritisiert der AOK Bundesverband. Die Befüllung der ePA sollte demnach keine Aufgabe der Kassen sein, sondern gehöre grundsätzlich in die Hand von Patienten und Ärzten.

Abgesehen von diesen Fragen der technischen Umsetzung kritisieren KBV und BÄK die Pläne des Bundesge­sundheitsministeriums (BMG) noch viel grundlegender.

„Wir vermissen im Referentenentwurf die notwendige Unterstützung der niedergelassenen Ärzte und Psycho­therapeuten“, erklärte dazu KBV-Vorstandsmitglied Sibylle Steiner. „Sie brauchen praxistaugliche und funktio­nierende Anwendungen, die die Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessern und nicht, wie jetzt auch bei der ePA zu befürchten, mehr Zeit kosten. Das ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitali­sierung.“

Auch der Marburger Bund warnt vor zusätzlichen Belastungen durch unausgerefte Anwendungen. Digitalisierung müsse vom Anwender her gedacht werden, entsprechende IT-Lösungen müssten nutzbringend und praktikabel sein, schreibt der Verband.

„Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern muss der Verbesserung der Gesundheitsversorgung dienen", erklärt die Vorsitzende Susanne Johna. "Wenn dadurch Arbeitsabläufe vereinfacht und Prozesse optimiert werden können, bleibt mehr Zeit für die individuelle Behandlung und Betreuung der Patienten. Dieses Potenzial muss jetzt endlich ausgeschöpft werden."

Dafür brauche es aber eine Einbeziehung derjenigen, die IT in den Praxen und Krankenhäusern anwenden. Insbesondere die Erstbefüllung der ePA und die regelmäßige Übertragung der Behandlungsdaten werde für die Vertragsärzte, aber auch für die Krankenhausärztinnen und -ärzte mit einem hohen zusätzlichen zeitlichen Aufwand verbunden sein, der durch das vorhandene Personal nicht erledigt werden könne. Diesen Aufwand gelte es unbedingt zu minimieren, fordert Johna.

Vorgaben für Praxisverwaltungssysteme fehlen

Aus dem Entwurf selbst gehe hervor, dass durch die Einführung der ePA für die Praxen ein Mehraufwand von drei Minuten pro Behandlungsfall entstehen würde, betont die KBV. Aufgrund fehlender Leistungsvorgaben für die Anbie­ter informationstechnischer Systeme seien sogar deutlich größere Zeitaufwände für die Praxen zu erwarten, heißt es in der KBV-Stellungnahme: „Diese werden zu deutlich höheren und spürbaren Verlusten der für die Versorgung der Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehenden Zeit führen.“

Auch würden im Referentenentwurf klare Vorgaben für die Anpassung der Praxisverwaltungssysteme (PVS) und für ausreichende Tests vor dem Regelbetrieb digitaler Anwendungen fehlen. „Stattdessen drohen den Praxen einmal mehr Sanktionen und Bußgelder. So erreicht man kein Vertrauen bei den Ärzten und Psycho­the­rapeuten“, kritisiert Steiner.

Der Entwurf setze die gegenüber anderen Beteiligten einseitige und strukturelle Benachteiligung der nieder­gelassenen Ärzte und Psychotherapeuten in den Prozessen der Digitalisierung im Gesundheitswesen der ver­gangenen Dekade nahtlos fort.

So sollen die Honorare der Ärzte und Psychotherapeuten gekürzt werden, wenn nicht der Nachweis erbracht wird, dass die notwendigen Komponenten für die elektronische Verordnung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln angeschafft wurden.

Das sei jedoch auch wesentlich von der Umsetzung durch die Anbieter der IT-Systeme und einem belastbaren Zusammenwirken aller beteiligten Systeme mit den Anwendungen und Diensten der Telematikinfrastruktur (TI) abhängig.

„Dass der Regelungsentwurf (…) erneut mit dem ungeeigneten Instrument einer Sanktion arbeitet, statt Rege­lungen zu schaffen, die die Bereitstellung im Zusammenwirken der unterschiedlichen Komponenten und An­wendungen befördern, die die Arbeit praxisgerecht ermöglichen, wird weder Funktionalität der Anwendungen noch Akzeptanz der Anwendungen steigern, schreibt die KBV dazu in ihrer Stellungnahme.

An anderer Stelle lasse sich diese Ungleichbehandlung besonders deutlich erkennen: Der Entwurf sieht näm­lich auch die Verschiebung der Einführung der digitalen Identitäten vor, was die KBV ebenfalls ablehnt. „Dass im Gegensatz zu den Arztpraxen nicht mit Sanktionen gegenüber den Organisationen gearbeitet wird, denen Zeitverzögerungen zuzurechnen sind, ist augenfällig“, schreibt sie.

Sanktionsdrohungen kontraproduktiv

Wenn gewollt ist, dass Digitalisierung ein Erfolg wird, müsse man mit den Ärzten arbeiten und nicht gegen sie, betont Steiner. „Deshalb unser Appell an die Politik: Stellen Sie durch Anpassungen im weiteren Gesetzge­bungsprozess sicher, dass die Anwendungen mit den Diensten der Telematikinfrastruktur funktionieren und streichen Sie die Sanktionen.“

Die BÄK teilt diese Kritik. „Leider bleibt es auch dabei, dass mit unrealistischen Fristen und Sanktions­drohun­gen gegen Ärztinnen und Ärzte gearbeitet wird“, erklärt dazu Norbert Butz, Leiter des Dezernats Digitalisie­rung in der Gesundheitsversorgung. „Nicht Sanktionen motivieren Ärztinnen und Ärzte, digitale Anwendungen zu nutzen, sondern deren Sinnhaftigkeit und Nutzerfreundlichkeit.“

Zustimmung erhalten die Pläne des BMG immerhin beim Plan zur Abschaffung der leistungsbezogenen bezie­hungsweise Mengenbegrenzung für Leistungen im Rahmen von Videosprechstunden. Die damit einherge­hen­de Flexibilisierung begrüßen sowohl BÄK als auch KBV.

Allerdings bedürfe es unbedingt flankierender gesetzlicher Regelungen, die differenzierte Vorgaben ermögli­chen. „Ziel muss es sein, den Ausbau der telemedizinischen Möglichkeiten nicht auf Kosten der Call-Center-Medizinznotwendigen Präsenzbehandlung zu ermöglichen“, schreibt die BÄK.

Call-Center-Medizin verhindern

Dabei fordert die KBV, dass dem Bewertungsausschuss auch weiterhin die Möglichkeit offensteht, fallzahlbe­zogene Obergrenzen, und zwar bezogen auf einzelne Fachgruppen, zu regeln: „Dies sollte dringend klarge­stellt werden, da aus fachlicher Sicht eine fachgruppenbezogene Obergrenze nicht nur wünschenswert, son­dern für die Versorgung im Ergebnis sogar zwingend ist, um Versorgungsangebote vor Ort auch künftig ge­währleisten zu können und eine reine Call-Center-Medizin, die nicht im Patienteninteresse stehen kann, zu verhindern.“

Hier widerspricht ihnen der Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VPP), eine Fachsektion des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Auch wenn es durch­aus Erfolge mit Online-Psychotherapie gebe, „dürfte es doch klar fachlich anerkannt sein, dass der persönliche Kontakt von erheblichem Wert für die Psychotherapie und ihren Erfolg ist und die Online-Therapie diesen Mangel auch nur schwer ersetzen oder ausgleichen kann“, schreibt er in seiner Stellungnahme.

Die Beschränkung auf 30 Prozent des Praxisumfangs halte der Verband deshalb für angemessen und spreche sich für deren Beibehaltung aus.

Videosprechstunden sollen aber nicht nur mengenmäßig ausgebaut werden. Der Entwurf sieht auch vor, dass Apotheken die Möglichkeit eröffnet wird, assistierte telemedizinische Leistungen wie die Durchführung ein­facher medizinischer Routineaufgaben zur Unterstützung anlässlich einer ärztlichen telemedizinischen Leis­tung anzubieten. Sowohl KBV als auch BÄK lehnen das ab.

lau

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung