Politik

Digitalstrategie: Bisher kaum konkrete Ziele definiert

  • Montag, 5. Dezember 2022
/metamorworks, stock.adobe.com
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Berlin – Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will für die Digitalisierung einen konkreten Hand­lungsplan samt kurz-, mittel- und langfristig umzusetzender Maßnahmen bis zum Jahr 2030 entwickeln und ihn danach jährlich evaluieren. Das geht aus einem Eckpunktepapier hervor, das als Grundlage für die lang erwartete Digitalisierungsstrategie des BMG dienen soll und dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.

Das Eckpunktepapier war vor kurzem an die Beteiligten des Strategieprozesses – Verbände, Fachgesell­schaften und Standesvertretungen in der Selbstverwaltung – versendet worden mit der Bitte um eine Kommentierung. Die Frist dazu ist am Freitag abgelaufen.

Allzu viel zu kommentieren gibt es jedoch nicht: Bisher beschränkt sich der BMG-Entwurf im Wesentlichen darauf, auf etwas mehr als fünf Seiten vor allem allgemeine Absichtsbekundungen und strategische Prioritäten zu erklären. Konkrete geplante Maßnahmen, Zeitpläne oder Regulationsvorschläge wie Datenstandards oder -formate fehlen.

Das einzige eindeutig definierte Ziel im Papier ist hingegen nicht neu: Bis zum Jahr 2025 sollen 80 Prozent der Versicherten über eine elektronische Patientenakte verfügen und das elektronische Rezept (E-Rezept) zum Standard in der Versorgung geworden sein – das Muster-16-Rezept solle dann nur noch als Rückfalloption dienen.

Nicht erwähnt wird dabei, dass nach jetziger Planung einige Verordnungsbereiche – konkret etwa Betäubungs- oder auch Heilmittel – bis dahin noch auf Papier verordnet werden sollen. Paralleler digitaler und analoger Betrieb werden also auch dann in vielen Arztpraxen und Apotheken Versorgungsalltag sein.

Außerdem wird der Roll-out des E-Rezepts nach jetzigem Stand frühestens Mitte 2023 wieder an Fahrt gewinnen, wenn die Gematik ein Verfahren zur sicheren Authentifizierung von Patientinnen und Patienten zur Einlösung des E-Rezepts mittels der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) spezifiziert hat.

Digitale Gesundheits- und Pflegeanwendungen (DiGA und DiPA) künftig stärker mit telemedizinischen und pflegerischen Lösungen vernetzt werden. Ziel ist dabei ein interoperables digital unterstütztes Gesundheits- und Pflegewesen.

Als Teil der strategischen Leitlinien soll eine digitale Gesundheitsagentur als verantwortliche Stelle für digitale Anwendungen im deutschen Gesundheits- und Pflegewesen aufgebaut werden. Auch das ist schon länger bekannt – und dass es die Gematik sein soll, die zu dieser Agentur umgebaut wird.

Weiterhin sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Gesundheitsdaten unter Berücksichtigung von Datenschutz und -sicherheit sowie Patienten- und Gemeinwohl für Versorgung und Forschung genutzt werden können. Auch hier wird das Eckpunktepapier nicht konkreter. Es ist allerdings ebenfalls schon länger bekannt, dass das der Zweck des für 2023 geplanten Gesundheitsdatennutzungsgesetzes ist.

Das soll auch die Voraussetzungen dafür schaffen, die deutsche mit der europäischen Gesundheitsdaten­nutzung zu harmonisieren. „Mit der Digitalisierungsstrategie werden auch Grundlagen geschaffen, um das deutsche Gesundheits- und Pflegewesen an den entstehenden Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) anzuschließen, um Versorgung und Forschung auch über Grenzen hinweg zu ermöglichen“, schreibt das BMG.

Das Haus von Minister Karl Lauterbach (SPD) will in dem Zusammenhang als strategische Leitlinie festschreiben, dass es eine europäische Harmonisierung rechtlicher und aktiver Rahmenbedingungen mit Bezug zur Digitalisierung im Gesundheits- und Pflegewesen vorantreibt und aktiv mitgestaltet, auch mit Blick auf die ebenfalls für das kommende Jahr angekündigten elektronischen Identitäten (eID).

Die digitale Transformation sei ein komplexes und langfristiges Vorhaben, das einen strukturierten Ansatz für die Umsetzung und kontinuierliche Weiterentwicklung erfordert. Dabei will das BMG alle relevanten Akteure adäquat einbeziehen, insbesondere die Patienten, pflegebedürftige Menschen, An- und Zugehörige sowie Leistungserbringer, Wissenschaft, Gesundheits-IT-Branche und Kostenträger.

„Alle Versicherten, Pflegebedürftigen und An- sowie Zugehörigen sollen befähigt werden, für sie relevante Informationen zu erhalten sowie an andere Leistungserbringer zu übermitteln und damit ihren Weg in einer digital unterstützen Gesundheits- und Pflegeversorgung aktiv und selbstbestimmt mitgestalten zu können“, heißt es im Eckpunktepapier.

„Dazu zählt auch, dass sie ebenso dazu befähigt werden sollen, ihr Recht auf Portabilität und Interoperabilität zu den für sie relevanten Daten aktiv einfordern zu können.“

Vor diesem Hintergrund gebe es drei zentrale Handlungsfelder, auf denen konkrete Maßnahmen ergriffen und Fortschritte erzielt werden sollen: personenzentrierte und digital unterstützte sektoren- und professions­übergreifende Versorgungsprozesse, die Nutzung qualitativ hochwertiger Daten für eine bessere Versorgung und Forschung sowie nutzenorientierte Technologien und Anwendungen.

„Digital unterstützte und analoge Versorgungsprozesse sollen gleichberechtigt zum Einsatz kommen, wenn sie gleichwertige Ergebnisse generieren“, definiert das BMG im ersten Handlungsfeld als Zielstellung. Bestehende Prozesse müssten auf ihr Digitalisierungspotenzial überprüft werden.

Dabei betont das BMG auch, was genau es vermeiden will: „Analoge Prozesse oder Formulare sollen nicht lediglich elektrifiziert werden.“ So sollen demnach bei der Einführung von digitalen Anwendungen sowie deren Nutzung Versorgungsprozesse so angepasst werden, „dass die Potenziale der Digitalisierung sich entfalten können“.

Lediglich eine reine Elektrifizierung analoger Prozesse zu sein, ist eine Kritik, die vor allem seitens der Leistungserbringer seit Jahren gegen die Leuchtturmprojekte des BMG zur Digitalisierung angeführt wird.

So bemängeln Arztpraxen beispielsweise, dass das E-Rezept ohne medienbruchfreie Prozesse – beispielsweise, wenn es ausgedruckt werden muss – zwar einen Mehraufwand zum etablierten Muster-16-Formular generiert, dem aber kein entsprechender Mehrwert gegenüberstehe.

Ähnliche Kritik wird seit Jahren an der elektronischen Patientenakte (ePA) formuliert: Ohne die Nutzung strukturierter Daten handele es sich bei ihr nur um eine digitale Dokumentensammlung, die kaum einen Mehrwert gegenüber einem physischen Aktenordner habe.

Entsprechend solle die ePA kontinuierlich weiterentwickelt werden, und zwar zu einer Plattformlösung, auf der weitestgehend strukturierte Daten zusammenfließen, die dann für Mehrwertdienste genutzt werden können.

Auch die Telematikinfrastruktur (TI) und ihre Anwendungen sollen „im Kontext rechtlicher und technischer Entwicklungen als grundlegende Infrastruktur für digital unterstützte Versorgung- und Kommunikationsprozesse im Gesundheits- und Pflegewesen“, kontinuierlich weiterentwickelt werden.

Konkret ist bereits seit fast zwei Jahren öffentlich bekannt, wie das aussehen soll: Das jetzige physische Sicherheitsnetz soll durch eine TI 2.0 abgelöst werden, in die man sich nicht mehr mit physischen Konnektoren einwählen muss.

Stattdessen soll es sich um ein Zero-Trust-Netzwerk handeln, das über das offene Internet erreichbar ist. Auch diese Details finden sich jedoch nicht im Eckpunktepapier zur Digitalisierungsstrategie.

lau

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