Experten mahnen Abgeordnete zu schnellen Regelungen bei der Entbudgetierung

Berlin – Welche Gesetze und Vorhaben der früheren Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP noch in der verbleibenden Zeit mit der Union umgesetzt werden können, darüber wird derzeit intensiv diskutiert.
Obwohl es unklar bleibt, ob auch noch ein Gesetz aus den noch nicht abgearbeiteten gesundheitspolitischen Vorhaben verabschiedet werden kann, hat der Gesundheitsausschuss heute Vorhaben mit Fachleuten diskutiert. Mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) sollen eine ganze Reihe von Projekten umgesetzt werden, darunter auch die Entbudgetierung von Hausärztinnen und Hausärzten.
„Irritationen und Unvorhergesehenes haben wir in dieser Woche viel erlebt. Noch arbeitet der Ausschuss weiter, denn in diesem Gesetz sollen Dinge beschlossen werden, die von fundamentalem Bedarf für die Versorgung der Bevölkerung sind“, sagte Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), die amtierende Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit im Bundestag zum Beginn der Sitzung „Daher wollen wir mit den Expertinnen und Experten heute diskutieren. Was davon noch beschlossen werden kann, das werden wir sehen.“
Mehrere Appelle zum Abschluss von zumindest einzelnen Teilen des Gesetzesvorhabens folgten – so zum Beispiel von Ferdinand Gerlach von der Universität Frankfurt, ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit und Pflege, der dazu von den Grünen befragt wurde.
„Die mit diesem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen sind für die wohnortnahe Versorgung überfällig. Jeden Tag schließen Haus- und Facharztpraxen, weil sie keinen Nachfolger finden. Die Patienten wenden sich dann an andere Praxen, dort werden sie oft nicht aufgenommen. Gerade die Not in ländlichen Regionen bei älteren Patienten ist groß", so Gerlach vor dem Ausschuss.
„Die Stimmung in Praxen ist auch unter den Medizinischen Fachangestellten schlecht. Wie käme es nun bei den Patienten an, wenn jahrelang vorgesehene und sinnvolle Maßnahmen nun weiter auf die lange Bank geschoben werden?“, fragte Gerlach die Abgeordneten. Aus seiner Sicht könnten alle Vorhaben, die in der Anhörung besprochen wurden, von einer neuen Regierung frühestens 2026 konkret umgesetzt werden. „Das ist viel zu spät“, so Gerlach weiter.
Er betonte, er habe kein Parteibuch und er habe als Vorsitzender des Sachverständigenrates mit sechs verschiedenen Bundesgesundheitsministern aus verschiedenen Parteien zusammengearbeitet. „Ich gehe nach wie vor davon aus, dass Sie als Abgeordnete Schaden von der Bevölkerung abwenden wollen. Daher können und sollten sie sich zusammenraufen und auch die Dinge, die sie umsetzen wollen, auch umsetzen.“
Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, wies darauf hin, dass viele der vorgebrachten Gesetzesvorhaben wichtige Punkte in der gesundheitlichen Versorgung adressieren. Er kritisierte aber, dass viele weitere Änderungsanträge zum Gesetz erst am Abend zuvor in Umlauf gebracht worden seien.
„In einem letzten Akt der Torschlusspanik versuchen SPD und Grüne, ihr Sammelsurium gesundheitspolitischer Restposten aus drei glücklosen Ampeljahren durch das Parlament zu bringen. Dass es dafür keine Mehrheit mehr gibt, ignorieren sie völlig“, so Sorge im Anschluss an die Sitzung in einer Mitteilung.
Man werde zeitkritische Themen „nach einem Regierungswechsel schnell aufgreifen“, so Sorge weiter. „Als Mehrheitsbeschaffer für die letzten rot-grünen gesundheitspolitischen Zuckungen steht die Union aber nicht zur Verfügung.“
Entbudgetierung der Hausärzte wichtiges Thema
In der Debatte um das Gesetzesvorhaben, mit dem sich die Mitglieder des Ausschusses beschäftigten, fragten die Abgeordneten bei den Expertinnen und Experten vor allem zum Thema Entbudgetierung der Hausärzte nach.
Auch die weiterhin fehlenden finanziellen Regelungen zur Weiterbildung von Psychotherapeuten war ein bestimmendes Thema. Außerdem wurde über das Thema Gesundheitsregionen, Primärversorgungszentren und Gesundheitskioske gefragt. Im GVSG sind dazu Regelungen enthalten.
Bei der Entbudgetierung betonte der Hausärztinnen- und Hausärzteverband die Dringlichkeit. „Die Lage in den Praxen ist prekär, daher muss die Reglung sofort kommen“, forderte der Co-Vorsitzende Markus Beier. Aus seiner Sicht benötigt die im Entwurf vorgesehene Regelung allerdings noch Nachbesserungen und genauere Formulierungen, welche hausärztlichen Leistungen genau unter die Entbudgetierung fallen sollen.
Komme eine solche Regelung erst 2026 oder 2027 sei dies eine „Abschreckung“ für ältere Hausärzte, die früher in den Ruhestand gehen würden und für jüngere Ärztinnen und Ärzte, die eine Niederlassung dann nicht anstrebten, prognostizierte Beier. Die Diabetologen warnten davor, dass sie bei den vorgelegten Regelungen von der Versorgung künftig ausgeschlossen wären.
Werben für die Entbudgetierung der Fachärzte
Auch die Bundesärztekammer (BÄK) betonte auf Nachfrage, dass es zügig eine schnelle Regelung für Hausärztinnen und Hausärzte geben müsse, so BÄK-Präsident Klaus Reinhardt.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warb auf Nachfrage für die Entbudgetierung: „Für Hausärzte warten wir darauf natürlich ganz dringend. Aber auch bei den Fachärzten gilt das Budget seit 30 Jahren, daher brauchen wir da auch so schnell wie möglich.“
Dirk Heinrich vom Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte (Spifa) forderte, die Entbudgetierung auch für die Fachärzte zügig durchzusetzen. „Die Nichtentbudgetierung der Fachärzte ist ein Fehler, denn die langen Wartezeiten sind mit ein Problem der stetig steigenden Inanspruchnahme von Notaufnahmen an Krankenhäusern“, so Heinrich. Hier müssten Gesundheitsreformen gemeinsam gedacht werden.
Auf Nachfrage der FDP-Fraktion betonte der GKV-Spitzenverband, er sehe durch die Entbudgetierung keine Verbesserung der Versorgung, speziell nicht im ländlichen Raum. Der Verbandsvertreter betonte vor allem die möglichen Mehrkosten von rund 400 Millionen Euro, die aus Sicht der Krankenkassen eher in eine Leistungsausweitung für die bestehenden Patienten als für die Versorgung von neuen Patienten gehen würde.
Weiteres Schwerpunktthema der Befragung war die fehlende Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung. Mit dem GVSG sollte dies geregelt werden. Es fehlten im Entwurf aber eine verbindliche Finanzierungszusage oder ein entsprechendes Modell.
Darauf wiesen Vertreterinnen mehrere Verbände hin. So sei es für die Studierenden eine hohe Belastung, nicht zu wissen, wie ihre Weiterbildung künftig finanziert werde. Experten würden davon ausgehen, dass jedes Jahr 2.500 junge Menschen mit dem Studium fertig würden und keine Perspektive hätten.
„Wir brauchen die Regelungen jetzt, sonst verlieren wir eine ganze Generation an Fachkräften“, betonte Felix Kiunke von der Psychologie-Fachschaften-Konferenz. Auch die Bundespsychotherapeutenkammer sieht spätestens ab 2030 einen eklatanten Versorgungsmangel, da es dann kaum Nachwuchs gebe, der die Praxen übernehmen könnte.
Barbara Lubisch, stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, betonte, es brauche auch eine Stärkung der ambulanten Weiterbildung, da die klinischen Ambulanzen nicht genügend Plätze hätten. Psychotherapeutin Adriane Satorius erklärte, es brauche etwa 2.000 Weiterbildungsstellen, davon 1.500 in der ambulanten Versorgung.
Außerdem wurden die Fachleute – wie beispielsweise der AOK-Bundesverband – vielfach zu Gesundheitsregionen oder Gesundheitskiosken sowie regionalen Versorgungsansätzen befragt. Dieses Thema war allerdings bis zuletzt ein großer Streitpunkt zwischen den früheren Ampelkoalitionären. Es wird daher kaum in ein mögliches weiteres Gesetzgebungsverfahren in dieser Legislatur aufgenommen werden.
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