Gesundes-Herz-Gesetz: Änderungen überzeugen Kritiker nicht
Berlin – Trotz der leichten Kehrtwende des Bundesgesundheitsministeriums beim Gesunden-Herz-Gesetz (GHG), bleibt der Zuspruch für das Vorhaben übersichtlich. So bezeichnen die Krankenkassenverbände das Gesetz weiterhin als „überflüssig“, ärztliche Verbände sehen nach den Veränderungen zumindest die wissenschaftliche Evidenz als Grundlage für Entscheidungen nicht mehr in Gefahr.
Alle betonen aber in ersten Stellungnahmen, dass die Primärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen einen höheren Stellenwert bekommen müsse als bislang vorgesehen.
„Primärprävention beginnt bereits mit Kampagnen in der Schule, umfasst gesellschaftliche Aufklärung und erwägt zum Beispiel Werbeverbote für oder hohe Steuern auf ungesunde Lebensmittel“, betonte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in einem ersten Statement.
„Uns fehlt weiterhin eine konsequente Umsetzung des Präventionsgedankens“, so die drei Vorstände Andreas Gassen, Stefan Hofmeister und Sibylle Schneider. Prävention müsse auch Werbeverbote oder hohe Steuern auf ungesunde Lebensmittel umfassen.
Es sei aber positiv, dass die umfassende Kritik von ärztlichen und anderen Organisationen der Selbstverwaltung „Wirkung im Bundesgesundheitsministerium“ gezeigt hätte. So dürfe der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nun bei der Verordnung von Statinen mitsprechen. Kritisch bewertet die KBV allerdings die weiterhin vorgesehenen Beratungsangebote in Apotheken.
Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes verabschiedete auf seiner heutigen Sitzung eine Resolution zum Gesetz: „Mit dem GHG verabschiedet sich die Koalition vom Leitgedanken der Prävention, Gesundheitsrisiken vorzubeugen und zu vermeiden“, heißt es in dem Text.
„Im Interesse von Beitragszahlenden und von Patientinnen und Patienten müssen Arzneimittel und Check-Ups ihre Wirksamkeit auch künftig wissenschaftlich nachweisen. Zudem werden mit dem Gesetzentwurf die über Jahre mit Beitragsgeldern der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgebauten Präventionsstrukturen in Deutschland gefährdet.“
Zusätzlich hatte der Verband Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), für einen Vortrag zum Gesetz eingeladen. Er betonte, dass mit den regelmäßigen Check-Ups die „knappe Resource Arztzeit“ noch geringer werde, Check-Ups seien „Zeitfresser in der Praxis“.
Damit würden aus seiner Sicht nicht die richtigen Personen erreicht. „Gesunde Menschen werden sich ihre Gesundheit bestätigen lassen. Die anderen erreichen wir damit nicht“, so Scherer weiter. „Daher trägt das ganze Gesetz die Handschrift ,Hauptsache, etwas machen'.“
Zwar werde der G-BA nun entgegen der ersten Pläne wieder mit der Ausgestaltung der Vorgeben betraut. Allerdings werde der G-BA aus seiner Sicht in eine „Zwangsjacke“ gesteckt und dazu „gezwungen, Dinge zu entscheiden, die nicht evidenzbasiert“ seien. Daher prüfe die Fachgesellschaft eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einzulegen, kündigte Scherer an.
Der G-BA selbst bezeichnete den neuen Entwurf als „kleinen Lichtblick“, da der G-BA nun doch stärker eingebunden werden soll. Der unparteiische Vorsitzende Josef Hecken erklärte, am Ziel, Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen möglichst früh zu erkennen und zu bekämpfen, habe nie ein Zweifel bestanden. „Die Gefahr, dass die Gesundheitsversorgung stärker in Richtung Staatsmedizin rückt, ist durch den neuen Entwurf zunächst einmal deutlich reduziert.“
Es sei „richtig und sinnvoll, dass die Bundesregierung die im Stellungnahmeverfahren von den drei unparteiischen Mitgliedern des G-BA und vielen anderen Organisationen vorgetragenen massiven Bedenken gegen die ursprünglichen Regelungen aufgegriffen hat", so Hecken weiter. „Entscheidungen in strukturierten Verfahren umzusetzen, ist die Kernkompetenz des G-BA“, betonte Hecken.
Allerdings kritisierte auch Hecken, dass die Krankenkassen ihre Budgets für Prävention in anderen Bereichen nun zugunsten der geplanten Früherkennungsmaßnahmen umschichten sollten. „Gerade bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann in vielen Fällen aber eine gesundheitsbewusstere Lebensgestaltung und Änderung des Lebensstils wesentlich effektiver sein, als die lebenslange Verabreichung von Medikamenten.“
Kritik der Krankenkassen
Genau an diesem Punkt setzt auch die deutliche Kritik aus den Reihen der Krankenkassen an. Der AOK-Bundesverband sieht die „Ampel komplett auf dem Holzweg“. Das Gesetz müsse „komplett eingestampft“ werden, forderte Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des Verbandes.
„Wenn diese Pläne tatsächlich umgesetzt werden, ist das bestehende Angebot von Präventions- und Gesundheitskursen der gesetzlichen Krankenkassen für Erwachsene, Kinder und Jugendliche akut gefährdet. Damit konterkariert das GHG die eigene Zielsetzung, die Herzgesundheit zu verbessern sowie Bewegung und gesunde Ernährung zu fördern“, so Reimann weiter.
Der Verband der Ersatzkassen (vdek) hält das Gesetz ebenfalls für „überflüssig". „Es bleibt bei der undifferenzierten Aufblähung von Früherkennungsuntersuchungen, anstatt eine zielgerichtete Auswahl derjenigen vorzunehmen, die profitieren könnten", so Verbandsvorsitzende Ulrike Elsner. Die „Zweckentfremdung der Präventionsmittel“ müsse gestoppt werden.
Der Verband der Innungskrankenkassen kritisierte, dass die breite Kritik an dem Vorhaben das BMG nicht zu einem Umdenken veranlasst hat. „Zwar ist es gut und richtig, dem Gemeinsamen Bundesausschuss wieder stärker bei den Entscheidungen über den Einsatz von Medikamenten (Statinen) einzubinden. Aber es bleibt der Fokus auf eine Medikamentierung zur Tabakentwöhnung sowie auf flächendeckende Screenings zulasten des Präventionsbudgets der GKV“, so der Verband. Er forderte die Parlamentarier nun auf, für „eine wirklich zielführende Prävention zu streiten“.
Eine „ganzheitliche Präventionsstrategie“ fordert auch der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV). „Mit dem Gesundes-Herz-Gesetz schlägt die Bundesregierung den falschen Weg ein. Gesundheitsförderung und Prävention darf nicht auf Vorbeugemedizin reduziert werden“, monierte PKV-Geschäftsführer Florian Reuther.
Auch in der Gesundheitspolitik kommen die Vorschläge unterschiedlich an, wie eine Abfrage gestern des Deutschen Ärzteblattes zeigte. Der gesundheitspolitische Sprecher der Opposition, Tino Sorge (CDU), forderte eine „richtige Kampagne“ für mehr Sport und gesunde Ernährung zu starten und etablierte Präventionsstrukturen auszubauen.
Die hessische Gesundheitsministerin Diana Stolz (CDU) forderte das Bundesgesundheitsministerium auf, das Gesetz nicht auf Kosten der klassischen Prävention zu finanzieren.
„Der Gesetzentwurf des BMG führt selbst aus, dass 70 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Rauchen und Alkoholkonsum verursacht werden. Wir fordern den Bund daher dringend auf, hier nachzuarbeiten“, erklärte die Hessische Gesundheitsministerin. Sie forderte, auch bei diesem Vorhaben mit den Ländern transparent zu kommunizieren und sie einzubeziehen. Das Gesetz ist allerdings im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig.
Johannes Wagner, für die Grünen im Gesundheitsausschuss des Bundestags, kündigte an, den Gesetzentwurf nun im parlamentarischen Verfahren genau zu prüfen. „Mir ist es bei diesem und jedem anderen Gesetz, das wir verabschieden, besonders wichtig, dass wir evidenzbasierte Politik machen“, so Wagner.
„Mittel der Krankenkassen, die bisher dafür eingesetzt werden, die Gesundheitskompetenz der Menschen zu stärken und ihre Lebensumstände gesünder zu machen, müssen auch in Zukunft umfänglich hierfür zur Verfügung stehen. Alles andere würde die Prävention in Deutschland auch langfristig in falsche Bahnen lenken“, kündigte Wagner an.
Offen für Veränderungen am Gesetz zeigte sich auch Nezahat Baradari, SPD-Bundestagsabgeordnete und Berichterstatterin der Fraktion für Prävention. Sie habe die Kritik am Gesetz wahrgenommen. „Es klingt abgedroschen, aber: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hereingekommen ist.“
Alle Äußerungen und vorgelegten Studien würden in den kommenden Wochen in das Gesetz einfließen. „Ich bin mir sicher, dass am Ende ein Gesetz verabschiedet werden wird, das die Prävention und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland substanziell verbessern wird.“
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