GKV-Finanzen: BMG setzt auf Steuergeld und Solidarität des Kassensystems

Berlin – Um die Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2021 nicht aus dem Ruder laufen zu lassen, hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nun ein Konzeptpapier vorgelegt. Dem Papier zufolge, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, soll der Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds für das Jahr 2021 um fünf Milliarden Euro erhöht werden. Somit fließen insgesamt 19,5 Milliarden Euro aus Steuermitteln 2021 in den Fond.
Dies ist offenbar das Ergebnis aus Gesprächen mit dem Bundesfinanzministerium, das in den vergangenen Wochen angekündigt wurde. Damit soll auch die von den Koalitionsparteien beschlossene „Sozialgarantie 2021“ eingehalten werden, in der die Sozialversicherungsbeiträge in der Pandemiezeit nicht über 40 Prozent steigen.
Krankenkassenverbände wie der Verband der Ersatzkassen (vdek), die Betriebskrankenkassen sowie der AOK-Bundesverband kritisieren dies als zu niedrig und „unzureichend.“ Bisher hatten sich die Gespräche zwischen Gesundheitsministerium und Krankenkassen darauf bezogen, dass es ein Defizit von 16,6 Milliarden Euro für 2021 geben wird und dies ausgeglichen werden sollte.
Ein weitere Baustein dieser Überlegung aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist die Beteiligung der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) selbst: Denn um die weiteren möglichen Schieflagen oder möglichen Zusatzbeiträge abzufedern, soll es eine „Leistungsgerechte Beteiligung der Reserven der Krankenkassen“ geben, heißt es.
Acht Milliarden Euro von den Krankenkassen
Diese Beteiligung soll weitere acht Milliarden Euro betragen – finanziert vor allem durch die Krankenkassen, die derzeit mehr als die Mindestreserve von 0,2 Monatsausgaben in ihren Büchern haben. Dazu werden diejenigen Krankenkassen „herangezogen“, die 0,4 Monatsausgaben übersteigen und somit noch das Doppelte einer Mindestreserve bekommen.
Dies betrifft vor allem die finanzstärkeren Kassen aus dem System der AOKen, beispielsweise die AOK Plus sowie die AOK Sachsen-Anhalt. Oder auch die Kassen aus dem System der Ersatzkassen, wie die Techniker Krankenkasse oder die Handelskrankenkasse (hkk).
Auch aus dem IKK sowie BKK-System betrifft dies einige Kassen. Konkret sollen die Kassen „mit darüber hinausgehenden Finanzreserven“ insgesamt „66 Prozent ihrer Reserven oberhalb von 0,4 Monatsausgaben an den Gesundheitsfonds“ überweisen. Zusätzlich sollen die Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge auch dann erheben dürfen, wenn sie eine Reserve von 0,8 Monatsausgaben haben.
„Zur Stabilisierung der Zusatzbeiträge durch den stärkeren Einsatz von Finanzreserven und zur Vermeidung unnötiger Beitragsanhebungen wird das Anhebungsverbot auf Krankenkassen ausgedehnt, die Reserven oberhalb von 0,8 Monatsausgaben aufweisen“, heißt es in dem Papier.
Durchschnittlicher Zusatzbeitrag steigt auf 1,3 Prozent
Für das Bundesgesundheitsministerium ergibt sich so folgende Rechnung: Aus den fünf Milliarden zusätzlicher Steuerzuschuss sowie acht Milliarden aus den finanzstarken Krankenkassen beträgt die mögliche Finanzlücke der GKV noch etwa drei Milliarden statt der bisherig prognostizierten 16 Milliarden Euro.
„Daraus ergibt sich ein Anstieg des vom BMG zum 1. November 2020 bekanntzugebenden durchschnittliche Zusatzbeitrag für das Jahr 2021 um 0,2 Beitragspunkte auf 1,3 Prozent.“ Normalerweise tagt vor der Bekanntgabe des durchschnittlichen Zusatzbeitrages immer der Schätzerkreis Ende Oktober, der sich unter dem Vorsitz des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) mit Experten des BMG, des GKV-Spitzenverbandes und weiteren zusammen setzt.
Diese Einigung von Gesundheits- und Finanzministerium ruft heftige Kritik der Krankenkassenverbände sowie Regierungs- wie Oppositionsparteien hervor: So sind sich die Verbände der Krankenkassen einig, dass die Höhe des Bundeszuschusses deutlich zu niedrig ist.
„Die vorgesehene Summe ist unzureichend“, erklärt der AOK-Bundesverbands-Vorsitzende Martin Litsch auf Anfrage. „Dass ein Gros dieser Mittel nun doch allein vom Beitragszahler aufgebracht werden soll, halten wir für falsch“, so Litsch weiter. Er plädiert für eine Beteiligung der Pharmaindustrie bei der Bewältigung der Pandemie.
Der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKKen) hatte einen höheren Steuerzuschuss nach den ersten Gesprächen erwartet. „Wir halten die Steuerfinanzierung der vollen Summen – angesichts der schon jetzt absehbaren wirtschaftlichen Folgen der Pandemie im Jahr 2020 sowie der grundsätzlichen Dynamik in der Ausgabenentwicklung – ausnahmsweise für geboten“, erklärt Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes. Dort wird der „Eingriff in die Finanzreserven der Einzelkassen“ als „sehr kritisch“ betrachtet.
„Dies ist nichts weniger als eine Sozialisierung eines Teils der Beiträge der gesetzlich Versicherten und ihrer Arbeitgeber in Deutschland“, so Knieps. Aus seiner Sicht benötigen die Krankenkassen die Rücklagen, um für die weitere Gestaltung einer pandemiefesten Struktur gerüstet zu sein.
Der Verband der Ersatzkassen bewertet es als „fatales Signal“, dass die Krankenkassen mit der Festlegung auf einen durchschnittlichen Zusatzbeitrag auf 1,3 Prozent gezwungen sein werden, „flächendeckend ihre Zusatzbeitragssätze anzuheben.“
Auch aus der Regierungskoalition kommt Kritik: So fordert auch CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß, dass es mehr Geld aus dem Bundesfinanzministerium für den Gesundheitsfonds geben muss. „Jetzt werden jene Krankenkassen ausgeplündert, die solide gewirtschaftet haben“, so Krauß in einer Mitteilung. „Lediglich fünf Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt zur Stabilisierung des Gesundheitswesens sind zu wenig“, so der Abgeordnete. Er fordert insgesamt zehn Milliarden vom Finanzminister.
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, sieht in den Plänen der Bundesregierung einen „Einmaleffekt“, der sich nicht auszahle. „Die Koalition hat sich nicht darum gekümmert, dass ihre Gesetze auch gerecht und nachhaltig finanziert sind“, so Klein-Schmeink.
„Die Blase ist jetzt geplatzt und Spahn muss an das Tafelsilber, damit seine ohnehin durchwachsene Bilanz im Wahljahr nicht auch noch durch hohe Beitragssteigerungen getrübt wird.“
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