Politik

GKV-Finanzen: Kassen schreiben schwarze Zahlen – noch

  • Mittwoch, 7. September 2022
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Berlin – Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wird dieses Jahr nach Berechnungen des Bundesgesund­heitsministeriums (BMG) ohne Verluste abschließen. Im ersten Halbjahr 2022 haben die Krankenkassen dem­nach rund 287 Millionen Euro mehr ausgegeben als eingenommen. Ihre Finanzreserven Ende Juni betrugen 9,6 Milliar­den Euro – also rund 0,4 Monatsausgaben, die dem Zweifachen der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve entsprechen.

Die Krankenkassen werden dieses Jahr in den schwarzen Zahlen bleiben, prognostiziert Bundesgesundheits­minis­ter Karl Lauterbach (SPD) heute. Grund dafür seien größere Rücklagen und der zusätzliche Steuerzu­schuss von 14 Milliarden Euro. „Der entfällt allerdings im kommenden Jahr“, warnt Lauterbach.

Um die Beitragszahler vor zu hohen Belastungen zu schützen, habe die Bundesregierung deshalb den – von allen Seiten kritisierten – Entwurf eines GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes beschlossen. „Mit diesem Gesetz werden wir die GKV-Finanzen für 2023 konsolidieren und die Lasten fair auf alle Schultern verteilen“, erklärt der Minister.

Im ersten Halbjahr standen Einnahmen in Höhe von 143,5 Milliarden Euro Ausgaben in Höhe von 143,8 Milli­arden Euro gegenüber. Während die Versichertenzahlen um 0,1 Prozent angestiegen seien, hätten die Ausga­ben für Leistungen und Verwaltungskosten einen Zuwachs von 5,4 Prozent verzeichnet, so das BMG.

Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz zum Quartalsende lag bei 1,36 Pro­zent und damit leicht oberhalb des Ende Oktober 2021 für das Jahr 2022 bekannt gegebenen durchschnittli­chen Zusatzbeitragssatzes von 1,3 Prozent.

Finanzentwicklung nach Krankenkassenart sehr unterschiedlich

Wie sonst auch zeigte sich die Finanzentwicklung je nach Krankenkassenart sehr unterschiedlich. Die Knapp­schaft erzielte einen Überschuss von 37 Millionen Euro, die Innungskrankenkassen und die Landwirtschaftli­che Krankenkasse – die nicht am Risikostrukturausgleich teilnimmt – einen Überschuss von jeweils 32 Millio­nen Euro.

Defizite erzielten hingegen die Ersatzkassen mit einem Minus von 235 Millionen Euro, die Allgemeinen Orts­krankenkassen (AOK) mit minus 98 Millionen Euro und die Betriebskrankenkassen mit minus 56 Millionen Euro.

Ein Defizit von 2,1 Milliarden Euro fuhr der Gesundheitsfonds ein. Zum Stichtag 17. Januar 2022 hatte er noch über eine Liquiditätsreserve von rund 7,9 Milliarden Euro verfügt. „Dieses ist saisonüblich und lässt keinen Rückschluss auf die Entwicklung im weiteren Jahresverlauf zu“, betont das BMG.

So würden die Ausgaben des Gesundheitsfonds als monatliche Zuweisungen in konstanter Höhe an die Kran­kenkassen fließen, während die Einnahmen unterjährig erheblich schwanken und insbesondere im letzten Quartal aufgrund der Verbeitragung von Jahressonderzahlungen wie beispielsweise dem Weihnachtsgeld höher ausfielen.

Die Beitragseinnahmen ohne Zusatzbeiträge sind laut BMG im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,1 Pro­zent gestiegen. Allerdings wendet das Ministerium ein, dass die Gesamtjahresentwicklung vor dem Hinter­grund der aktuell erheblichen wirtschaftlichen Risiken abzuwarten bleibt.

Verwaltungskosten gestiegen

Außerdem trage der Bund zur Bewältigung der Coronapandemie weiterhin einen Großteil der Ausgaben für pandemiebedingte Zahlungsverfahren, die aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds vorfinanziert wer­den, darunter Aufwendungen für Coronatestungen und für Impfungen gegen COVID-19 sowie Ausgleichs­zah­lungen für Krankenhäuser. Dafür seien insgesamt rund 16,8 Milliarden Euro aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zur Verfügung gestellt und vom Bund refinanziert worden.

Leistungsausgaben und Verwaltungskosten der Krankenkassen sind im ersten Halbjahr um 5,4 Prozent gestie­gen, erstere um 5,2 Prozent, letztere um 11,3 Prozent. „Zu berücksichtigen ist, dass die Rate bei den Leistungs­ausgaben auf einer Corona-bedingt niedrigen Basis aufsetzt und daher mit Blick auf die Entwicklung im wei­teren Jahresverlauf mit Vorsicht zu interpretieren ist“, warnt das BMG.

Weiterhin sei der sehr deutliche Anstieg der Verwaltungskosten maßgeblich auf die Bildung von hohen Alters­rückstellungen einer einzelnen Krankenkasse im ersten Quartal zurückzuführen und dürfte sich im weiteren Jahresverlauf deutlich abflachen.

Überproportional stark gestiegen sind die Ausgaben im Bereich der Schutzimpfungen, nämlich um 16,5 Pro­zent. Bei Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen waren es 15,9 Prozent und im Bereich der Heilmittel 12,5 Prozent. Der Anstieg bei den Schutzimpfungen sei vorrangig auf die Gruppe der Herpes-Zoster-Impfstoffe gegen Gürtelrose zurückzuführen. Die Kosten für Coronaimpfstoffe hingegen fielen nicht darunter, da sie vom Bund und nicht von den Krankenkassen finanziert werden.

Bei den Heilmitteln würden neben Vergütungsanpassungen zum Beginn dieses Jahres auch weiterhin die hohen unterjährigen Preisabschlüsse des Vorjahres wirken, die vor allem im ersten Halbjahr zur Dynamik der Ausgaben beitragen.

Ebenfalls überproportional stark seien die Ausgaben für Arzneimittel gewachsen: Mit 6,7 Prozent weisen sie laut BMG im Vergleich mit den zwei anderen großen Ausgabenbereichen der GKV – Krankenhaus und Ärzte – weiterhin die höchste Dynamik auf.

Um 2,3 Prozent sind im ersten Halbjahr auch die Ausgaben für ambulant-ärztliche Behandlungen gestiegen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass gesetzliche Korrekturmaßnahmen derzeit ausgabendämpfend wirken würden, um ungewollte Doppelfinanzierungen für besondere ärztliche Leistungen nach dem Terminservice- und Versorgungsgesetz zu korrigieren.

Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen wiederum seien um 4,0 Prozent gestiegen. Im Jahr 2020 waren die Pflegepersonalkosten aus den DRG-Pauschalen ausgegliedert worden – diese Ausgaben seien im ersten Halbjahr um 10 Prozent gewachsen, nachdem die Krankenkassen bereits im Jahr 2021 14 Prozent höhere Ausgaben für Pflegepersonalkosten als noch 2020 verbuchten.

Nach einer schwächeren Dynamik im Jahr 2021 entwickeln sich auch die Krankengeldausgaben wieder auf hohem Niveau: Sie stiegen laut BMG im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 7,4 Prozent. Auch die Aufwen­dungen für Kinderkrankengeld steigen weiterhin, und zwar um 2,2 Prozent.

Ausgaben in vielen Leistungsbereichen von Schätzungen geprägt

Das BMG betont die Vorläufigkeit der Halbjahreszahlen. Bei ihrer Interpretation sei grundsätzlich zu berück­sichtigen, dass die Ausgaben in vielen Leistungsbereichen, insbesondere bei Ärzten und Zahnärzten, von Schätzungen geprägt sind, da Abrechnungsdaten für den betrachteten Zeitraum häufig noch nicht oder nur teilweise vorliegen.

Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz in der GKV sei dieses Jahr durch die Zahlung des ergänzenden Bundeszuschusses von 14 Milliarden Euro weitestgehend stabilisiert worden. Dieser Zuschuss entfällt jedoch im Jahr 2023 vollständig, betont das BMG.

lau

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