Politik

GKV-Finanzen: Spitzenverband für nachhaltige Stabilisierung statt Sonderfinanzierung

  • Mittwoch, 8. Juni 2022
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Berlin – Der GKV-Spitzenverband fühlt sich von der Bundesregierung übergangen. Das erklärte heute der Alternierende Vorsitzende des Verwaltungsrats, Uwe Klemens. Der Verband fordert eine Abkehr von der Sonderfinanzierung der vergangenen Jahre und mehrere konkrete Maßnahmen zu einer nachhaltigen Stabilisierung der GKV-Finanzen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach habe den GKV-Spitzenverband seit seinem Amtsantritt kontinuierlich versetzt, beklagte Klemens. Dreimal seien bereits vereinbarte Gesprächstermine kurzfristig abgesagt worden – sodass er nun Konsequenzen ziehe. „Ich werde für einen Termin bei meinem Parteigenossen Lauterbach nicht mehr zur Verfügung stehen“, kündigte er an. „Unsere Herzen schlagen nicht für Lauterbach.“

Im Ton diplomatischer, aber im Inhalt ähnlich äußerte sich die Vorstandsvorsitzende Doris Pfeiffer. Lauterbach habe – abgesehen von seiner Krankenhauskommission, von der man nicht einmal wisse, ob sie schon mal getagt hat – bisher keine Initiative gezeigt, strukturelle Defizite anzugehen.

Von denen gebe es allerdings einige und der Spitzenverband hat klare Vorstellungen, welche beseitigt werden müssten, um die GKV-Finanzen zu stabilisieren. „Die Finanzierungslücke von 17 Milliarden Euro ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis, konkreter politischer Entscheidungen“, sagte Pfeiffer.

So entstehe der Ausgabenanstieg nicht nur durch medizinischen Fortschritt – der 2023 zu Mehrkosten von 3 Milliarden Euro führen werde. Er komme vor allem durch eine „ausgabentreibende Gesetzgebung“ zustande, insbesondere durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz sowie das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), die gemeinsam zu einer Kostensteigerung von fünf Milliarden Euro führen würden.

Strukturelle Anpassungen notwendig

Welche konkreten Auswirkungen die Coronapandemie auf die jüngste Entwicklung der GKV-Finanzen hatte, lasse sich noch nicht seriös beziffern. Fest stehe deshalb, so Pfeiffer, dass eine „kurzatmige Sonderfi­nanzierung“ – 2021 und 2022 immerhin 13,9 und 16,1 Milliarden Euro– keine finanzielle Stabilität schaffe.

Ziel könne nicht sein, „dass die GKV Jahr für Jahr neue Mittel bekommt, die dann als Subventionierung dargestellt werden“, erklärte Pfeiffer. Eine Beitragssatzerhöhung um ungefähr 1,1 Punkte würde das 17-Milliarden-Defizit im Jahr 2023 zwar stopfen können. Eine solche Erhöhung wäre jedoch nicht notwendig, würde die Bundesregierung jene Maßnahmen ergreifen, um zentrale strukturelle Defizite auszumerzen.

Ein zentraler Baustein zur Sanierung der Finanzen sei dabei die solide Refinanzierung von Auftragsleistungen, die die Krankenkassen in staatlichem Auftrag erbringen. Damit seien unter anderem Leistungen wie solche bei Schwangerschaft und Mutterschaft – beispielsweise ärztliche Betreuung, Hebammenhilfe oder stationäre Entbindung – gemeint, die familienpolitisch und damit versicherungsfremd seien. 14,5 Milliarden Euro im Jahr betrage hier die nötige Gegenfinanzierung.

Das Problem: Der Bundeszuschuss sei bei steigenden Kosten statisch. Er müsse deshalb dynamisiert werden, „weil er sonst schleichend entwertet wird“, wie Pfeiffer sagte. Stattdessen müsse er jährlich verlässlich und regelbasiert angepasst werden, gekoppelt an die tatsächlichen Ausgaben.

Ausreichend gegenfinanziert werden müsse künftig auch der Krankenversicherungsschutz. Früher – bis 1994 – habe die Krankenkasse bei Arbeitslosigkeit eines Versicherten vom Arbeitsamt weiterhin Beiträge auf Basis des zuvor erzielten Arbeitsentgeltes mit einer Bemessungsgrundlage von 100 Prozent erhalten.

Diese Bemessungsgrundlage sei im Laufe der Jahre kontinuierlich gesunken, auf 80 Prozent ab 1995, 58 Prozent Anfang des Jahrtausends und schließlich mit den Hartz-Reformen auf eine Pro-Kopf-Pauschale umgestellt worden. Die Beitragspauschalen des Staates seien hier aber um zwei Drittel zu niedrig.

Ergebnis sei nicht nur eine sukzessive Verschiebung des Arbeitsmarktrisikos in die GKV, sondern auch, dass die Krankenkassen den Staat mit 10 Milliarden Euro im Jahr subventionieren. „Das ist eigentlich eine staatliche Aufgabe, die aus Steuermitteln finanziert wird“, betonte Pfeiffer. Der GKV-Spitzenverband fordert deshalb, die Beitragspauschalen für Langzeitarbeitslose auf kostendeckendes Niveau anzuheben.

Tatsächlich findet sich das auch im Koalitionsvertrag wieder: „Wir finanzieren höhere Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln“, heißt es da. „Die Bereitschaft des Bundesarbeitsministeriums, das auch umzusetzen, hält sich aber in Grenzen“, sagte Pfeiffer.

Was es zwar in das Sondierungspapier, aber nicht in den Koalitionsvertrag geschafft hatte, um dann im kürzlich bekannt gewordenen, aber nicht autorisierten Entwurf für ein GKV-Spargesetz wieder aufzutauchen, ist eine Mehrwertsteuersenkung bei Arzneimitteln.

Pfeiffer betonte, dass das nach wie vor eine Forderung des GKV-Spitzenverbandes ist: Denn es könne nicht sein, dass Nahrungsmittel oder Produkte wie Schnittblumen mit sieben Prozent besteuert werden, lebenswichtige Arzneimittel wie Zytostatika oder Blutdrucksenker aber mit 19 Prozent.

Es handele sich dabei um eine Subventionierung des Staatshaushalts von jährlich sechs Milliarden Euro durch die Krankenkassen – und damit durch die Versicherten. „Wir finden, dass es keinen Sinn macht, dass Beitragszahler den Staatshaushalt finanzieren. Das sind lebenswichtige Arzneimittel!“, betonte Pfeiffer.

Würden diese drei zentralen Maßnahmen – Dynamisierung des Bundeszuschusses, Erhöhung der Beitragspauschalen für Arbeitslose und Senkung der Mehrwertsteuer bei Arzneimitteln – umgesetzt, so könne laut Pfeiffer nicht nur auf eine Anhebung des Beitragssatzes verzichtet werden, sondern auch auf mögliche Kostensenkungsmaßnahmen wie Leistungskürzungen.

Von denen hält Pfeiffer nach eigener Angabe ohnehin nicht viel. „Wir bräuchten nicht über Leistungskürzungen sprechen, wenn jede erbrachte Leistung auch notwendig wäre“, sagte sie und erklärte es an einem Beispiel: Niemand würde die Erstattung von Röntgenaufnahmen zur Disposition stellen – man müsse sich aber im individuellen Fall oft fragen, ob zwei oder mehr Bilder notwendig seien oder eines reicht. „Wir haben ein Problem mit Effizienz, mit Über- und Unterversorgung, aber nicht mit der Art der erstatteten Leistungen.“

lau

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