Hochschulmedizin: Künstliche Intelligenz und Interprofessionalität als Chance

Berlin – Die Deutsche Hochschulmedizin, ein Zusammenschluss der Universitätskliniken und der Medizinischen Fakultäten in Deutschland, möchte den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und interprofessioneller Zusammenarbeit in der Medizin forcieren. Beide Themen stellte sie in den Mittelpunkt des „Tags der Hochschulmedizin“, der gestern zum vierten Mal in Berlin stattfand.
Insbesondere zeigten sich die Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulmedizin überzeugt, dass durch die bessere Nutzbarmachung von Daten künftig Forschung sowie Patientinnen und Patienten erheblich profitieren würden. Die durch die elektronische Patientenakte (ePA) bald verfügbaren Daten stellten einen großen Schatz dar, an den die Universitätsmedizin hohe Erwartungen knüpfe.
Dies unterstrich auch der gestern anwesende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): Die Daten der „ePA für alle“ könnten mit Datensätzen aus 400 Registern sowie Abrechnungsdaten der Krankenkassen zusammengeführt werden. Die Struktur werde zu neuen Formen der Versorgung und zu einer „besseren Medizin“ führen. Die Künstliche Intelligenz und Digitalisierung allgemein würden Bausteine sein, die das deutsche Gesundheitssystem optimieren könnten.
„Daten retten Leben“. So brachte es Aldo Faisal, Professor für Digital Health mit Schwerpunkt Data Science in den Lebenswissenschaften an der Universität Bayreuth und dem Imperial College London, beim „Tag der Hochschulmedizin“ auf den Punkt. Gerade im medizinischen Bereich hätte der Einsatz von KI ein enormes Potenzial, erklärte er. Die Einsatzmöglichkeiten reichten von präziseren Diagnosen und individuellen Therapieansätzen bis hin zu effizienteren Abläufen in Krankenhäusern.
Doch um diese Potenziale voll auszuschöpfen, müssten technologische Innovationen mit den Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten und medizinischen Fachkräften in Einklang gebracht werden, so Faisal. „Die KI in der Medizin kann keine KI von der Stange sein“, betonte er. Zudem werde sie keineswegs Ärztinnen und Ärzte ersetzen. Sie werde ihnen aber eine Hilfe sein, den großen Bedarf an gesundheitlicher Versorgung zu decken. „KI kann Ärzten mehr Zeit geben, mit ihren Patienten und Patienten zu arbeiten“, betonte er. Neben technologischen Hürden seien aber vor allem auch noch soziologische Hürden zu überwinden.
Dazu müsse auf Bevölkerungsebene in einen „Change-Prozess“ investiert werden, meinte Gottfried Ludewig, ehemaliger Leiter der Abteilung für Digitalisierung des Gesundheitswesens im Bundesministerium für Gesundheit und jetzt tätig bei der Telekom-Tochter T-Systems International. Es gäbe immer noch große Sorge vor dem Unbekannten, speziell vor der KI. „Wir führen die Debatte von der falschen Seite“, sagte er. Viel zu intensiv werde über das Risiko des „gläsernen Patienten“ gesprochen. Eigentlich sollte man sich aber fragen, ob es nicht verantwortungslos wäre, die Daten und die Chancen der KI nicht für die medizinische Forschung zu nutzen.
Vom enormen Potenzial der KI in der Medizin ist auch Markus Leyck Dieken, ehemaliger Geschäftsführer der Gematik, überzeugt. „KI kann Ärztinnen und Ärzte beispielsweise schnell auf wenig bekannte Syndrome hinweisen. Die Diagnostik von seltenen Erkrankungen werden wir von bisher etwa acht Jahren auf sechs Monate verkürzen können“, erläuterte er. Zudem würde es viele Details geben, mit denen sich die Versorgung durch die KI verbessern lasse.
„Gerade in der Hochschulmedizin fallen sehr viele Daten an“, sagte Leyck Dieken. Deswegen sehe er hier sehr großes Potenzial. Aber die Politik müsse noch erkennen, dass sie schneller werden müsse, wünschte er sich für die Zukunft. „Momentan sind wir das langsamste Land.“ Digitalisierung dürfte nicht länger nur zusätzliche Dekoration sein.
Die Hochschulmedizin sei bereit, sich den Herausforderungen zu stellen, betonte Jürgen Graf vom Universitätsklinikum Frankfurt. „Wir investieren viel, um das Potenzial der KI nutzen zu können.“ Es gebe an vielen Standorten, beeindruckende Pilotprojekte sowie eine sehr offene Community in der Hochschulmedizin. „Die Menschen müssen jedoch erst spüren, dass ihre Arbeit tatsächlich erleichtert wird“, sagte er. Davon, dass die Vorteile von KI ihre Nachteile bei Weitem überwiegen würden, sei er aber persönlich überzeugt. Die Hochschulmedizin wolle die KI bei ihren Koordinationsaufgaben verstärkt einsetzen, wenn die Politik ihr dazu die Chance gebe.
Ein weiterer Schwerpunkt des „Tags der Hochschulmedizin“ war die Bedeutung einer reibungslosen und effizienten Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Helmut Schiffer, Pflegedirektor und Mitglied des Vorstands des Universitätsklinikums Freiburg. In seinem Vortrag beleuchtete er die aktuellen Herausforderungen der interprofessionellen Zusammenarbeit: gegenseitiges Verständnis, abgestimmte Arbeitsabläufe und die gemeinsame Verantwortung für die Patientinnen und Patienten.
„Gegenseitiges Zuhören ist sehr wichtig, und das müssen auch alle Hierarchien so verstehen“, sagte Schiffer. Die traditionellen Hierarchien im Krankenhaus würden in Zukunft nicht mehr so funktionieren können, ist er überzeugt. Die Pflege müsse auf Augenhöhe mit am Tisch sitzen. „Offenheit und Respekt müssen die Grundlage der künftigen gemeinsamen Arbeit sein“, forderte er. Dies werde auch von der Generation Z gewünscht. Am Universitätsklinikum Freiburg werde die interprofessionelle Lehre deshalb bereits gelebt: Studierende und Auszubildende der Pflege, der Medizin und der Hebammen würden gemeinsam ausgebildet. „Die Reform der interprofessionellen Zusammenarbeit ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit“, betonte Schiffer.
Es sei entscheidend, dass alle im Team wüssten, was die andere Profession könne, betonte Susanne Johna, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer und Vorsitzende des Marburger Bundes. Wichtig sei insbesondere die Kommunikation innerhalb eines Teams. „Junge Menschen denken nicht mehr in Hierarchien, sondern in Prozessen“, erklärte Martina Saurin non der Medizinischen Hochschule Hannover. Wichtig sei es für Mitarbeitende in den Leitungsfunktionen, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die ein Arbeiten auf Augenhöhe und einer kooperative Arbeitskultur ermöglichten. Dies mache etwas aus, unterstrich auch Silke Heinemann vom Bundesgesundheitsministerium.
Verliehen wurde gestern auch der mit 25.000 Euro dotierte Preis der Deutschen Hochschulmedizin 2024 für herausragende Teamleistungen in der universitätsmedizinischen Forschung. Diesmal erhielt ihn ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) für einen weltweit einmaligen Ansatz: Das „Herzpflaster“. Dieses bringt Stammzellen zur Reparatur des Herzmuskels zur Anwendung und soll das Herz dauerhaft stärken.
Die Studie sei ein Musterbeispiel für translationale Forschung, vom Labor bis in die klinische Anwendung und greife einen völlig neuen Ansatz in der Therapie einer der häufigsten Herzerkrankungen auf, so die Jury. Überzeugt habe aber die besondere Teamleistung der Universitätsmedizin und die Innovationskraft. Exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätten standortübergreifend sowie interdisziplinär über einen langen Zeitraum zusammengearbeitet und einen weltweit einzigartigen Ansatz gefunden. Zudem wäre das Forschungsprojekt ohne tierexperimentelle Forschung unter Berücksichtigung des 3R-Prinzips nicht möglich gewesen. „Das ist ein Beispiel für den Erfolg universitätsmedizinischer Innovation, Kommunikation und Koordination“, so Matthias Frosch, Präsident des Medizinischen Fakultätentags.
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