Politik

Insolvenzwelle bei den Krankenhäusern

  • Mittwoch, 11. Oktober 2023
/Vitalii Vodolazskyi, stock.adobe.com
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Berlin – Unter Deutschlands Krankenhäusern zeichnet sich offenbar die befürchtete Insolvenzwelle ab: Seit November des vergangenen Jahres haben bis heute nach Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) 26 Träger mit 34 Krankenhäusern Insolvenz angemeldet. Weitere Pleiten sollen in mehreren Fällen dadurch abgewendet worden sein, dass die örtlichen Kommunen als Retter einspringen.

„Die eine Frage ist, überleben die Krankenhäuser die nächste Zeit, bis eine Reform in Kraft tritt? Da hat sich die Lage weiter verschlechtert, weil die Kosten-Erlös-Schere weiter auseinandergegangen ist“, sagt DKG-Vizepräsident Thomas Lemke, im Hauptberuf Vorstandsvorsitzender der Sana-Kliniken in Ismaning.

Die Insolvenzen bedeuten bislang in der großen Mehrheit der Fälle nicht die Schließung, aber sehr viele Häuser sind in Not. Nach einer Umfrage der Unternehmensberatung Roland Berger unter den 600 größten deutschen Kliniken aus dem Sommer schreibt mehr als die Hälfte rote Zahlen.

Ein Beispiel: Der Klinikverbund Regiomed mit sieben Krankenhäusern in Oberfranken und Thüringen. Wegen Insolvenzgefahr haben die Gesellschafter jüngst entschieden, die Kliniken an die jeweiligen Kommunen zu übertragen.

„Mit allen Folgen gerade finanzieller Art, denn jeder Euro der Kommunen kann – wie bei jedem Privaten auch – nur einmal ausgegeben werden“, sagte Christian Meißner (CSU), Landrat des Kreises Lichtenfels und Vorsit­zender der Gesellschafterversammlung. Geld, welches an die Krankenhäuser gegeben werden müsse, fehle in anderen Bereichen wie Schulen oder Straßen.

„Im schlimmsten Fall findet eine Privatisierung der Krankenhauslandschaft durch Insolvenzen statt, wo sich die privaten Krankenhausbetreiber die Filetstücke, die Geld bringen, heraussuchen“, sagt der Kommunalpoliti­ker. „Der Rest – vermutlich hauptsächlich im ländlichen Raum – müsste dann abgewickelt werden.“

„Da sich viele Krankenhäuser nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen, gehen viele Experten davon aus, dass ohne die Krankenhausreform bis zum Jahr 2030 25 Prozent der Kliniken in Insolvenz gehen würden“, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums.

Die letzte Reform gab es 2003: Wegen explodierender Kosten führte der Bund damals diagnosebezogene Fallpauschalen (DRG) ein. Grob gesprochen: Für jede Diagnose und die entsprechende Therapie bekommen Kliniken Pauschalzahlungen, unabhängig davon, wie lang ein Patient bleibt. Das sollte Krankenhausaufent­halte verkürzen und die Wirtschaftlichkeit steigern.

Kliniken haben seither einen finanziellen Anreiz, möglichst viele Patienten zu behandeln. 1991 verbrachte ein Patient im Schnitt zwei Wochen im Krankenhaus, 2022 war es laut Statistischem Bundesamt nur noch halb so lang. Die Zahl der Krankenhausbetten ist seit 1991 um mehr als ein Viertel auf 480.000 geschrumpft, aber die jährliche „Fallzahl“ der Patienten stieg von 1991 bis 2019 von 14,5 auf über 19 Millionen. Die Pandemie brachte einen Einbruch auf unter 17 Millionen, der die Geldnot erheblich verschärft hat.

Krankenkassen werfen den Kliniken seit Jahren vor, zu viele und zum Teil unnötige Operationen anzusetzen. Nun will die Bundesregierung das System unter dem Stichwort „Entökonomisierung“ erneut ändern. Die Kli­niken sollen 60 Prozent ihrer Etats als „Vorhaltevergütung“ bekommen, ohne Verknüpfung mit Operationen und Behandlungen.

Doch in vielen Kliniken herrscht Existenzangst. „Wenn sich an den Eckpunkten nichts ändert, rutschen ungefähr 400 bis 500 Kliniken in die sogenannte Stufe der Polikliniken oder Ambulanzzentren“, sagte DKG-Vizepräsident Lemke. „Weitere 300 bis 400 Kliniken werden in ihren Versorgungsstufen herabgesetzt und stehen dann vor dem Aus“, warnt er. „Entscheidend dafür, wie viele Krankenhäuser in Deutschland überleben, ist die Frage, wie in der Krankenhausreform die Leistungsgruppen und Strukturmerkmale definiert werden.“

Anstelle der „Entökonomisierung“ fürchtet die DKG das Gegenteil: „Vierzig Prozent der Erlöse sollen weiter über das DRG-System erwirtschaftet werden“, sagt Lemke. Allerdings werde der Anteil der über die DRG verteilten Gelder sinken und damit die einzelne Leistung weniger wert sein. „Die kleinen und mittleren Krankenhäuser auf dem Land, die wir eigentlich schützen wollen, müssen also im Hamsterrad noch schneller rennen, um zu überleben.“

Ländliche Kliniken bieten häufig ein kleineres und weniger einträgliches Leistungsspektrum an als größere städtische Häuser. Als „Maximalversorger“ eingestufte Krankenhäuser in den Städten oder Unikliniken würden mit dem neuen Finanzierungssystem einen überproportionalen Anteil der Mittel bekommen, prophezeit DKG-Vize Lemke. „Am Ende des Tages wird das in eine faktische Rationierung hineinführen, das ist die Logik.“

Das Bundesgesundheitsministerium weist diesen Vorwurf explizit zurück: „Die Vorhaltevergütung senkt den wirtschaftlichen Druck auf die Krankenhäuser, Leistungen zu erbringen“, erklärte ein Sprecher. Minister Karl Lauterbach wiederum zeigt auf die Bundesländer. „Die Länder haben in den letzten zehn Jahren unstrittiger­weise 30 Milliarden an Investitionskosten nicht bezahlt“, sagte der SPD-Politiker kürzlich im Bundestag. Sicher scheint derzeit nur, dass weitere Insolvenzen folgen werden.

Schleswig-Holsteins Landtag verlangte heute hingegen Unterstützung des Bundes, um die Schließung von Krankenhäusern aus finanziellen Gründen zu verhindern. Konkret forderte das Parlament mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU und Grüne sowie von FDP und SSW, die Landesbasisfallwerte für 2022 und 2023 um vier Prozent zu erhöhen.

Dieser Wert dient der Berechnung der Kosten, die die Kassen den Krankenhäu­sern für stationäre Leistungen erstatten. In den Vorjahren waren die Erhöhungen deutlich niedriger. Die Opposition warf der Koalition vor, sie wälze die Verantwortung für die Kliniken einzig auf den Bund ab und unternehme selbst zu wenig.

Der vorgeschlagene Schritt könnte aus Sicht von CDU und Grünen die Lage der Kliniken stabilisieren, bis die vom Bund geplante Krankenhausreform greift. Bis dahin müsse ein Kliniksterben verhindert werden. Dazu hätte der Bund nach Auffassung der Koalitionsfraktionen und der Landesregierung ein Vorschaltgesetz ma­chen sollen, was aufgrund der finanziell prekären Lage aber nicht geschehen sei. Die Coronapandemie, steigende Kosten und die Inflation hätten die Kliniken erheblich belastet.

„Die Lage der Krankenhäuser ist höchst angespannt“, sagte Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken. Kernproblem sei das immer größere Auseinanderklaffen zwischen Kosten und Erlösen. Die Betriebskosten seien aufgrund der Energiekrise und der Inflation sowie infolge höherer Tarifabschlüsse massiv gestiegen. Da die Krankenhäuser nahezu keine Möglichkeit hätten, diese Kosten zu refinanzieren, rechneten die meisten von ihnen mit einem negativen finanziellen Ergebnis, erläuterte die CDU-Politikerin.

dpa

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