Klimaschutz: Krankenhäuser fordern zweistellige Milliardensumme

Berlin – Die Krankenhäuser in Deutschland sind in den vergangenen Jahren finanziell erheblich heruntergewirtschaftet worden und das hat auch den Klimaschutz in den Kliniken ausgebremst. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten, das das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) für die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) erstellt hat.
Dabei handelt es sich laut eigenen Angaben um die erste umfassende Erhebung klima- und energierelevanter Daten deutscher Krankenhäuser. Der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß stellte die Untersuchung heute gemeinsam mit Anna Levsen vom DKI vor.
Um die fehlende Finanzierung der vergangenen Jahre aufzuholen, werde ein Investitionsbetrag im mittleren zweistelligen Milliardenbereich für Klimaschutzanpassungen der Krankenhäuser benötigt, forderte Gaß. Zudem stelle die derzeitige Energiekrise eine wachsende Herausforderung für die Krankenhäuser dar, da die überwiegende Mehrheit auf Erdgas angewiesen sei und mit explodierenden Kosten rechnen müsse.
Hintergrund des DKI-Gutachtens ist, dass die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) in ihrer 93. Sitzung vom 30. September 2020 die DKG gebeten hatte, eine bundesweite Erfassung und Auswertung von klima- und energierelevanten Daten der Krankenhäuser zu beauftragen. Daraus sollten zudem Empfehlungen abgeleitet werden.
Entsprechend besteht das Gutachten aus drei Teilen: Erstens soll das 177-seitige Papier einen Überblick über den Status Quo in den Krankenhäusern geben. Zweitens sollen daraus Klimaschutzmaßnahmen abgeleitet und vorgestellt werden und drittens will das Gutachten über die Abschätzung von möglichen Investitionskosten informieren.
Alle drei Bereiche sollen zu Handlungsempfehlungen zur energetischen Sanierung von Krankenhäusern beitragen, um die Krankenhäuser in Deutschland langfristig klimaneutral zu gestalten.
Befragung aller größeren Krankenhäuser
Zur Erfassung des Status Quo führte das DKI eine Umfrage in den Krankenhäusern durch. Die Grundgesamtheit der Befragung bildeten alle Allgemeinkrankenhäuser ab 50 Betten in Deutschland. Insgesamt wurden die Fragebögen an 1.399 Krankenhäuser versendet.
Das DKI entwickelte zwei Fragebogenversionen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten, die jeweils zu 50 Prozent verschickt wurden. Dies sollte den Bearbeitungsaufwand der teilnehmenden Krankenhäuser möglichst geringhalten. Die untersuchten Themenfelder konzentrierten sich auf Klimaschutzbemühungen bei Energiemanagement und Nutzerverhalten, Strom, Contracting, Wärme, Kälte, Wasser, Abfallmanagement und Anpassungsstrategie.
Insgesamt haben 263 Krankenhäuser an der Befragung teilgenommen (18,8 Prozent). „Vor dem Hintergrund der komplexen Fragen und der Coronasituation sind wir mit dem Rücklauf der Fragebögen zufrieden und halten die Aussagen für sehr valide“, erklärte dazu Levsen.
Der Befragungszeitraum dauerte vom 28. Juni bis zum 5. August 2021. Allerdings wurden die Daten und Energiekennwerte für das Jahr 2019 erfragt, damit die pandemiebedingte Situation der Krankenhäuser die Daten nicht verzerrt.
Die Befragung zeige, dass noch viel zu tun ist, so Levsen. „Beim Thema Abfallmanagement haben schon viele entsprechende Maßnahmen etabliert, in anderen Bereichen ist noch mehr Bedarf da.“ So haben 70 Prozent der befragten Häuser Konzepte zur Mülltrennung/-vermeidung eingeführt. 75 Prozent achten beim Einkauf von Produkten auf die Reduzierung des Verpackungsmülls.
Beim Thema Energie zeigen sich allerdings gleich mehrere Herausforderungen. So nutzen 92 Prozent der Kliniken Erdgas. Der durchschnittliche Gasverbrauch eines Krankenhauses beträgt dabei rund 4,9 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Das entspreche einem Jahresverbrauch von 2.939 Einfamilienhäusern.
„Wir müssen feststellen, dass deutsche Krankenhäuser massiv auf die Primärenergie Gas angewiesen sind“, so Gaß. Dies sei kaum möglich, kurzfristig zu ersetzen.
Neben der Belastung für das Klima sei eine weitere Herausforderung die Vervielfachung der Preise angesichts der Energiekrise. 2019 lagen die durchschnittlichen Bezugskosten für Gas bei 345.000 Euro pro Krankenhaus, erklärte Gaß weiter.
Für Großkrankenhäuser (ab 600 Betten) würden hier die Kosten explodieren. Diese haben einen durchschnittlichen jährlichen Gasverbrauch von 16,9 Millionen Kubikmeter und damit mittlere Gaskosten von knapp 800.000 Euro.
„Wenn wir aktuell von der Verdreifachung des Gaspreises sprechen, werden Krankenhäuser mit 600 Betten plus künftig 2,4 Millionen Euro jährlich leisten müssen“, rechnete Gaß vor. „Schon allein mit dieser Zahl wird allen bewusst, über was wir hier reden“.
Zudem könnten einer aktuellen Blitzumfrage des DKI zufolge 61 Prozent der Krankenhäuser im Hinblick auf den kommenden Herbst kurzfristig kein Gas einsparen. „Weniger Abhängigkeit vom Gas ist nur möglich, wenn die technischen Anlagen in den Krankenhäusern umgerüstet werden und dazu braucht es auch entsprechende Investitionsmittel“, so Gaß.
Aufgrund noch laufender Verträge werden die Preissteigerungen beim Gas für die Krankenhäuser im kommenden Jahr nochmal deutlicher zu spüren sein, kündigte Gaß an. Kurzfristig sei deshalb ein Inflationsausgleich nötig, der schnell über den Zuschlag auf die Krankenhausrechnungen umsetzbar sei, forderte Gaß.
Außerdem pochte er auf eine umfassende Berücksichtigung der Krankenhäuser und ihre wichtigsten Zulieferer (etwa Wäschereien oder Speiseversorger) in den Gasnotfallplänen der Länder. Zwar seien die Krankenhäuser in der Prioritätenliste der Bundesnetzagentur weit oben und damit sei die Versorgung auch erstmal gewährleistet, so Gaß.
Die Abhängigkeit von Zulieferern bereite ihm aber große Sorgen. 80 Prozent der Krankenhäuser hätten demnach keine eigene Wäscherei, sondern arbeiten mit Dienstleistern zusammen. „Sollten diese mit Gas betriebenen Anlagen ausfallen, haben wir innerhalb weniger Tagen ein Problem mit dem Nachschub an Wäsche, die dringend benötigt wird, um die Versorgung aufrecht zu erhalten“, erläuterte Gaß.
Viele Kliniken setzen bereits auf Verschattung
Auch beim Thema Hitzereduktion sind schon einige Krankenhäuser dabei, ihre Situation zu optimieren. So nutzen etwa 80 Prozent der befragten Kliniken den Einsatz von Verschattung etwa durch Gebäudeteile, Bäume oder Jalousien und 74 Prozent der Häuser haben weitestgehend wärmedämmende Fenster installiert.
Die Krankenhausgebäude waren im Durchschnitt etwa 60 Jahre alt. Dies weise auf „großes Sanierungspotenzial der baulichen Substanz“ hin, so das Gutachten. Allerdings wurden in fast der Hälfte der Gebäude (47 Prozent) bereits einfache bauliche Maßnahmen wie Dach- und Fassadenbegrünung umgesetzt. Deutlich weniger häufig wurde die Gartenanlage umgebaut oder erweitert (35 Prozent) oder verschlossene Flächen entsiegelt (zehn Prozent).
Allerdings haben nur 38 Prozent der Krankenhäuser Leitlinien und Zielformulierungen zur Energieeinsparung und Nachhaltigkeit etabliert und nur knapp jede dritte Klinik beschäftigt einen Klimamanager oder eine Klimamanagerin (30 Prozent).
Die Befragung zeige insbesondere, dass das Potenzial der Krankenhäuser, einen Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten, sehr hoch ist. Das DKI schreibt dazu: „Die Ergebnisse der Krankenhausbefragung bestätigen den enormen Bedarf zur Weiterentwicklung von Klimaschutzbemühungen in Krankenhäusern für alle erfassten Maßnahmenfelder.“
Die größten Einsparpotenziale ergeben sich im Bereich Energie und Strom. 63 Prozent der befragten Krankenhäuser gaben hier Optimierungsmöglichkeiten an. Lediglich 57 Prozent der Häuser erzeugten Eigenstrom, davon nutzten 24 Prozent Photovoltaik-Anlagen. Und: Nur zwei bis vier Prozent nutzten regenerative Energien zur Wärmeerzeugung.
Ein Problem ist dabei auch, dass viele Krankenhäuser von bereits bestehenden Förderprogrammen keinerlei Kenntnis haben, beziehungsweise diese nicht in Anspruch nehmen. 65 Prozent der befragten Kliniken haben zwar entsprechende Kenntnisse, mehr als die Hälfte der Krankenhäuser (55 Prozent), haben die Programme allerdings noch nicht in Anspruch genommen.
Einige Klimaschutzmaßnahmen lassen sich sofort umsetzen
Das Gutachten konzentriert sich aber nicht nur auf den Status Quo der Krankenhäuser, sondern auch auf ausgewählte Klimaschutzmaßnahmen. Manche davon lassen sich einfach und schnell im Klinikalltag integrieren, etwa das Anbringen von Hinweisen zum Ausschalten von Lichtschaltern bei Nichtgebrauch oder effizientere Abfalltrennungen und Strukturen zur Vermeidung von Fehlwürfen etwa durch farbliche Markierungen.
Die meisten Empfehlungen zielen aber auf bauliche Veränderungen der Krankenhäuser ab, etwa im Bereich Energie. Dort ist die Top-Klimaschutzmaßnahme laut Gutachten das Einbauen von Erdwärmesonden zur Wärmung der Fußböden im Winter, beziehungsweise Kühlung der Decken im Sommer. Nicht überraschend ist unter den wichtigsten Maßnahmen auch die Substitution fossiler durch regenerative Energieträger oder die Nutzung von luftgekühlten Klimaanlagen anstatt wassergekühlten.
Wichtig sei auch, einige Anästhetika wie etwa Desfluran als inhalatives Narkotikum zu reduzieren oder ganz zu vermeiden, schreibt das DKI in ihrem Gutachten. Eine 7-stündige Narkose bei einem Frischgasfluss von 0,5 l/min mit 2 Prozent Sevofluran verursache einen Treibhausgaseffekt der vergleichbar mit einer 783 Kilometer langen Autofahrt sei. Bei 1,2 Prozent Isofluran seien es 667 Kilometer und bei 6 Prozent Desfluran 3.924 Kilometer, zitiert das Gutachten eine entsprechende Studie. Deshalb solle primär Sevofluran oder Isofluran genutzt werden.
Gaß zog insgesamt folgendes Resümee: „Wir haben die Krankenhäuser massiv runtergespart. Die Politik hat keine Priorität beim Thema Krankenhäuser gesetzt.“ Er fordert: „Die Politik muss jetzt reagieren. Sie muss einen Teil der Finanzmittel der für Klimawandel vorgesehen war, auch in die soziale Infrastruktur und in die Umstellung der Krankenhäuser investieren.“
Er spielte dabei auf die von der Bundesregierung angekündigten 200 Milliarden Euro für den Klimaschutz bis 2026 an. „Je nach angestrebtem Zielszenario (zum Beispiel Klimaneutralität aller Krankenhäuser) bewegt sich das erforderliche Investitionsniveau im mittleren zweistelligen Milliardenbereich“, schlussfolgert auch das DKI-Gutachten.
Dieser Betrag könnte über einen Krankenhausklimaschutzfonds, also eine Mischfinanzierung über Bund und Länder getätigt werden, so der Vorschlag. Zum Vergleich: Der Krankenhauszukunftsfonds, der die Digitalisierung der Krankenhäuser vorantreiben soll, ist derzeit auf 4,3 Milliarden Euro angesetzt.
Gaß zufolge muss aber nicht nur die Bundesregierung tätig werden, sondern auch die Bundesländer müssten ihrer Verpflichtung nachkommen, die Finanzierung der Krankenhäuser sicherzustellen. „Sämtliche Investitionsmittel müssen per Gesetz von den Bundesländern bereitgestellt werden, das gerät oftmals in Vergessenheit. Es ist die verdammte Pflicht der Politik das zu tun und wenn sie es nicht tut, dann muss die Politik sich das vorwerfen lassen und das tun wir."
Der Plan sei nun, das Gutachten im September der GMK vorzustellen. Gaß erwartet, dass die Ergebnisse des Gutachtens anschließend „hochprioritär“ mit dem Bundesgesundheitsministerium besprochen werden. Anfang des kommenden Jahres sollten zudem konkrete Entscheidungen zu diesem Thema anstehen, hofft Gaß.
Politiker begrüßen DKG-Initiative
Die Grünen-Politiker und Bundestagsabgeordneten Armin Grau und Johannes Wagner begrüßten die Initiative der DKG hin zu mehr Klimaschutz. „Der Gesundheitssektor ist einerseits Leidtragender der Klimakrise, andererseits trägt er selbst in erheblichem Maß zur Klimaerhitzung bei. Aktuell verursacht das Gesundheitswesen zirka fünf Prozent des CO2-Ausstoßes in Deutschland.“
Klimaschutz sei ein elementar wichtiges Thema für den Gesundheitssektor. Darüber hinaus verdeutliche der derzeitige extreme Preisanstieg der Energiekosten die Bedeutung von Energieeffizienz in deutschen Krankenhäusern. „Wir wollen den Ausbau von Klimaschutzmaßnahmen und Energieeffizienz in den Krankenhäusern unterstützen und sie so nachhaltiger machen. Die Verknüpfung von Gesundheit und Klimaschutz ist ein wichtiger Motor für die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit“, so die Grünen-Politiker.
Ihre Parteikollegin Paula Piechotta wird etwas deutlicher und fordert die Länder auf, die Krankenhäuser besser zu unterstützen: „Spätestens jetzt, da die Kliniken gestiegene Energiekosten, Digitalisierung, bessere Tarifverträge und die Anpassung der Krankenhäuser an die Klimakrise finanzieren müssen, können sie nicht länger ihre Investitionen aus den laufenden Kosten querfinanzieren.“ Damit sei auch klar, dass die Länder erstmals seit Jahrzehnten ihrer Verpflichtung nachkommen müssten, die Krankenhausinvestitionen aus den Länderhaushalten zu finanzieren.
Nach Schätzungen des DKI fehlten jährlich rund drei Milliarden Euro, die sich die Länder auf Kosten der Patientinnen und Patienten und Beschäftigten sparen und darauf vertrauen, dass die Vergütung der Krankenkassen für notwendige Investitionen herangezogen werden, obwohl sie eigentlich nur die Kosten für den laufenden Betrieb abdecken sollen, so die Ärztin und Mitglied im Gesundheitsausschuss im Bundestag.
Sie erklärte weiter: „Die Länder sind damit einer der Gründe für schlechte Arbeitsbedingungen in den Kliniken, weil Personal gekürzt wird, um sich Investitionen überhaupt noch leisten zu können.“ Die Querfinanzierung aus Zuschüssen der Kassen und vom Bund sei gerade in Zeit angespannter Haushalte nicht länger tragbar. „Auch deswegen brauchen wir dringend die von der Ampel geplante Krankenhausreform mit einer klaren Krankenhausfinanzierung.“
Holetschek ruft nach finanziellem Anstoß vom Bund
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sieht allerdings eher den Bund in der Pflicht. Er forderte heute den Bund auf, Bayerns Bundesratsinitiative für ein Förderprogramm zur Klimaertüchtigung von Krankenhäusern zeitnah aufzugreifen.
Der Minister sagte: „Wir brauchen ein Investitionsprogramm, um die Krankenhäuser energieeffizienter, ressourcenschonender und damit klimafreundlicher zu machen. Es ist völlig klar, dass wir die Kliniken mit den Kosten dafür nicht alleine lassen dürfen. Wir brauchen einen Anstoß vom Bund.“
Weiter erläuterte er: „Mit unserer Bundesratsinitiative, die ich am 8. Juli eingebracht habe, schlagen wir ein auf drei Jahre befristetes Förderprogramm mit einem Volumen von jährlich 500 Millionen Euro vor, also insgesamt 1,5 Milliarden Euro. Damit können wir die Investitionen anstoßen, die nötig sind, um die Kliniken fit zu machen für eine klimaschonende Zukunft.“
Der Minister ergänzte: „Die Investitionen zahlen sich gleich mehrfach aus: Durch die Senkung des Energieverbrauchs schützen wir das Klima und reduzieren zugleich die hohen Energiekosten, die für die Kliniken zunehmend zu einer massiven Belastung werden. Damit machen wir uns nicht zuletzt unabhängiger von ausländischen Energieimporten.“
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