Hitze: Knapp neun Millionen Menschen in Deutschland gefährdet

Berlin – Drohende Hitzewellen sind in Deutschland für rund 8,9 Millionen Menschen potenziell lebensbedrohlich. Das berichtet das Recherchezentrum Correctiv heute. Um die Bevölkerung zu schützen, fordern Experten weitergehende Hitzeschutzmaßnahmen.
Für diese Risikogruppen, insbesondere schwerbehinderte Menschen sowie alleinlebende Personen über 65 Jahre, gibt es nach Angaben von Correctiv in Frankreich ein Hitzeregister: Bei extremen Temperaturen werden sie täglich von einem Sozialdienst angerufen und nötigenfalls mit Trinkwasser und Ventilatoren versorgt.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) teilte demnach dagegen mit, Daten zu Risikogruppen seien hierzulande nicht verfügbar; auch ein Register nach französischem Vorbild sei nicht geplant. Es sei in Deutschland Aufgabe der Länder und Kommunen, regional angepasste Aktionspläne zu entwickeln.
Unterdessen würden Experten ein Vorgehen wie in Frankreich begrüßen: „Hitze ist tatsächlich eine Gefahr und kann tödlich für Menschen sein“, sagte Claudia Traidl-Hoffmann vom Helmholtz Zentrum München und Inhaberin des Lehrstuhls für Umweltmedizin an der Universität Augsburg bei einer heutigen Pressekonferenz der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG).
Chronisch Kranke könnten unter Hitze noch kränker werden. Aber nicht nur für Menschen mit Vorerkrankungen sei Hitze gefährlich. Gerade auch Kinder hätten eine reduzierte Thermoregulation und könnten einen Hitzschlag erleiden, so Traidl-Hoffmann. Dieser sei manchmal nicht mehr rückgängig zu machen und könne zum Tod führen.
„Auch Medikamente wirken anders bei Hitze. Das wird noch gar nicht beachtet“, betonte die Umweltmedizinerin. Umweltfaktoren und Hitze müssten etwa bei Studien zu neuen Medikamenten mit aufgenommen werden, forderte sie.
Wichtig sei das bereits bestehende Warnsystem bei Hitzewellen, betonte Andreas Matzarakis, Professor für Umweltmeterologie beim Deutschen Wetterdienst (DWD) Freiburg.
Der Deutsche Wetterdienst warne schon heute vor Hitzewellen im Internet, per Newsletter oder auch Smartphone-App. „Da ist aber noch Luft nach oben“, sagte Matzarakis. Er wünsche sich, dass bei Hitze künftig etwa ein Laufband im Fernsehen eingeblendet werde oder alle eine Mitteilung mit konkreten Tipps und Warnungen auf das Handy bekommen würden.
Personalisierte Medizin als Hitzeschutz?
Für kommende Hitzewellen müssten verstärkt auch Digitalisierungs-Tools zur Warnung und Informationen genutzt werden, betonte Traidl-Hoffmann. Im Rahmen von personalisierter Prävention und Medizin brauche es etwa die Entwicklung von intelligenten Apps, die beispielsweise den Puls einer gefährdeten Person messen und bei Bedarf entsprechend warnen. Solche Ansätze seien derzeit beim Helmholtz-Institut in der Entwicklung, so Traidl-Hoffmann.
Der Präsident der bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), Gerald Quitterer, betonte bei einer Pressekonferenz, dass auch die Ärzteschaft stärker Verantwortung im Klimawandel übernehmen müsste. „Hitzeschutz muss verstärkt in Aus-, Fort- und Weiterbildung verankert werden. Da sind wir auf einem guten Weg“, so Quitterer. Auch die Frage wie Klimasprechstunden in die normale Sprechstunde integriert werden könnten, werde gerade etwa von der bayerischen Ärztekammer erörtert.
Um auf aktuelle Hitzewellen kurzfristig zu reagieren, könnten sich Gesundheitsakteure mit Kommunen zusammensetzen, um zu überlegen, wo die größte Gefährdung lauere und wer besonders geschützt werden müsse, erklärte Martin Herrmann, Vorstandsvorsitzender von KLUG.
Dazu könnten etwa kommunale, kühle Räume wie etwa Kirchen oder Einkaufszentren als Rückzugsorte freigestellt werden. Hier gebe es einige Möglichkeiten, die kein Geld kosten, so Herrmann. Auch gebe es etwa bei vielen Obdachlosen Kältehilfen, aber noch keine Hitzehilfen. Hier müsse sich etwas ändern, so Hermann.
Mittel- und langfristig werden aber stadtplanerische und bauliche Maßnahmen benötigt, um Kommunen aber auch Krankenhäuser klimaneutral zu gestalten und mit Hitzeschutzkonzepten zu versehen.
„Es werden jetzt noch Großkliniken gebaut, die keine guten Hitzeschutzkonzepte haben. Das ist eine Katastrophe. Zum Beispiel in Göttingen oder Hannover werden gerade Unikliniken gebaut, ohne dass dort Hitzeschutz mitgedacht wird“, so Herrmann. Zudem seien verpflichtende Hitzeschutzmaßnahmen in Einrichtungen des Gesundheitswesens notwendig. Hitzeschutz als freiwillige Aufgabe zu definieren, habe gezeigt, dass nur wenige Entscheidungstragende den Handlungsbedarf erkennen und das Thema nicht ausreichend priorisiert werde.
Bewohner in Pflegeeinrichtungen schützen
Die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll, forderte die Länder auf, Geld für Klimaanpassungsmaßnahmen in Heimen zur Verfügung zu stellen. „In Zeiten des Klimawandels und längerer Hitzeperioden werden sich mittelfristig alle Pflegeeinrichtungen damit beschäftigen müssen, ihre Bewohner vor extremen Temperaturen besser zu schützen“, sagte Moll den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Denn zur Fürsorgepflicht, die in den Landesheimgesetzen festgeschrieben sei, gehörten auch erträgliche und gesunde Raumtemperaturen. „Langfristig sind bauliche Fragen zur Wärmedämmung und Isolierung oder auch von Außenrollos zu klären“, sagte Moll.
Solche Investitionen gingen aber schnell ins Geld und müssten gut vorbereitet sein, so die Bevollmächtigte. „Für die Refinanzierung der Investitionskosten sind die Länder in der Pflicht.“ Doch nur wenige würden dieser Pflicht nachkommen.
„Leidtragende sind die Bewohner und auch die dort arbeitenden Pflegekräfte. Ich wiederhole daher permanent meinen Appell an die Länder, die Investitionskosten in den Pflegeeinrichtungen endlich mal zu übernehmen.“
Kurzfristig könnten bei akuten Hitzephasen auch einfache Dinge die Situation verbessern, sagte Moll, wie morgendliches Stoßlüften, die Verdunklung und die an heißen Tagen noch relevantere Kontrolle der Flüssigkeitszufuhr. Letztendlich würden jedoch "viele Einrichtungen in Baumaßnahmen investieren müssen".
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