Krankenhausreform: Drei Versorgungsstufen sollen es richten

Berlin – Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesetzte Regierungskommission hat heute Vorschläge für einen weitgehenden Umbau der deutschen Krankenhausversorgung vorgelegt. Darin schlagen die 17 Mitglieder der Kommission insbesondere drei strukturelle Neuerungen vor. Künftig sollen die deutschen Krankenhäuser in drei Versorgungsstufen unterteilt werden. Jeder Stufe sind Mindestanforderungen zugeordnet, die die Krankenhäuser vorhalten müssen.
Zudem ist die Einführung von 128 Leistungsgruppen vorgesehen, die den Krankenhäusern zugeteilt werden sollen. Statt der Einteilung „Innere Medizin“ würde einem Krankenhaus dann zum Beispiel die Leistungsgruppe „Kardiologie“ zugewiesen. Drittens sollen sich die Betriebskosten künftig aus zwei Säulen zusammensetzen: einer – nach Leistungsgruppen variierenden – Vorhaltepauschale und den leistungsabhängigen Fallpauschalen.
„Die Krise der Krankenhäuser hat sich aktuell noch einmal zugespitzt“, sagte der Koordinator der Regierungskommission, Tom Bschor, heute bei der Vorstellung des Reformkonzepts in Berlin. „Täglich erreichen uns Berichte von gesperrten Abteilungen und Notaufnahmen. Es gibt Überbelegungen, das Personal ist massiv überlastet.“ Das sei eine inakzeptable Situation – vor allem, wenn man bedenke, dass Deutschland 13,1 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts – und damit vergleichsweise viel – für das Gesundheitswesen ausgebe und es zudem bezogen auf die Einwohnerzahl relativ viel Personal im System gebe.
Die nun vorgeschlagene Reform solle die Überökonomisierung des deutschen Gesundheitssystems beenden und medizinischen Entscheidungen wieder mehr Gewicht geben, so Bschor. Ohne eine solch grundlegende Reform des Systems bestehe die Gefahr, dass die Krankenhäuser in Deutschland kollabierten.
Einheitliche Versorgungsstufen
Zunächst schlägt die Kommission vor, bundesweit einheitliche Stufen für die Krankenhausversorgung zu definieren. „Die Krankenhausstrukturen in Deutschland sind historisch gewachsen und regional verschieden“, heißt es zur Erklärung in der Stellungnahme „Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung“. „Jedes Krankenhaus hält unterschiedliche Fachabteilungen und Leistungen vor, die keiner genauen Definition und nur teilweise Mindestanforderungen unterliegen.“ Und die Bundesländer gingen in ihren Krankenhausplänen sehr unterschiedlich damit um.
Um dieses System zu vereinheitlichen, schlägt die Kommission vor, die Krankenhäuser in drei Level zu unterteilen. Level-1-Krankenhäuser sind demnach Krankenhäuser der Grundversorgung, Level-2-Krankenhäuser sind Krankenhäuser der Regel- und Schwerpunktversorgung und Level-3-Krankenhäuser übernehmen die Maximalversorgung.
Vorschläge für neue Grundversorgung
Level-1-Krankenhäuser sollen dabei noch einmal unterteilt werden in Level-1n-Häuser, die die Notfallversorgung sicherstellen, und Level-1i-Häuser, die eine sektorenübergreifende Versorgung anbieten. „Wir stellen uns vor, dass in Level-1i-Häusern akutpflegerische Leistungen mit Akutpflegebetten vorgehalten werden“, erklärte Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), der Mitglied der Regierungskommission ist.
„Diese Einrichtungen sollen auch von qualifizierten Pflegefachpersonen geleitet werden können.“ Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aus der Umgebung hätten die Möglichkeit, hier Betten zu belegen. Ihre Leistung soll nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgerechnet werden. „Diese Einrichtungen können aber auch Ärztinnen und Ärzte fest anstellen“, so Karagiannidis. „Über Telemedizin können sie mit größeren Krankenhäuser verbunden sein.“
Die Kommission schlägt vor, diese Level-1i-Einrichtungen aus dem DRG-System herauszulösen und mit „sachgerecht kalkulierten, degressiven Tagespauschalen“ zu vergüten, wie es in der Stellungnahme heißt. Die Pauschalen sollen die Kosten für die Akutpflege einschließlich anderer Personal- und Sachkosten beinhalten. Diesen Einrichtungen soll eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Überwindung der Sektorengrenzen zukommen. Deshalb empfiehlt die Kommission, sie sektorenübergreifend regional zu planen.
Enge Vernetzung der Krankenhäuser
Für jedes Level sollen feste Mindestvoraussetzungen im Sinne einer mindestens erforderlichen Strukturqualität festgelegt werden, um eine qualitativ hochwertige stationäre und sektorenübergreifende Versorgung zu ermöglichen. „Krankenhäuser dürfen die jeweiligen Leistungen nur noch erbringen, wenn sie bestimmte Strukturqualitäten erfüllen“, betonte Karagiannidis. „Krebspatienten dürfen nur in zertifizierten Zentren behandelt werden.“ Und nicht mehr jedes Krankenhaus dürfe eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) vornehmen. Heute leide das Gesundheitssystem unter einer extrem heterogenen Qualität der Krankenhäuser, sagte der Lungenarzt. Deshalb sei es unabdingbar, Mindeststrukturvoraussetzungen einzuführen.
In ihrer Stellungnahme führt die Kommission näher aus, wie sie sich die künftige Versorgung vorstellt. „Bei einer Staffelung der Versorgung in Leveln ist eine enge Vernetzung der Krankenhäuser unabdingbar, für die der Gesetzgeber Anreize setzen sollte“, heißt es darin. „Diese umfasst gemeinsam abgestimmte Patientenpfade für Routineverläufe und bei Komplikationen, gemeinsame Entscheidungsfindung, zum Beispiel in Indikations- oder Tumorboards, frühzeitige Identifikation von Risikopatientinnen und -patienten mit Verlegung in übergeordnete Zentren, bis hin zur täglichen interdisziplinären Beratung komplexer Fälle auch durch telemedizinische Vernetzung.“ Diese sei gesondert zu refinanzieren.
„Darüber hinaus sollten Level-I-Krankenhäuser auch in Bezug auf die Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte fest mit Level-III-Krankenhäusern kooperieren“, heißt es weiter. „Die Regierungskommission regt an, dass die Vernetzung von Level-I- und -III-Krankenhäusern bis hin zu Partnerkliniken so eng wird, dass Teile der ärztlichen Ausbildung im Rahmen der Kooperation an unterschiedlichen Standorten erbracht werden können.“
Genau definierte Strukturvoraussetzungen
Darüber hinaus schlägt die Kommission die Einführung von 128 Leistungsgruppen vor, mit denen den Krankenhäusern genauer zugewiesen werden kann, welche Leistungen sie erbringen dürfen. „Die lediglich grobe Zuweisung von Fachabteilungen (wie ‚Innere Medizin‘) zu Krankenhäusern soll durch genauer definierte Leistungsgruppen abgelöst werden (zum Beispiel ‚Kardiologie‘)“, heißt es in der Stellungnahme. „Derzeit behandeln Krankenhäuser gewisse Fälle zu häufig auch ohne passende personelle und technische Ausstattung, etwa Herzinfarkte ohne Linksherzkatheter, Schlaganfälle ohne Stroke Unit oder onkologische Erkrankungen ohne zertifiziertes Krebszentrum.“
Künftig sollen Behandlungen nur noch abgerechnet werden können, wenn dem Krankenhaus die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt wurde. „Voraussetzung für die Zuteilung ist die Erfüllung genau definierter Strukturvoraussetzungen für die jeweilige Leistungsgruppe, etwa bezüglich personeller und apparativer Ausstattung“, schlägt die Kommission vor. „Je nach Komplexität wird für jede Leistungsgruppe festgelegt, ob sie an Krankenhäusern aller drei Level erbracht werden darf oder nur an Krankenhäusern höherer Level. Die Kommission schlägt vor, dass der Medizinische Dienst (MD) die Einhaltung der Mindeststrukturvoraussetzungen auf Ebene der Level und Leistungsgruppen überprüft.
Reform ist nur mit den Bundesländern möglich
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betonte, dass sich die Vorschläge der Kommission nur auf die Reform der bundesweiten Vergütung bezögen. Die Krankenhausplanung bleibe weiterhin zu 100 Prozent in der Hand der Bundesländer. Eine Umsetzung der Reformideen wird aber nur möglich sein, wenn die Bundesländer sie aufgreifen und umsetzen. So heißt es in der Stellungnahme der Regierungskommission: „Die Bundesländer ordnen die Krankenhäuser nach der MD-Prüfung einem der oben genannten Level zu und vergeben die Leistungsgruppen.“
Auch Sanktionen sind für Krankenhäuser vorgesehen, die die Vorgaben nicht einhalten: „Sollten die Mindestvoraussetzungen vorübergehend oder dauerhaft unterschritten werden, empfiehlt die Regierungskommission relevante Abschläge im Vorhaltebudget, die an das Bundesamt für Soziale Sicherung zurückgeführt und von ihm anteilsmäßig auf alle anderen Leistungserbringer der entsprechenden Leistungsgruppe verteilt werden.“
Hierdurch entstehe ein weiterer Anreiz, die Mindeststrukturvoraussetzungen zu erfüllen. Weiterhin solle eine verpflichtende Teilnahme an Kapazitätsregistern mit dem Ziel der automatisierten Real-Time-Datenübermittelung mit öffentlicher Darstellung für alle Krankenhäuser aller Level eingeführt werden.
Vorhaltepauschalen bis 60 Prozent
Als dritte große Neuerung im System regt die Kommission an, dass die ausschließliche Finanzierung der Krankenhäuser durch Fallpauschalen durch ein Zwei-Säulen-Modell abgelöst wird. „Wir schlagen vor, dass künftig 40 Prozent der Betriebsmittel über Vorhaltepauschalen finanziert werden“, sagte Karagiannidis. Darin sei das Pflegebudget enthalten, mit dem heute die Personalkosten für die Pflege am Bett vergütet werden. In manchen Leistungsgruppen solle die Vorhaltepauschale 60 Prozent betragen, zum Beispiel in der Intensivmedizin, der Notfallmedizin, der Neonatologie oder der Geburtshilfe, so Karagiannidis weiter.
Das Vorhaltebudget soll künftig über das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) ausgezahlt werden, wie die stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Charité, Irmtraut Gürkan, erklärte, die ebenfalls Mitglied der Regierungskommission ist. Sie betonte, dass die Reform nicht von heute auf morgen, sondern im Rahmen einer fünfjährigen Konvergenzphase umgesetzt werden sollte.
Bschor stellte klar, dass mit der Reform nicht mehr Mittel in das System fließen sollen. „Die Gesamtsumme der Betriebsmittel soll gleichbleiben“, sagte er.
„Ohne Störung durch Lobbygruppen“
Lauterbach dankte der Kommission für ihre ehrenamtliche Arbeit und betonte, dass diese ihre Vorschläge „ohne Störung durch das Bundesgesundheitsministerium und durch Lobbygruppen“ erarbeitet habe. Er kündigte an, die Vorschläge bei der nun anstehenden Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs „auf jeden Fall“ zu berücksichtigen. „Diese Vorschläge werden die Grundlage für die nächsten politischen Reformschritte sein“, sagte Lauterbach.
Gestern habe er die Vorschläge in Grundzügen den Bundesländern und den Abgeordneten des Bundestags vorgestellt. Eingehender wolle er die Reform mit ihnen Anfang Januar diskutieren.
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