Politik

Krankenkassen sehen keine Engpässe bei Medizinprodukten

  • Donnerstag, 6. Juni 2024
/wladimir1804, stock.adobe.com
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Berlin – Der GKV-Spitzenverband sieht derzeit keine Anhaltspunkte für Versorgungsprobleme bei Medizinprodukten. Bei der Anhörung eines Antrags der Unionsfraktion im Bundesgesundheitsausschuss zur Reform der Europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR) wies der Verband Kritik von Industrie und Politik zurück.

Branchenverbände, Politiker, aber auch einzelne Ärzte warnen in den zurückliegenden Monaten kontinuierlich, dass die Umsetzung der MDR zu Versorgungsproblemen bei Medizinprodukten führe. Neben gestiegenen Kosten und bürokratischen Anforderungen an die Unternehmen führen demnach vor allem Kapazitätsengpässe bei den sogenannten Benannten Stellen – die für Zertifizierung und vorgeschriebene Neuzertifizierung zuständig sind – zu erheblichen Schwierigkeiten.

„Angesichts dieser Rahmenbedingungen haben bereits zahlreiche Unternehmen entschieden, Produkte gar nicht mehr für eine Neuzertifizierung in Europa vorzusehen, sondern gleich vom Markt zu nehmen oder alternativ nur noch in den USA mit einem einfacheren Verfahren zuzulassen“, schreiben CDU und CSU in ihrem Antrag.

Die Branchenverbände würden schätzen, dass in Deutschland und Europa mindestens zehn Prozent der Unternehmen vom Markt verschwinden werden, insbesondere kleine und mittlere Wirtschaftsakteure. Die Bundesregierung solle sich deshalb auf europäischer Ebene stärker für grundlegende Änderungen an der MDR einsetzen.

Im April hatte das Europäische Parlament einer Fristverschiebung der für Neuzertifizierungen zugestimmt, um akute Engpässe abzuwenden. Die Unternehmen haben nun vier Jahre mehr Zeit, um ihre Produkte auf die MDR-Vorgaben umzustellen.

„Die Änderungen, die an der MDR vorgenommen wurden, waren richtig und wichtig. Das Kernproblem bleibt allerdings und kann mit Fristverschiebungen nicht gelöst werden“, erklärte Christina Ziegenberg, Leiterin des Referats Regulatory Affairs beim Bundesverband Medizintechnologie (BVMed), bei der gestrigen Anhörung im Bundesgesundheitsausschuss.

Es brauche dringend eine Weiterentwicklung der MDR um ihre wichtigsten Schwächen – eine mangelnde Effizienz der Verfahren, fehlende Harmonisierung und überbordende Bürokratie – abzubauen. Es seien vor allem die kleinen und mittelständischen Medizinproduktehersteller, die mangels Kapazitäten unter diesen Regelungen leiden würden.

Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes sind solche Warnungen überzogen. Zwar gebe es vereinzelte Berichte über Engpässe bei bestimmten Produkten, beispielsweise Katheter in der Kinderkardiologie, erklärte Matthias Dettloff von der Medizin-Abteilung des GKV-Spitzenverbands.

Allerdings würden solche Einzelfälle „polemisch verwendet, um die MDR schlechter zu reden als sie eigentlich ist“, sagte er. „Wir haben aktuell keine Anhaltspunkte, dass es akute Versorgungsprobleme gibt.“ Das größte Problem sei momentan vielmehr, dass es zu einem Zertifizierungsstau von Bestandmedizinprodukte bei den Benannten Stellen gekommen sei, der sich aber bereits während der COVID-19-Pandemie gebildet habe.

Dabei habe es auch eine Rolle gespielt, „dass die betroffenen Unternehmen die Zertifizierungen ihrer Produkte nach neuem Recht lange hinausgezögert haben und die notwendige Neubenennung der zuständigen Benannten Stellen in den ersten Jahren nach Geltungsbeginn der Medizinprodukteverordnung nur schleppend vorankam“, schreibt der GKV-Spitzenverband zudem in seiner Stellungnahme zum Antrag.

Auch die Problematik der Engpässe bei den Benannten Stellen sei nicht so dramatisch wie oft beschrieben, erklärte Royth von Hahn, Leiter der Medical and Health Services beim TÜV Süd. Die Zahl der Benannten Stellen sei bereits stark gestiegen, allerdings sei ihre Zahl auch gar nicht so ausschlaggebend.

Entscheidend seien vielmehr die internen Kapazitäten, die die Benannten Stellen für bestimmte Produktklassen zur Verfügung stellen. Und auch hier habe es in jüngster Vergangenheit große Verbesserungen gegeben. „Wir können jeden Antrag bearbeiten – nicht sofort, aber in der Frist“, beteuerte er.

Auch Dettloff zeigte sich zuversichtlich, dass der Zertifizierungsstau aufgrund der verlängerten Fristen abgebaut werden kann und Zertifizierungen künftig schneller vonstattengehen könnten: „Die angegebenen Zeiten scheinen sich momentan noch bei 13 bis 18 Monaten stabilisiert zu haben. Aber es ist durchaus denkbar, dass sich das beschleunigt, sobald das System gelernt hat.“

Der Vergleich mit den USA, wohin viele Unternehmen ihre Produkteinführung aufgrund kürzerer Zertifizierungszeiten verlagern würden, sei zudem nicht zutreffend. Dort starte angegebene Zeit nämlich erst, wenn die Antragsunterlagen vollständig eingereicht wurden.

In Europa gebe es demgegenüber aber das Problem, dass Unternehmen – auch mangels besseren Wissens bezüglich der Anforderungen – oftmals unvollständige Anträge einreichen würden. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass da noch Beschleunigungspotenzial ist und wir bald Zeiten erreichen, mit denen alle zufrieden sind“, betonte er.

Dennoch zeigte er sich zumindest teilweise offen für Vorschläge aus der Industrie: So moniert der BVMed eine fehlende Zentralisierung im Zertifizierungssystem. Es gebe unterschiedliche Verantwortlichkeiten für Produkte, Zertifizierungsverfahren, Benannte Stellen und die Erstellung von Leitlinien.

„Die Einrichtung einer zentralen, rechenschaftspflichtigen und verantwortlichen Verwaltungsstruktur für Medizinprodukte mit Entscheidungsfähigkeit auf Systemebene in Verbindung mit einer konsequenten Anwendung der Grundsätze guter Verwaltungspraxis hätte bedeutende Vorteile gegenüber dem derzeitigen System der MDR“, erklärte der Verband in seiner Stellungnahme.

Zumindest für Produkte wie sogenannte Orphan Devices, die nur in geringer Stückzahl produziert werden, könne er sich ein solches Verfahren durchaus vorstellen, erklärte er. Dieses könne man bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) oder einer neu zu gründenden Stelle ansiedeln.

lau

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