Politik

Lauterbach kündigt höhere Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung an, Kassen empört

  • Freitag, 30. August 2024
Karl Lauterbach/picture alliance, photothek, Thomas Koehler
Karl Lauterbach/picture alliance, photothek, Thomas Koehler

Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat für das kommende Jahr steigende Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung angekündigt. „Beim Beitragssatz werden wir wohl einen Anstieg sehen“, sagte Lauterbach dem Stern in einem heute veröffentlichten Interview. „Das liegt daran, dass in der Vergangenheit wichtige Reformen ausgeblieben sind“, fügte Lauterbach hinzu. Krankenkassen zeigten sich angesichts dieser Ankündigungen empört.

Lauterbach erklärte, mit den steigenden Beitragseinnahmen würde auch die Krankenhausreform finanziert. Erhielten die Krankenhäuser nun keine finanzielle Unterstützung, würden viele davon „das rettende Ufer der Krankenhausreform“ nicht erreichen. Das müsse verhindert werden. „Jetzt ist die Phase, in der wir Geld in die Hand nehmen müssen, auch das der Beitragszahler“, sagte Lauterbach. Beitragsgelder sollen nach Willen des Bundesgesundheitsministeriums in die Finanzierung des Transformationsfonds fließen, der von Bund und Ländern in den kommenden zehn Jahren mit rund 50 Milliarden Euro bestückt werden soll. Der Transformationsfonds startet allerdings erst 2026.

Mit den nun angedachten Strukturreformen sei es möglich, langfristig die Kostenentwicklung dämpften. Lauterbach betonte zugleich, dass Beitragszahler auch profitieren würden, „weil sie dafür eine bessere Versorgung bekommen“.

Zu Forderungen des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Spitzenverband) nach einem kurzfristigen Reformpaket zur Abwendung des drohenden Beitragsan­stiegs äußerte sich Lauterbach ablehnend. „Ich will das System jetzt nicht kaputtsparen“, betonte der SPD-Politiker. „Wir brauchen diese Investitionen.“ Man dürfe jetzt nicht sagen: „Dann lass uns lieber alles beim Alten lassen. Das fällt uns in der Zukunft auf die Füße.“

Bereits zu Beginn des Jahres 2024 sowie zur Jahresmitte mussten mehrere Krankenkassen ihre Zusatzbeitrag deutlich anheben. Bereits Mitte des Jahres sei das Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung bei über zwei Milliarden Euro, berichtet der AOK-Bundesverband. Es wird erwartet, dass zum Jahresbeginn 2025 fast alle Krankenkassen ihren Beitrag anheben müssen, Krankenkassen um etwa 0,6 Beitragspunkte, Pflegekassen um 0,25 Punkte. Auch in der Privaten Krankenversicherung sind ähnliche Preissteigerungen zu erwarten.

Derzeit liegt der allgemeine Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung bei 14,6 Prozent, finanziert jeweils zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Hinzu kommt der von der Kasse abhängige Zusatzbeitrag, den das Bundesgesundheitsministerium für dieses Jahr mit durchschnittlich 1,7 Prozent angesetzt hat. In der Pflegeversicherung liegt der Beitragssatz derzeit bei 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens. Bei Kinderlosen sind es vier Prozent.

Lauterbach ist seit dieser Legislaturperiode Gesundheits­minister und würde das Amt gern weiterführen. „Ich mache die Arbeit gern. Und Ideen für Verbesserungen im Gesundheitssystem hätte ich auch noch für eine weitere Legislatur“, sagte der SPD-Politiker auf die Frage des Stern, ob er auch nach der nächsten Bundestagswahl noch Minister wäre.

„Heute hat der Bundesgesundheitsminister in einem Interview angekündigt, dass er den drastischen Beitragssteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung tatenlos zusehen wird. Statt eines Maßnahmenplans, wie die Versorgung der rund 75 Millionen gesetzlich Versicherten endlich wieder auf eine solide finanzielle Basis gestellt werden kann, kündigt er anscheinend gleichmütig immer weiter steigende Zusatzbeiträge an“, reagierte Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, auf Lauterbachs Ankündigung zu den GKV-Beiträgen.

Aufgrund der ausgabentreibenden Gesetzgebung der letzten zehn Jahre würden die Zusatzbeitragssätze Anfang des kommenden Jahres um mindestens 0,6 Beitragssatzpunkte steigen müssen. Und da seien die vom Minister angekündigten Zusatzkosten für eine Krankenhausreform noch nicht mit eingerechnet, warnte Pfeiffer.

„Immerhin 90 Prozent der Bevölkerung wird über die gesetzliche Krankenversicherung versichert und versorgt. Wer will, dass dies auch in Zukunft verlässlich funktioniert, darf die ökonomischen Notwendigkeiten und die finanziellen Möglichkeiten von Versicherten und deren Arbeitgebern nicht völlig aus dem Blick verlieren.“

Andere Krankenkassenverbände zeigten sich ähnlich empört: Es sei „skandalös“, dass die Politik die Beitragssteigerungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit einem „Achselzucken“ hinnähme, erklären die Vorstände des Interessensverbandes der IKKen, Hans-Jürgen Müller und Hans Peter Wollseifer. Damit komme der Minister weder dem Koalitionsvertrag noch dem gesetzlichen Auftrag des Bundestages nach, eine Finanzreform für die GKV zu erarbeiten.

Nach den Worten der Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, entwickle sich „Karl Lauterbach zum teuersten Bundesgesundheitsminister aller Zeiten.“ Der Minister wolle „das Geld der Beitragszahlenden weiterhin mit vollen Händen ausgeben“, statt auf die Ausgabenbremse zu treten. Als weiteren Kostentreiber hat sie die Aufhebung des Budgetdeckels für Hausärzte, das Aufweichen der AMNOG-Leitplanken sowie die geheimen Erstattungsbeiträge für Arzneimittel im Blick. Wirksame Reformen für die GKV-Finanzen wären eine „auskömmliche Pauschale für Bürgergeld-Beziehende“ sowie die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Arzneimittel auf sieben Prozent.

„Nun ist es amtlich: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach lässt die politischen Hüllen fallen und kündigt den Beitragszahlern ganz unverblümt und medienwirksam bevorstehende Beitragserhöhungen in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung an", erklärt die Vorständin des BKK-Dachverbandes, Anne-Kathrin Klemm.

Zwar müsse das Geld in die Hand genommen werden, „aber das muss refinanziert werden durch den Abbau von Bürokratie, Redundanzen, Überflüssigem und Ineffizientem“, so Klemm weiter. „Am Ende zahlen die Versicherten also einen doppelt hohen Preis: Sie haben künftig weniger Geld in der Tasche und müssen gleichzeitig mit einer Verschlimmbesserung in der Gesundheitsversorgung leben.“ Daher fordere der Dachverband der Betriebskrankenkassen den Bundesgesundheitsminister auf, keine weiteren Belastungen für die Beitragszahler vorzusehen.

Krankenhausgesellschaft widerspricht Lauterbach

Die Analyse des Bundesministers, die geplante Krankenhausreform trüge zu den aktuellen Beitragssteigerungen bei, teilt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) nicht. „Das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz enthält keinerlei beitragssatzrelevante, finanzielle Unterstützungen für die Krankenhäuser im Jahr 2025. Im Gegenteil, der Minister verspricht in seinem Gesetzentwurf sogar Minderausgaben der Gesetzlichen Krankenkassen von 330 Millionen Euro im Jahr 2025 und in den Folgejahren sogar Minderausgaben von jeweils einer Milliarde Euro", erklärte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß.

Nur der Minister selbst wisse, wie die Prognosen seines Gesetzesentwurfs und die Interviewäußerungen zusammenhängen. Dabei müsse es sich „um bisher noch unveröffentlichte Initiativen aus seinem Ministerium handeln“, so Gaß weiter. Der Transformationsfonds für die Krankenhäuser beginne erst 2026, darauf weist der DKG-Vorstandsvorsitzende ebenso hin.

Die Opposition im Deutschen Bundestag kritisiert die Interviewankündigungen ebenfalls heftig: „Normal- und Geringverdiener sollen Lauterbachs stümperhafte Gesundheitsreformen bezahlen. Das verschärft die Gerechtigkeitskrise in unserem Land", erklärt Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Gruppe Die Linke im Bundestag. Aus ihrer Sicht müsse die Ampel-Regierung „endlich die Ausnahmen für Besserverdienende in der GKV“ beseitigen.

bee/dpa/afp

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