Mediziner widersprechen Merz-Aussage zu Geflüchteten

Berlin – Für seine Äußerungen über Geflüchtete ist CDU-Chef Friedrich Merz heute nicht nur parteiübergreifend scharf kritisiert worden. Auch die Ärzteschaft trat der Darstellung des CDU-Politikers entgegen.
Merz hatte der Bundesregierung in einem Gespräch mit der Welt Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik vorgeworfen. Insbesondere kritisierte der CDU-Chef, dass abgelehnte Asylbewerber vollumfänglich Gesundheitsleistungen erhielten. „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine“, hatte er gesagt.
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, widersprach dem. „Patienten müssen auf Termine warten und werden sich in Zukunft noch länger für einen Arzttermin gedulden müssen. Grund dafür sind jedoch nicht abgelehnte Asylbewerber, sondern ein chronisch unterfinanziertes Gesundheitssystem“, sagte Gassen dem Nachrichtenportal ZDFheute.de.
Der Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sei grundsätzlich nicht mit dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar, erklärte Gassen. Dabei gehe es nur um das gesundheitliche Existenzminimum.
„Rechtlich gibt es einen Unterschied in der Behandlung zwischen abgelehnten und angenommenen Asylbewerbern. Doch in der Praxis ist das oft kaum zu realisieren. Kommt ein Patient mit Schmerzen in die Praxis wird er natürlich behandelt – unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus.“ Es könne zudem nicht Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte sein, Leistungen zu verweigern, die über das Minimum hinausgingen.
Der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Christoph Benz, wies die Äußerungen als falsch zurück. Er könne die Aussagen von Merz „ehrlich gesagt nicht nachvollziehen“, sagte er der Wirtschaftswoche. Pauschalaussagen bei komplexen Lagen seien oft problematisch. „Da gibt es keinen Zusammenhang“, sagte Benz.
Beim Zahnarzt kriege man in der Regel problemlos Termine. Nur im ländlichen Bereich sei es so, dass es dort aufgrund der geringeren Zahnarztdichte zu längeren Wartezeiten kommen könne. Die Behandlung von Geflüchteten und Asylbewerbern verursache „im Moment“ auch keine außergewöhnliche Arbeitsbelastung für die Zahnärztinnen und Zahnärzte.
Auch der Sozialverband VdK wies Merz Behauptungen zurück. „Das Problem, einen Arzttermin zu bekommen, liegt nicht an der Anwesenheit der Asylbewerber, sondern an der Ungerechtigkeit des Zwei-Klassen-Systems im Gesundheitswesen“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
„Privat Versicherte erhalten sofort einen Termin beim Facharzt, während gesetzlich Versicherte monatelang warten müssen.“ Dieser „Systemfehler“ sei lange bekannt, werde jedoch von der Politik ignoriert.
Erhebliche Kritik gab es auch aus den Parteien. „Das ist der Populismus, den ich auch letzte Woche im Bundestag schon thematisiert habe“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Brüssel. SPD, Grüne und Linke warfen Merz vor, die Gesellschaft zu spalten.
Die Union stellte sich hingegen hinter ihren Fraktionschef. „Friedrich Merz hat Recht“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU) der Rheinischen Post. Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber in Deutschland seien zum Teil seit Jahren ausreisepflichtig. „Dennoch können sie zum Nulltarif das deutsche Gesundheitssystem nutzen.“
Ende vergangenen Jahres waren laut Ausländerzentralregister 304.308 Ausländer ausreisepflichtig, davon hatten 248.145 eine Duldung. Den Anspruch auf ihre gesundheitliche Versorgung regelt das Asylbewerberleistungsgesetz, das nach Angaben des GKV-Spitzenverbands analog auch für geduldete Migranten gilt.
Danach haben sie während der ersten 18 Monate ihres Aufenthalts nur einen eingeschränkten Anspruch auf gesundheitliche Versorgung, sie sind in dieser Zeit nicht gesetzlich krankenversichert. Sie können aber einen Arzt bei akuter Erkrankung und bei Schmerzen besuchen.
Zahnersatz – wie von Merz indirekt angesprochen – gibt es nur, wenn es im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist, heißt es in Paragraf 4 des Gesetzes. Die Zuständigkeit liege dabei bei den Ländern, erklärt der GKV-Spitzenverband. Innerhalb der ersten 18 Monate geben die jeweiligen Sozialämter für die ärztliche Versorgung in der Regel spezielle Behandlungsscheine für Geflüchtete aus.
Nach den 18 Monaten werden Asylbewerber und geduldete Menschen von einer Krankenkasse betreut – so steht es in Paragraf 264 des Sozialgesetzbuchs. Dann erhalten sie auch eine elektronische Gesundheitskarte. Die Leistungen sind dann ähnlich zu denen der gesetzlich versicherten Menschen. Die Kassen bezahlen allerdings in der Regel keine Brücken oder Kronen komplett, sondern übernehmen 60 Prozent der Kosten für Zahnersatz. Der Rest muss zugezahlt werden oder wird von einer privaten Zusatzversicherung getragen.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) hat die Kosten für die Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern mit einem hohen dreistelligen Millionenbetrag im Jahr angegeben. „Für die ärztliche Versorgung insgesamt von Flüchtlingen beliefen sich die Ausgaben 2022 auf 690 Millionen Euro“, sagte DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Bild. Dies entspreche „knapp über zehn Prozent der Gesamtausgaben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von 6,5 Milliarden Euro“, fügte er hinzu.
Die zentralen Herausforderungen für die Kommunen seien aber vor allem „die hohen Zahlen, die wenig geordneten Verfahren und fehlende Unterkünfte“, betonte Landsberg. „Insbesondere für die Anmietung, Ausstattung und Sicherung von Unterkünften fallen erhebliche Kosten in den Kommunen an“, sagte er.
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