Politik

Ministerium legt Regelungen für umstrittenen Kombinationsabschlag bei Arzneimitteln fest

  • Dienstag, 8. Oktober 2024

Berlin – Fast genau zwei Jahre nach Inkrafttreten des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) via Festsetzungsbescheid die Details der im Gesetz vorgesehenen Kom­bi­nationsabschläge geregelt. Forderungen der Pharmaverbände, dabei auch Informationen von behandelnden Ärzten einzuholen, erteilte das Ministerium darin eine Absage.

Mit den Rabatten sollen die Arzneimittelkosten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verringert werden. Sie sehen einen zwanzigprozentigen Abschlag auf sogenannte freie Kombinationen vor, die beispielsweise in der Onkologie oder HIV-Therapie eine große Rolle spielen.

Im Gegensatz zu fixen Kombinationen mit verschiedenen Wirkstoffen in derselben Arzneimittelpackung stellen Ärzte bei freien Kombinationen Wirkstoffe individuell zusammen. Noch 2022 erteilte das BMG dazu den Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), eine Liste on Wirkstoffen zu erstellen, die für solche Kombinationen geeignet sind.

Zwar waren für die Veranschlagung des Rabattes im Gesetz bereits Ausnahmeregelungen definiert worden. So entfällt er, wenn der Therapie vom G-BA mindestens ein beträchtlicher Zusatznutzen beschieden wird. Das gilt auch, wenn sich die Feststellung des G-BA lediglich auf einzelne Anwendungsgebiete oder Patientengruppen bezieht.

Allerdings mussten wesentliche Details zur Feststellung und Abgrenzung von abschlagspflichtigen Kombina­tionseinsätzen geregelt werden. Mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesse­rungsgesetz (ALBVVG) gab der Gesetzgeber dem GKV-Spitzenverband (GKV-SV) und den Pharmaverbänden auf, dafür eine Verhandlungslösung zu finden.

Doch ihre Ansichten waren in vielen Punkten zu unterschiedlich. Ende Oktober vergangenen Jahres informierte der GKV-SV das BMG, dass die Verhandlungen gescheitert seien. Damit war das Ministerium am Zug, das in diesem Frühjahr einen ersten Festsetzungsentwurf von Kassen und Industrie kommentieren ließ.

Regelungen sollen zeitnah in Kraft treten

Wie aus einem Schreiben des BMG an den GKV-Spitzenverband, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, hervor­geht, liegt dieser finale Festsetzungsbescheid nun vor. Darin trägt der Leiter der Abteilung 1 (Arzneimittel, Me­dizinprodukte, Biotechnologie) des BMG, Thomas Müller, dem GKV-SV auf, die neuen Regelungen bis spätestens Mittwoch, den 9. Oktober, zu veröffentlichen, damit sie am Folgetag in Kraft treten können. „Der GKV-SV wird die Regelungen in dieser Woche veröffentlichen“, bestätigt das BMG auf Anfrage.

Demnach ist der Abschlag auf Arzneimittel begrenzt, die auf ärztliche Verordnung hin abgegeben wurden. Der GKV-SV hatte zuvor gefordert, dass auch Anwendungen von Arzneimitteln in Krankenhäusern oder ambulanten Einrichtungen eingeschlossen werden, während die Industrie nur diejenigen Arzneimittel erfasst wissen wollte, die in öffentlichen Apotheken abgegeben wurden.

Die Versorgung mit Arzneimitteln als Teil der Krankenhausleistung werde jedoch grundsätzlich mittels Fallpau­schalen vergütet. Zusatzentgelte oder Entgelte für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden würden dabei nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt, argumentiert das BMG nun.

„Dementsprechend fällt es schwer, die Arzneimittelanwendung im Krankenhaus generell als Abgabe zu Lasten der Krankenkassen einzustufen“, heißt es in dem Schreiben. Da die Abgabe ärztlich verordneter Arzneimittel durch Krankenhausapotheken im Rahmen der ambulanten Versorgung auf Grundlage entsprechender Verein­barungen stets gesondert vergütet werde, falle diese wiederum dann doch unter die Abschlagsregelung.

Dabei sei unerheblich, ob die Arzneimittel an Versicherte abgegeben würden oder die Abgabe zur unmittel­baren Anwendung bei Versicherten erfolge.

Strittig war auch, nach welchen Kriterien unterschieden werden soll, ob es sich um eine freie Kombination oder einen Therapiewechsel handelt. Denn laut Gesetz sollen nur die Abrechnungsdaten der Krankenkassen als Da­tengrundlage für den Abschlag herangezogen werden.

Nach der nun festgesetzten Regelung gelten Arzneimittel dann als in Kombination eingesetzt, wenn sich aus den Abrechnungsdaten ergibt, dass sie entweder für dieselbe versicherte Person am selben Tag verordnet be­ziehungsweise abgegeben wurden oder aber im Wechsel jeweils mindestens zweimal innerhalb desselben Fünf-Monats-Zeitraums abgegeben wurden.

„Durch die Vorgabe eines relativ engen zeitlichen Zusammenhangs wird sichergestellt, dass sich die Therapie­zeiträume der eingesetzten Arzneimittel überschneiden und sie somit gleichzeitig eingesetzt wurden“, schreibt das BMG.

Zudem liege eine Kombinationstherapie auch bei einer Mehrfachabgabe der potenziellen Kombinations­arznei­mittel im Wechsel innerhalb desselben Fünf-Monats-Zeitraums vor. Dadurch will das BMG nach eigener Dar­stellung Fälle abdecken, in denen Arzneimittel zeitversetzt verordnet und abgegeben, aber trotzdem als Kom­bination eingesetzt werden. Im ursprünglichen Entwurf waren noch drei Monate vorgesehen.

Allerdings hätten die Krankenkassen darauf verwiesen, dass sich die Versorgungsrealität so darstelle, dass die Folgeverordnung der maximal zulässigen Packungsgröße N3 oftmals nicht innerhalb von 90 Tagen erfolge, sondern erst nach bis zu 150 Tagen. Die ursprüngliche dreimonatige Frist erscheine deshalb zu kurz und würde die Gefahr bergen, viele Arzneimittelkombinationen zur Behandlung chronischer Erkrankungen außer Acht zu lassen.

Besonders deutlich hatten die Pharmaverbände eine sogenannte unwiderlegliche Vermutung kritisiert, die sich nun auch im finalen Festsetzungsbescheid findet. Demnach wird automatisch davon ausgegangen, dass ver­ordnete Arzneimittelkombinationen auch tatsächlich zusammen eingenommen beziehungsweise angewendet wurden.

Das sei notwendig, da sich aus den Abrechnungsdaten der Kassen nicht ermitteln lasse, ob das auch in der Rea­lität der Fall war, argumentiert das BMG. Gleiches gelte für Einsatz der Arzneimittel in dem Anwendungsgebiet, das der Benennung der Kombination durch den G-BA zugrunde lag.

„Somit müssen die Krankenkassen nicht in jedem Einzelfall ermitteln, in welchem Anwendungsgebiet die betreffenden Arzneimittel konkret ihren Einsatz gefunden haben“, heißt es in dem Schreiben. Eine Ausnahme soll hier nur gelten, wenn mindestens eines der Arzneimittel im Off-Label Use angewendet wurde, wofür die Krankenkassen schließlich eine Kostenübernahmeerklärung abgeben.

Zudem hatten sich Kassen und Pharmaverbände darüber gestritten, wie die Zuordnung eines Kombinationsein­satzes zu einer vom G-BA genannten Patientengruppe mit mindestens beträchtlichem Zusatznutzen erfolgen könne. Die Pharmaverbände hätten dafür umfassende Nachweise zu Behandlungsverläufen, Vorbehandlungen, Eskalationstherapie, Patientengruppen bis hin zu Biomarker-Status oder gegebenenfalls Tumor-Typ gefordert.

Der GKV-SV habe demgegenüber argumentiert, dass viele dieser Daten ausschließlich den behandelnden Ärz­ten vorlägen, da sie mangels Relevanz für die Abrechnung gar nicht übermittelt würden. Möglichkeiten, diese Daten regelhaft anderweitig zu ermitteln, hätten die Kassen auch in der Verbändebeteiligung nicht aufzeigen können.

Von den behandelnden Ärzten wiederum könnten auch keine zusätzlichen Informationen eingeholt werden, um einen Kombinationsabschlag zu begründen. Dafür gebe es keine datenschutzrechtliche Ermächtigung.

Deshalb, so das BMG, solle nun „auf weitere Ermittlungen“ verzichtet werden und die Abschlagspflicht vollstän­dig ausgeschlossen werden, sobald der G-BA mindestens einem Anwendungsgebiet in mindestens einer Pa­tientengruppe einen mindestens beträchtlichen Zusatznutzen der Kombination festgestellt hat.

Kritik von Pharmaverbänden

Auch wenn das BMG den Forderungen der Pharmaverbänden zum Teil entgegengekommen ist, lehnen diese den Kombinationsabschlag weiter kategorisch ab. Er ist – neben den sogenannten Leitplanken im Preisbil­dungs­ver­fahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) – der Punkt, den sie am GKV-FinStG am deutlichsten kritisieren.

Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) spricht angesichts des Feststellungsbescheids davon, dass „Doppelrabatte mit der Brechstange eingeführt“ würden. „Der neue Zwangsrabatt wird Unruhe in diese sensiblen Versorgungssituationen bringen“, erklärte vfa-Präsident Han Steutel.

Steutel verwies darauf, dass die Arzneimittel, auf die nun in Kombination ein Abschlag gefordert werden soll, bereits zuvor alle Rabattierungsstufen des Gesundheitssystems durchlaufen hätten. Die Anwendung als Kom­bination „geschieht doch nicht aus Lust und Laune, sondern basiert auf ärztlicher Erfahrung und medizinischen Leitlinien“, unterstrich er.

Der GKV-SV hingegen verteidigt den neuen Abschlag. Ausschlaggebend für ihn sei der Zusatznutzen der einge­setzten Arzneimittel. „Nur wenige Kombinationen von Arzneimitteln bieten einen wesentlichen Zusatznutzen, denn meist entspricht der Nutzen der Kombination nicht der Summe der Einzelwirkungen“, erklärte ein Spre­cher auf Anfrage.

Nicht fällig werde der Abschlag hingegen, wenn die Kombination im Vergleich zur Monotherapie wirklich einen substanziellen Vorteil bedeutet und von einem beträchtlichen Zusatznutzen auszugehen ist. „Daher verbessert der Kombinationsabschlag die Wirtschaftlichkeit und beteiligt die pharmazeutischen Unternehmer in ange­messener Weise an der im Vergleich zum Nutzen additiven Kostenwirkung von Kombinationstherapien.“

Das BMG verweist auf Anfrage zudem darauf, dass den betroffenen pharmazeutischen Unternehmern ein be­schleunigtes Antragsverfahren eröffnet werde, um die Erwartbarkeit eines mindestens beträchtlichen Zusatz­nutzens durch den G-BA feststellen zu lassen und so von der Abschlagszahlung befreit zu werden.

Insgesamt sei es zur Gewährleistung der finanziellen Stabilität der GKV „sachlich gerechtfertigt, dass die Soli­dargemeinschaft beim Einsatz von Kombinationstherapien mit geringeren Gesamtkosten belastet wird als der Summe der Erstattungsbeträge bei einer Anwendung in der Monotherapie“, erklärte ein Sprecher.

Da die Maßnahme auf Fälle beschränkt sei, in denen für die Kombination kein oder nur ein geringer bezie­hungsweise nicht quantifizierbarer Zusatznutzen nachgewiesen sei, führe sie nicht zu einer unverhältnis­mäßigen Belastung der pharmazeutischen Industrie.

lau

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