Politik

Neue Modelle zur Finanzierung der Krankenversicherung benötigt

  • Mittwoch, 4. Dezember 2024
/janews094, stock.adobe.com
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Berlin – Angesichts der schwierigen finanziellen Situation der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der sozialen Pflegeversicherung, braucht es künftig neue Überlegungen zur Finanzierung. Darin waren sich gestern Abend Teilnehmer der Diskussionsveranstaltung GKV Live einig. Dazu könnten unter anderem eine bessere Patientensteuerung, andere Versicherungstarife oder eine Selbstbeteiligung gehören.

Die derzeitige Situation der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung seien geradezu prekär, sagte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer. Die steigenden Kosten würden seit Jahren eine große Herausforderung darstellen. „In der GKV erwarten wir für das Gesamtjahr 2024 ein Defizit von vier bis 4,5 Milliarden Euro“, betonte Pfeiffer. Mehr als 30 Krankenkassen hätten ihren Zusatzbeitrag in diesem Jahr bereits angehoben, einige sogar mehrfach. „Wir erwarten zum Jahreswechsel weitere flächendeckende Beitragssatzerhöhungen.“

Weiter würden die Krankenkassen über kaum finanziellen Reserven mehr verfügen und müssten teilweise auch ihre gesetzliche Mindestreserve wieder auffüllen.

Auch die Situation der sozialen Pflegeversicherung sei sehr traurig, so Pfeiffer. Sie hoffe, dass die geplanten Beitragserhöhungen von 0,2 Prozentpunkten, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) per Rechtsverordnung einführen will, auch umgesetzt werden könnten. Diese seien als „Notfallmaßnahme unbedingt erforderlich“. Wenn die Erhöhung nicht komme, fürchte sie eine Debatte in der Zeit der Bundestagswahl im Februar, bei der es um die Frage der Leistungen für Pflegebedürftige geht. „Diese Debatte möchten wir alle nicht haben“, betonte Pfeiffer.

Aufgrund dieser Situation brauche es deshalb einen Kurswechsel in der Gesundheits- und Pflegepolitik, forderte Pfeiffer. Es brauche keine Entökonomisierung, wie es Lauterbach immer wieder im Rahmen der Krankenhausreform erklärt hatte. Stattdessen brauche es mehr Ökonomie. „Wir leben leider nicht in dem Land, wo Milch und Honig fließt“, so Pfeiffer. Eine Refinanzierung von versicherungsfremden Leistungen wäre zudem dringend nötig.

Sie forderte die Politik insbesondere im Hinblick auf die nächste Bundesregierung auf, die Stabilisierung der Finanzen der GKV und die Versorgung ganz oben auf die Prioritätenliste zu setzen.

Kein Einnahmeproblem, Priorisierung nötig

Für eine bessere Priorisierung sprach sich gestern auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge, aus. Man habe im Gesundheitsbereich kein Einnahme-, sondern ein Ausgabeproblem, erklärte er. Deshalb benötige es künftig auch mehr strukturelle Reformen.

Für den SPD-Politiker und Berichterstatter für Krankenhauspolitik, Christos Pantazis, ist eine Einsparung von Kosten im ambulanten System vor allem durch das Primärarztsystem möglich. Damit soll in der Regel eine Hausärztin oder ein Hausarzt der primäre Ansprechpartner bei medizinischen Fragen sein und Patientenströme besser steuern. Diese Idee begrüßten parteiübergreifend auch die anderen Politiker.

Für Pantazis ergebe sich auch deutliches Einsparpotenzial durch die Hybrid-DRG, auch wenn sie aktuell noch nicht gänzlich ausgereift seien. Durch die Ambulantisierung und eine Reduzierung des stationären Anteils an Behandlungen seien weiter Kostensenkungen möglich.

Einsparungen durch Notfallreform möglich

Ein Primärarztsystem sei sinnvoll, sagte auch Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünenfraktion im Bundestag. Allerdings sei das große Geld eher in Reformen der Krankenhausversorgung und Notfallstrukturen zu finden. Vor allem eine Notfallreform sei für eine bessere Patientensteuerung und damit auch eine bessere Wirtschaftlichkeit dringend nötig.

Die Notfallreform, wie sie die Ampelregierung bis zum Bruch der Koalition geplant habe, hätte ohne die Reform der Rettungsdienste eine Milliarde Euro, mit den Rettungsdiensten eher zwei oder drei Milliarden Euro jährlich einsparen können, betonte Dahmen. Er sprach sich zudem für ein neues System für patentgeschützte Arzneimittel aus, denn die Preise liefen deutlich aus dem Ruder, so Dahmen.

Verschiedene Versichertentarife

Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Andrew Ullmann, schlug eine mögliche Selbstbeteiligung bei medizinischen Behandlungen vor. Damit könnte man das häufige „Ärzte-Hopping“ im ambulanten Bereich besser regeln und reduzieren. Diese Beteiligung müsste aber „sozial abgefedert“ sein, so Ullmann. Er sprach sich zudem dafür aus, das Versicherungssystem entsprechend zu ändern. So könnten Versicherte Zusatzversicherungen abschließen, wenn sie mehr Leistungen wollen würden, so Ullmann.

Sorge sprach sich ebenfalls für die Einführung verschiedener Versichertentarife aus, die unterschiedlich teuer sein könnten. Mit dem einen könnte man etwa direkt zum Facharzt gehen und bei dem anderen nehme man eine gewisse Patientensteuerung in Kauf, erklärte Sorge.

Er erklärte zudem, dass man beim geplanten Transformationsfonds, der Krankenhäuser bei der Umstrukturierung im Zuge der Krankenhausreform helfen soll, nachjustieren müsse, so Sorge. Es helfe niemanden, wenn man drei, vier Jahre auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warte und die Reform dann als verfassungswidrig erklärt werde.

Der Transformationsfonds soll mit bis zu 25 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren aus dem Gesundheitsfonds, also über Beiträge von gesetzlich Krankenversicherten, finanziert werden. Diese Finanzierung ist hoch umstritten. Im Zweifel werde man den Transformationsfonds über Steuerfinanzierungsmittel leisten müssen, kündigte Sorge an. Konkreter wurde er hingegen nicht.

Beitragserhöhungen kommen schneller als gedacht

Auch der Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld erklärte, man sei überrascht, wie schnell die Beiträge in der Pflegeversicherung und Krankenversicherung steigen würden. Von der aktuell geplanten Erhöhung der Pflegeversicherung auf 3,6 Prozent sei man für das Jahr 2030 ausgegangen. Das diese Beiträge jetzt im kommenden Jahr bereits erhoben werden sollen, spreche für sich, so Greiner.

Statt immer weiter die Beiträge zu erhöhen, gebe es auch andere Optionen, etwa die Einführung einer Eigenbeteiligung, eine ergänzende obligatorische Pflegeversicherung oder ein erhöhter Steuerzuschuss. Greiner sprach sich aber weiter für die Beitragsfinanzierung aus, diese sei derzeit schlicht „überreizt“. Ergänzend benötige es vor allem eine regelgebundene dynamisierte Steuerfinanzierung, so Greiner. Ähnlich wie Pfeiffer sprach Greiner sich für die Stärkung des Wettbewerbs im Gesundheitsbereich aus. Er hält zudem eine Rückkehr zu Budgets und Selbstbeteiligungen auf Dauer als nicht vermeidbar.

Insgesamt gebe es aber keinen Mangel an Vorschlägen zur Finanzierung der GKV und der Pflegeversicherung, es gebe lediglich noch zu wenig belastbare Szenarienrechnungen, bemängelte Greiner.

cmk

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