Noch viel Umsetzungsarbeit bei Digitalgesetzen notwendig

Berlin – Das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (DigiG) und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) bieten große Potenziale. Um die aber in Forschung und Versorgung nutzen zu können, müsse noch viel Aufbauarbeit geleistet und auch regulatorisch noch einmal nachgeschärft werden. Darüber herrschte diese Woche beim Hauptstadtkongress (HSK) in Berlin weitestgehende Einigkeit.
So werde die elektronische Patientenakte (ePA) vor ihrem kompletten Roll-out zu Jahresbeginn 2024 erst einmal einen Monat lang in den beiden Modellregionen Franken und Hamburg eingeführt, erklärte Susanne Ozegowski, Leiterin der Abteilung Digitalisierung und Innovation im Bundesgesundheitsministerium (BMG): „Sofern in den ersten vier Wochen keine Bugs oder andere Probleme auftauchen, wollen wir danach mit dem bundesweiten Roll-out beginnen.“
Seitens der Versicherten erwarte sie sehr wenig Widerstand – die Datenschutzdebatten hätten jedenfalls in der Gesellschaft nicht mehr den Widerhall wie noch vor einigen Jahren. „Das sind sehr theoretische Diskussionen, die wir hier führen“, sagte sie.
Daniel Cardinal, Leiter des Geschäftsbereichs Innovation und ambulante Versorgung bei der Techniker Krankenkasse (TK), hatte sich zuvor sehr zufrieden mit den bisherigen Widerspruchsquoten gezeigt. Die TK habe bereits damit begonnen, ihre Versicherten anzuschreiben und hätte zuvor mit einer Ablehnungsquote von 15 bis 20 Prozent gerechnet. Tatsächlich gebe es bisher aber nur minimale Ablehnungszahlen. „Die Menschen sind kulturell viel weiter als wir manchmal annehmen“, unterstrich er.
Die ePA werde der Dreh- und Angelpunkt der neuen Dateninfrastruktur im Gesundheitswesen sein. Die größere Vision dahinter sei, die Möglichkeiten des technologischen Fortschritts künftig in der Versorgung besser nutzen zu können – insbesondere Künstliche Intelligenz (KI).
„Es wird ein digitales Ökosystem entstehen, das dafür sorgt, dass die richtigen Dinge zur richtigen Zeit am richtigen Ort behandelt werden“, betonte Cardinal. Das werde essenziell dafür sein, angesichts des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels die Versorgung aufrecht zu erhalten. DigiG und GDNG hätten dafür schon einmal eine Grundlage geschaffen.
Insbesondere KI-basierte Anwendungen könnten dabei neue Mehrwerte schaffen. Schon in wenigen Jahren werde es möglich sein, durch vorgeschaltete Anamnesen und Vordiagnosen schneller Handlungsempfehlungen für Ärztinnen und Ärzte zu generieren, die im Arbeitsalltag für Entlastung sorgen. Auch werde viel mehr personalisierte und individualisierte Medizin möglich sein.
Dabei müsse man aber darauf achten, dass digitale Prozesse auch wirklich zu einer Effizienzsteigerung führen, mahnte Rudolf Dueck, Chief Information Officer (CIO) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH). Wenn lediglich analoge Prozesse parallel digital erneut abgebildet werden, sei das nicht der Fall.
Zudem müsse stärker als bisher mit strukturierten und gut kuratierten Daten gearbeitet werden, sonst laufe man Gefahr, dass die ePAs zu Datenhalden werden. Hier seien Medizinische Informationsobjekte (MIO) die Lösung, mit deren Entwicklung es allerdings zu langsam vorangehe.
Besonders in hoch spezialisierten Bereichen wie der Onkologie würden KI-basierte Unterstützungsprogramme in Zukunft oft unverzichtbar werden, erklärte Julia Wagle, medizinische Direktorin von Roche Deutschland. Spitzenmedizin sei heute nur noch durch die Digitalisierung denkbar. Angesichts der Wissensexplosion in der Onkologie in den vergangenen Jahren würden Ärzte Entscheidungshilfen brauchen, um den Überblick zu behalten.
Für die Forschung sei es ebenfalls sehr wichtig, dass die vorhandenen Daten gut kuratiert werden, betonte Ralf Heyder, Leiter der Koordinierungsstelle des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM). Dazu brauche es spezialisierte Plattformen, auf denen Daten zusammengeführt und verarbeitet werden können.
Das im Aufbau befindliche Forschungsdatenzentrum (FDZ) beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) werde durch den Datenfluss aus der ePA einen großen Bestand an allgemeinen Versorgungsdaten haben, andere Datenbanken hingegen würden oft sehr spezifische Daten aus kleinen Populationen beinhalten.
„Was uns im Moment noch fehlt, ist die Linkage von FDZ-Daten mit Daten aus anderen Quellen“, erklärte Heyder. Dafür müsse eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden. „Das geht in vielen Fällen nicht mehr im Wettbewerb der Unikliniken untereinander“, mahnte er. Es brauche künftig angesichts des Bedarfs an gut gepflegten Daten mehr Zusammenarbeit zwischen den Unikliniken als bisher.
Auch mit den Daten der Initiative Deutscher Forschungspraxennetzwerke (DESAM-ForNet) sei noch keine Verschränkung mit der Routinedatenerhebung der ePA vorgesehen, erklärte die Leiterin der Koordinierungsstelle der Initiative, Leonor Heinz.
Weitere Neuerungen, die DigiG und GDNG gebracht haben, würden noch auf ihren Effekt in der Versorgung warten lassen, unterstrich zudem Anne-Sophie Geier, Geschäftsführerin des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV).
So sei zwar die Mengenbegrenzung für telemedizinische Behandlungen aufgehoben worden, allerdings mache sich das in der Versorgung noch nicht bemerkbar. Doch die Abrechnungsmodalitäten seien nach wie vor zu komplex, was viele Ärzte abschrecke. Die Abrechnung von Telemedizin müsse deshalb anderen Leistungen gleichgestellt werden.
Zudem müssten Wege gefunden werden, reine Telemedizinanbieter an die Telematikinfrastruktur (TI) anzubinden, um Datenübertragung in die ePA oder aber die Ausstellung von E-Rezepten zu ermöglichen.
Auch Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sollen eine Aufwertung erfahren, indem ihre Anwendungsgebiete künftig auf die Risikoklasse IIb von Medizinprodukten erweitert werden – zumindest theoretisch. Denn praktisch sei das für die allermeisten Anbieter kaum umzusetzen.
Denn für die Listung müssten die Hersteller anspruchsvolle Studien vorlegen, bei denen nur medizinische Endpunkte erlaubt seien und nicht wie in den unteren Risikoklassen der Nachweis eines Versorgungsmehrwerts.
„Die Investitionen sind so hoch in dem Bereich, dass man erst einmal schauen muss, wer das leisten kann“, erklärte Geier. Sie kenne keinen deutschen Hersteller, der momentan plane, eine DiGA dieser Risikoklasse in den Markt zu bringen.
Sie vermute aber, dass das bei französischen Unternehmen in Zukunft der Fall sein könnte. Die französische Regierung habe nämlich in ihrer Gesetzgebung explizit Anwendungsgebiete wie Telemonitoring festgeschrieben.
Französische Unternehmen würden voraussichtlich schon bald solche Anwendungen entwickeln, mit denen sie dann auch auf den deutschen Markt zielen könnten, erklärte Geier: „Und das ist auch sehr sinnvoll, insbesondere für Patienten mit chronischen Erkrankungen.“
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: