Politik

Patient Notfallmedizin: Rettungsdienst soll reformiert werden

  • Montag, 4. September 2023
/picture alliance, Geisler-Fotopress, Thomas Bartilla
/picture alliance, Geisler-Fotopress, Thomas Bartilla

Berlin – Herzinfarkt, schwerer Autounfall, allergischer Schock: Erst seit 50 Jahren gibt es in Deutschland die einheitliche lebensrettende Notrufnummer 112. Bis in die 1970er-Jahre gab es Notrufnummern nur in Groß­städten. Wer in Kleinstädten oder auf dem Land in Not geriet, musste im Telefonbuch nach einer Polizeistelle oder dem nächsten Krankenhaus suchen.

Die schnelle Versorgung im Notfall ist mittlerweile ein zentraler Bestandteil des Gesundheitssystems – und wichtig für das Vertrauen der Bürger in sie. Doch glaubt man Experten, steckt sie derzeit in einer Krise.

Betroffen sind die Rettungsdienste über die Notrufnummer 112, die Notaufnahmen der Krankenhäuser und der Notdienst der niedergelassenen Ärzte unter der Nummer 116117. Die Gesamtzahl der behandelten Notfallpa­tienten ist von 24,9 Millionen im Jahr 2009 auf 27,8 Millionen Menschen im Jahr 2019 gestiegen.

Am kommenden Donnerstag will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Empfehlungen für eine Reform vorstellen. Bereits im Februar hatte eine Regierungskommission eine Analyse vorgelegt.

„Die Rettungsdienste in Deutschland sind ein totaler Flickenteppich, mit einem Wildwuchs von über 230 Leit­stellen – und alle arbeiten anders“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Janosch Dahmen der aktuellen Ausgabe des Spiegel. Der 41-Jährige arbeitete selber fast ein Jahrzehnt lang als Notfallmediziner. Bevor er 2020 in den Bundestag einzog, wirkte er in der Ärztlichen Leitung des Berliner Rettungsdienstes.

Es gebe eine „völlig zersplitterte Zuständigkeit durch föderale Strukturen“, kritisiert auch der Gesundheits­wis­senschaftler Thomas Krafft von der Universität Maastricht. Er ist Mitautor einer im November erschienenen Studie zur Notfallversorgung, die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Allein bei den Rettungsdiensten gebe es in den 16 Bundesländern rund 300 verschiedene Träger. Zudem bemängelte er, dass die Bundesländer bei der Lösung der Probleme kaum zusammenarbeiteten.

Vor einem Kollaps des Rettungsdienstes warnte im vergangenen Dezember auch das Bündnis Pro-Rettungs­dienst, dem unter anderem die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft, die Mitarbeiterseite der Caritas und der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst angehören. Von einem „dramatischen Personalmangel“ ist die Rede, von einer „nie dagewesenen Berufsflucht“.

Höchstens 15 Prozent der derzeitigen Notarzteinsätze seien echte Notfälle, so der Zusammenschluss. Patienten, die wegen Bagatellen anriefen, überlasteten das System.

Auch Lauterbachs Kommissionsleiter Tom Bschor kritisiert, derzeit würden „zu viele Leute in die Klinik einge­liefert“. Auch die Ausrüstung vieler Rettungswagen sei veraltet. „Alle Firmen haben inzwischen Videotelefonie – warum nicht auch Rettungssanitäter?“

Gefragt ist in erster Linie eine kluge Steuerung der Patienten: Nicht nur die Rettungsdienste, sondern auch die Notaufnahmen der Krankenhäuser klagen, dass Versicherte zunehmend häufig eine Notaufnahme aufsuchen, ohne dass direkter Handlungsbedarf besteht.

Eine wesentliche Verbesserung der Notfallversorgung sehen die Regierungskommission und das Maastrichter Gutachten in der Schaffung von integrierten Leitstellen. Hilfesuchende, die sich im Notfall an den Rettungs­dienst unter der Notrufnummer 112 oder an den kassenärztlichen Notdienst unter der 116117 wenden, sollen durch sie eine erste telefonische oder telemedizinische Einschätzung bekommen.

Das Personal könnte dann etwa einen Rettungswagen rufen oder aber auch einen Termin in einer regulären Arztpraxis, einer Notdienstpraxis oder einer Notaufnahme für den Patienten buchen. Ziel ist es, Notfälle, die einen unmittelbaren Handlungsbedarf haben, zu identifizieren und zugleich die Notfallstrukturen von den weniger dringlichen Fällen zu entlasten.

Für Patienten, die direkt das Krankenhaus aufsuchen, sollen an rund 420 Kliniken integrierte Notfallzentren (INZ) eingerichtet werden, so der Vorschlag. Sie sollen aus einer Notaufnahme eines Krankenhauses sowie einer Notfallpraxis niedergelassener Ärztinnen und Ärzte bestehen und die Patienten in die richtigen Behandlungsstrukturen weiterleiten.

kna

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