Personalausstattung Psychiatrie: G-BA setzt Sanktionen für Kliniken bis 2026 aus

Berlin – Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat gestern beschlossen, die vielfach kritisierten Sanktionen, die mit der Richtlinie zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL) einhergehen, um zwei Jahre nach hinten zu schieben.
Frühestens ab dem Jahr 2026 – und nicht bereits ab 2024 – entfällt demnach für die Kliniken der Anteil der Vergütung, der rechnerisch dem Anteil des fehlenden Personals entspricht. „Die Kliniken erhalten somit mehr Zeit, um sich auf die Anforderungen einzustellen“, heißt es in einer Pressemitteilung des G-BA.
Der G-BA trage mit seinem Beschluss auch den Befürchtungen Rechnung, dass die Einrichtungen aufgrund der Mindestpersonalvorgaben ihre Versorgungsangebote reduzieren und ihre Versorgungskonzepte nicht ausbauen.
Das Gremium werde die längere Umsetzungsfrist dafür nutzen, die PPP-Richtlinie „an zentralen Punkten weiterzuentwickeln“. Dies schließe auch die Folgen ein, die zukünftig bei einem Unterschreiten der Personalanforderungen greifen sollen.
Hintergrund: Der G-BA legt im Auftrag des Gesetzgebers bereits seit 2020 in der PPP-RL qualitätssichernde Maßnahmen für die stationäre psychiatrische, kinder- und jugendpsychiatrische und psychosomatische Versorgung fest. Ziel ist es nach Angaben des Gremiums, mit personellen Mindestvorgaben eine möglichst gute Patientenversorgung abzusichern.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) begrüßt den Beschluss des G-BA. Die Fachgesellschaft hatte sich vorab deutlich gegen die Strafzahlungen positioniert.
Der Präsident der DGPPN, Andreas Meyer-Lindenberg, sagte: „Wir begrüßen, dass der G-BA sich entschieden hat, die Sanktionen für weitere zwei Jahre auszusetzen. So können die Kliniken weiterhin die gemeindenahe Behandlung von Patientinnen und Patienten sicherstellen und an einer nachhaltigen Weiterentwicklung des Versorgungssystems arbeiten.“
„Dieser Erfolg verdeutlicht, dass der Schulterschluss der Verbände und Interessenvertretungen wichtig und wirksam ist. Unser gemeinsames Ziel ist die optimale Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Die Sanktionszahlungen der PPP-RL hätten diese gefährdet“, ergänzte die Koordinatorin der Plattform Entgelt, Sylvia Claus.
„Schwer kranke Patienten in psychiatrischen Kliniken sollen die bestmögliche Behandlung erhalten. Wir sehen, dass derzeit – gemessen an unseren Mindestpersonalvorgaben – vor allem Pflegekräfte und Spezialtherapeutinnen und -therapeuten fehlen“, erklärte Karin Maag, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzende des Unterausschusses Qualitätssicherung.
Angesichts der „teilweise bestehenden Generalkritik an der Richtlinie“ wies Maag darauf hin, dass die Frage, ob die Mindestanforderungen erfüllt seien, stationsübergreifend im Quartalsdurchschnitt beurteilt werde. Damit könnten Belegungsspitzen und Personalausfälle rechnerisch innerhalb des Quartals ausgeglichen werden.
Zudem bestehe eine hohe Flexibilität für Krankenhäuser bei der Geltendmachung von Ausnahmetatbeständen und der Anrechnung des vorhandenen Personals auf die mit Mindestvorgaben belegten Berufsgruppen.
Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), mahnte heute an, die gewonnene Zeit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. Der dringend nötige Personalaufbau für eine leitliniengerechte Versorgung müsse jetzt erfolgen, sagte sie. Benecke monierte, dass die Umsetzung der leitliniengerechten psychotherapeutischen Versorgung im Krankenhaus seit Jahren verschoben werde.
Statt eines kompletten Aussetzens der Sanktionen habe man sich deshalb für eine Absenkung der Höhe der Sanktionen ausgesprochen, damit der befürchtete „Kahlschlag“ in der Versorgung abgewendet werden könne. Zugleich sollte der Anreiz für die Kliniken erhalten bleiben, das erforderliche Personal anzustellen und mehr vollstationäre Betten in stationsäquivalente, personaleffizientere tagesklinische und ambulante Behandlungsangebote umzuwandeln.
Gerade die Erfahrungen mit der Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) haben gezeigt, dass ohne einen gewissen Anpassungsdruck die erforderlichen Veränderungen häufig nicht erreicht werden könne. „Wir hoffen, dass mit dieser G-BA-Entscheidung nicht eine weitere Abwärtsspirale beim therapeutischen Personal in den Krankenhäusern angestoßen wird”, sagte Benecke.
Nach Angaben des G-BA haben 95 Prozent der psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen seit 2023 bereits einen deutlich geringeren Dokumentationsaufwand als bei Start der PPP-RL 2020. Lediglich fünf Prozent müssten im Sinne einer repräsentativen Stichprobe zur Personalausstattung weiterhin monats- und stationsbezogene Nachweise übermitteln.
Nun wurden laut dem Gremium Konkretisierungen für die Stichprobenziehung durch das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) vorgenommen. Der G-BA teilte mit, eine weitere Verringerung des Dokumentationsaufwands beschlossen zu haben.
Ab 2024 haben die Einrichtungen demnach beim Nachweis, mit welchem Personal sie ausgestattet sind, eine Wahloption: Sie können bei der Ermittlung der Mindestvorgaben entweder das bisherige Verfahren anwenden oder sich für die stärkere Nutzung der bereits zu Abrechnungszwecken erfassten OPS-Kodes entscheiden. Der G-BA werde voraussichtlich bis Ende Januar 2024 ein entsprechendes Servicedokument für die elektronische Datenübermittlung beschließen.
Der Beschluss zur Aussetzung der Sanktionen wird dem Bundesgesundheitsministerium zur rechtlichen Prüfung vorgelegt und tritt nach Nichtbeanstandung und Veröffentlichung im Bundesanzeiger zum 1. Januar 2024 in Kraft.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: