Pharmaindustrie beklagt strukturelle Defizite bei der Translationsförderung

Berlin – Die Innovationskraft der deutschen Pharmaindustrie leide unter strukturellen Defiziten bei der Anschubfinanzierung in der Translation von Forschung und Entwicklung zu neuen Produkten. Das erklärten Vertreter der Branche heute beim Tag der innovativen Gesundheitswirtschaft des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) in Berlin.
Deutschland brauche mehr Innovationshubs, um die Forschung besser zu fördern, mahnte Eicke Latz, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ). Es gebe zwar hierzulande „gute Anfütterungsmechanismen“ für die Grundlagenforschung, aber keine für den Aufbau von Unternehmen.
„Wir sind ein bisschen ein Dritte-Welt-Land in diesem Bereich“, sagte Latz. Die Translation von Forschung in Geschäftsmodelle funktioniere in anderen europäischen Ländern, vor allem aber in den USA bedeutend besser.
Es gebe einen Mangel an Venture-Capital-Investoren und eine zu große Risikoaversität bei deutschen Geldgebern. Zudem seien die Rahmenbedingungen für die Vergabe von Risikokapital hierzulande nicht attraktiv genug. Es müssten bessere Abschreibungsmöglichkeiten geschaffen und Steuerstrukturen überarbeitet werden. „Wir müssten eigentlich schauen, wie die Schweiz es macht, und es dann noch besser machen“, erklärte er.
Folge sei, dass Ausgründungen mit innovativen Produkten, insbesondere im Biotech-Sektor, Grundlagenforschung aus Deutschland zu Geschäftsmodellen in den USA machen würden. Er selbst beispielsweise habe bereits neun Unternehmen gegründet, die allesamt im US-Bundesstaat Delaware angemeldet seien und ihre Zentralen an der Ost- oder Westküste hätten.
Zustimmung erhielt er von Fridtjof Traulsen, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung von Boehringer Ingelheim Deutschland. Es gelinge hierzulande beispielsweise nur schlecht, Fonds zur Förderung von Unternehmen im Biotech-Sektor zu gründen. Zudem dauere der Marktzugang zu lange: Es verginge schlicht zu viel Zeit, bis Unternehmen mit ihren Innovationen tatsächlich Geld verdienen können.
Ein Problem sei dabei zudem, dass es durch den deutschen Föderalismus eine zu kleinteilige Struktur von Förderfonds gebe, erklärte auch Mario Brandenburg, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). In zentralistischen Ländern wie Frankreich gebe es da eine stärkere Konzentration und dadurch direkteren Zugang zu ausreichenden Fördermitteln.
Immerhin seien Unternehmensgründungen im Biotech-Sektor von überdurchschnittlichem Erfolg gekennzeichnet. Mit 73 Prozent sei die Überlebensrate von Ausgründungen insbesondere im Vergleich zum Digital-Sektor sehr hoch.
Zehn Prozent aller Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung in Deutschland kämen aus der Pharmaindustrie bei einem Gesamtvolumen von 121,4 Milliarden Euro. Außerdem gebe es einen positiven Trend bei Unternehmensansiedlungen wie der von Eli Lilly im rheinland-pfälzischen Alzey. „Das kann ein Aufbruch sein, aber es braucht mehr davon“, sagte Brandenburg.
Die Pharmaindustrie komme ihrer Verantwortung für den Standort und für das Gesundheitswesen nach, hatte zuvor vfa-Präsident Han Steutel mit Blick auf die jüngsten Investitionen von Unternehmen wie Eli Lilly, Roche oder Merck betont. „Sogar Minister Lauterbach kennt die Reihenfolge der Unternehmen auswendig“, sagte er.
Dennoch brauche es angesichts wachsender geopolitischer Rivalitäten mehr Förderung in Deutschland und Europa. „Wir erleben eine zunehmend rivalisierende Industriepolitik“, betonte Steutel. Es handele sich nicht mehr um einen „sportlichen Wettbewerb“, sondern um einen Wettlauf um industrielle Ressourcen, Absatzmärkte und Fachkräfte.
Allein China pumpe 1,6 Billionen US-Dollar in die Industrieförderung, in den USA seien es 900 und in Südkorea 700 Milliarden US-Dollar. Im Pharmabereich melde China bereits so viele Patente an wie die USA und doppelt so viele wie Europa.
Dass Handlungs- und Investitionsbedarf besteht, sei dabei eine Wahrnehmung, die in Politik und Wirtschaft gleichermaßen geteilt werde, erklärte daraufhin Janina Mütze, Geschäftsführerin des Marktforschungsinstituts Civey.
Einer von ihr im Auftrag des vfa durchgeführten Umfrage unter Entscheiderinnen und Entscheidern in Politik und Privatwirtschaft zufolge sehen diese die mit Abstand größte Bedeutung in der Rückholung von Produktionsstätten nach Europa, gefolgt vom Aufbau moderner Produktionsnetzwerke und der Minimierung von Zuliefererrisiken. Dass die jeweiligen Werte von Politik und Privatwirtschaft stets nahe beieinander liegen, zeige erneut, dass es kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem gebe, erklärte Mütze.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: