Reform von Notfall- und Rettungsdienst: Große Einigkeit unter Fachleuten

Berlin – Mit großer Einigkeit begrüßten Expertinnen und Experten grundsätzlich das geplante Notfallgesetz sowie die dazugehörige Reform des Rettungsdienstes. In der heutigen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages wurde von allen Beteiligten betont, wie wichtig eine entsprechende Reform beider Bereiche in der Notfallversorgung sowie eine effektive Patientensteuerung seien. Mit Blick auf einige Bereiche gab es allerdings auch deutliche Kritik.
Beim geplanten aufsuchenden Bereitschaftsdienst, den die Kassenärztlichen Vereinigungen Rund-um-die-Uhr organisieren sollen, stellte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen klar: „Das Personal dafür haben wir nicht.“
Auf mehrfache Nachfrage von Abgeordneten aus den Koalitionsfraktionen, der CDU sowie der AfD machte er deutlich, dass der Bevölkerung nicht das Signal erhalten dürfe, dass es künftig zusätzliche Stellen für die Versorgung gebe, „wenn es in den Praxen mal zu lange dauere.“
Vielmehr müsse geklärt werden, welche Behandlungsnotwendigkeiten in welcher Ebene zu welchem Zeitpunkt erforderlich seien, und das bundesweit verbindlich und qualitätsgesichert.
Auch Markus Beier, Co-Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, betonte, dass bei der Diskussion um Doppelstrukturen in der Versorgung beachtet werden müsse, dass mit diesem Vorhaben gar eine „Vielfachbelastung" geschaffen werde, da die Ärztinnen und Ärzte neben den KV-Bereitschaftsdiensten, ihren Praxen nun auch diesen zusätzlichen Dienst stemmen müssten. Es sei „kein generelles 24/7-Angebot möglich“, so Beier.
Bei den geplanten Integrierten Notfallzentren (INZ), die bundesweit an ausgewählten Klinikstandorten entstehen sollen, sollte auch eine psychiatrische Versorgung integriert werden, zumindest unter Einbeziehung von Telekonsil oder zugeschalteten Fachärzten.
Wenn Menschen mit psychischen Erkrankungen oder akuter psychischer Symptomatik eine Notfallambulanz aufsuchten, blieben sie zu häufig unversorgt oder würden fehlversorgt, betonte die Bundespsychotherapeutenkammer. Da mehrere Fragen von Abgeordneten zu dem Thema gestellt wurden, könnte es bei den geplanten INZ entsprechende Erweiterungen für das Versorgungsangebot geben.
Die Expertinnen der Krankenkassen wiesen auf Nachfrage der Abgeordneten auf die möglichen Kosteneinsparungen hin, wenn die Reform entsprechend umgesetzt werde.
Christian Karagiannidis von der Universität Witten/Herdecke sieht einen „großen Hebel von zwei Milliarden Euro“, die durch die Notfallreform eingespart werden können. „Wir müssen mit der Reform erreichen, dass viele Menschen fallabschließend noch vor dem Krankenhaus versorgt werden", sagte er vor dem Ausschuss. Es müsse die effektive Patientensteuerung geben, damit möglichst wenig Patienten letztendlich im Krankenhaus ankommen.
Auch forderte Karagiannidis, der Mitglied der Regierungskommission Krankenhaus ist, dass die Notfallversorgung im KV-System angepasst werden müsse. Statt eines – von den KVen kritisierten – 24/7-aufsuchenden Bereitschaftsdienst, könnte auch ein Dienst ausreichend sein, „der in den kommenden zwei bis sechs Stunden die Patienten zu Hause besucht“. Dies müsse gesetzlich klar gestellt werden, so Karagiannidis.
Für die INZ fordert er bundesweit einheitliche und strukturierte Vorgaben bei der Qualität sowie bei der Datenübermittlung. Für eine gute Patientensteuerung „ist eine bundesweit einheitliche Bevölkerungskommunikation über die Öffnungszeiten wichtig“, betonte er. Auch forderte er eine auskömmliche Finanzierung der Notaufnahmen sowie der Notfallversorgung, die die Kassenärztlichen Vereinigungen übernehmen.
Debatte über INZ-Standorte
Diskutiert wurde unter den Experten auch die Frage, an welchen Standorten die INZ künftig aufgebaut werden sollen. Einige plädierten dabei für Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), andere sehen die Landesausschüsse in der Notwendigkeit der Planung.
Beim Thema Rettungsdienst wurde durch die Befragung der Experten deutlich, dass die Organisationen des Rettungsdienstes sowie die Berufsverbände der Notfallmediziner eine Reform deutlich begrüßen. Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, fragte in seiner Redezeit alle Organisationen und Verbände ab. Alle stimmten jeweils zu, dass es diese Reform für den Rettungsdienste benötige.
Im Vorfeld war deutliche Kritik aus den Kommunen sowie den Bundesländern zu vernehmen, die in die Reformüberlegungen einbezogen werden wollen. Sie sehen keine Zuständigkeit des Bundes, da der Rettungsdienst bislang regional organisiert wird. Auch die Verbände der Luftrettung stimmten auf Fragen von Regierungs- und Oppositionsparteien zu, dass es die Reform benötige. Verbände wie der Deutsche Landkreistag wurde allerdings in der Anhörung nicht befragt.
Die Zuständigkeit des Bundes für die Reform unterstrichen auch zwei weitere Experten, die von den Ampelfraktionen sowie der Union eingeladen wurden: So betonte Andreas Pitz von der Hochschule Mannheim, dass die Gesetzkompetenz der Bundesregierung gegeben sei, um die Bevölkerung vor Schaden zu schützen. Das Landesrecht zum Rettungsdienst sei zu heterogen, daher sei es angebracht, die medizinische Notfallversorgung im Sozialrecht zu regeln.
Ähnliches machte auch die Björn-Steiger-Stiftung deutlich, die sich seit Jahren für eine verbesserte Notfallgesetzgebung und -versorgung einsetzt: Christof Chwojka, Geschäftsführer der Stiftung, kündigte an, eine Verfassungsbeschwerde gegen das Landesrettungsdienstgesetz in Baden-Württemberg sowie gegen den Bund einzulegen, komme ein entsprechendes Gesetz auf Bundesebene nicht zustande.
Teil der Reform ist auch ein Qualitätsausschuss Rettungsdienst, der beim Bundesgesundheitsministerium angesiedelt werden soll. Hier plädieren die Experten für eine Erweiterung des Gremiums um mehrere Berufsgruppen. Bislang sind vier Vertreter des GKV-Spitzenverbandes sowie vier Vertreter der Bundesländer vorgesehen.
Hier könnte man sich auch Patientenvertreter, Notfallsanitäter sowie andere Berufsgruppen einbeziehen, hieß es in der Anhörung. Für den GKV-Spitzenverband ist der Ausschuss zwar eine gute Idee, „aber die Liste der Zuständigkeiten ist doch etwas üppig geraten", bemängelte Wulf-Dietrich Leber vom GKV-Spitzenverband. Andere Experten betonten, dass das Verhältnis zwischen dem Qualitätsausschuss und dem G-BA deutlich geklärt werden müsse.
Selbst aus Teilen der Opposition waren nur verhaltene Kritik an den Gesetzesentwürfen in den Fragen der Abgeordneten erkennbar: So wollen die CDU-Abgeordneten mit ihren Fragen vor allem die Position von Notfallsanitätern durch eine erweiterte Ausbildung mit Zusatzqualifikationen darstellen.
Die Verbände der Luftrettung betonten auf Nachfrage der Union, dass es technisch möglich sei, abends und auch bei schlechtem Wetter zu fliegen – nur sähen viele landesrechtlichen Vorgaben sowie entsprechende Verträge dies derzeit nicht vor.
Auch das Problem der Verlegungstransporte von Patienten aus einer höheren Versorgungsstufe in eine niedrigere Stufe, sogenannte „Abwärtstransporte", wurde von Seiten der Union adressiert: Hier plädierte Jan-Thorsten Gräsner vom Institut für Rettungs- und Notfallmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein dafür, dass Krankenkassen diese Transporte künftig zahlen sollten, um entsprechende Kapazitäten in Kliniken der höheren Versorgungsstufen nach erfolgreicher Versorgung zu schonen.
Kritik an dem Vorhaben konnte man aus den Fragen der Abgeordneten der Gruppe Die Linke sowie aus der Gruppe des BSW vernehmen: So sieht Matthias Schrappe, der als Einzelsachverständiger vom BSW geladen wurde, es generell kritisch, dass es eine Steuerung von Patienten geben soll. „Patienten lassen sich aus meiner 20-jährigen Erfahrung nicht steuern“, so Schrappe.
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