Spahn sieht Gesundheitswesen mit Digitalisierung in Zeitenwende
Berlin – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht das Gesundheitswesen vor einer tiefgreifenden Veränderung. „Diese Legislatur markiert eine Zeitenwende in der Digitalisierung des Gesundheitswesens", sagte Spahn gestern im Interview des Handelsblattes.
Der CDU-Politiker verteidigte sich gegen Kritik, Digitalisierungsvorhaben wie die elektronische Patientenakte, das elektronische Rezept und die App auf Rezept seien noch nicht im Alltag der Patienten angekommen. „Entscheidend ist doch, dass es vorangeht“, sagte er.
Spahn verwies als Beispiel auf Videosprechstunden. „Als ich Minister wurde, war die Videosprechstunde verboten. Wir haben sie nicht nur erlaubt, sondern dafür einen sicheren Rechtsrahmen definiert und eine Vergütung festgelegt“, sagte er. 2019 seien in Deutschland 3.000 Videosprechstunden abgerechnet worden. Im ersten Halbjahr 2020 seien es bereits 1,4 Millionen gewesen.
Mit Blick auf die elektronische Patientenakte, die die Praxen laut Gesetz schon seit Juli vorhalten müssen, wandte sich Spahn gegen Vorwürfe aus der Ärzteschaft, er habe zu knappe Fristen gesetzt. Fast 90 Prozent der niedergelassenen Ärzte seien inzwischen an die Telematikinfrastruktur angebunden, sagte er.
„Und sie werden bald alle elektronische Patientenakten befüllen können.“ Es gebe Ärztinnen und Ärzte, „die unglaubliche Lust auf die Digitalisierung haben – und jene, denen das alles zu anstrengend, zu schnell und zu teuer ist“.
Spahn räumte ein, dass der für 1. Januar geplante flächendeckende Start des elektronischen Rezepts nur „schrittweise“ erfolgen werde. Er sei aber überzeugt, dass sich das auf Dauer durchsetzen werde. „Wie der digitale Boarding Pass beim Fliegen“, sagte Spahn.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, kritisierte auf dem 125. Deutschen Ärztetag in Berlin, digitale Anwendungen sollten „um jeden Preis fristgerecht eingeführt werden – ob sie störungsfrei im Praxisalltag funktionieren oder nicht“. Bedenken oder sogar Warnungen derjenigen, die wirklich beurteilen können, ob Anwendungen praxistauglich sind, würden ignoriert oder abgekanzelt.
Reinhardt forderte von der Politik ein Moratorium: Sie solle das Tempo aus der überhasteten Digitalisierung des Gesundheitswesens herausnehmen. „Stattdessen sollten wir uns in den kommenden zwölf Monaten darauf konzentrieren, die geplanten Anwendungen ausgiebig auf ihre Praxistauglichkeit und ihren tatsächlichen Nutzen für die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu testen.“
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