Viel Kritik an geplanter Notfallreform

Berlin – Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zweifelt an der Umsetzbarkeit der vorgelegten Pläne zu einer Reform der Notfallversorgung. Anlässlich der heutigen Verbändeanhörung zum Notfall-Gesetz warnte auch der Marburger Bund (MB), der Gesetzentwurf enthalte richtige Ansätze, lasse aber noch kein durchgängiges und praktikables Gesamtkonzept zur Patientensteuerung erkennen.
„Über eine grundlegende Notfallreform muss diskutiert werden. Mit den Vorschlägen aus dem BMG wird sie aber nicht funktionieren. Hier bedarf es erheblicher Anpassungen“, betonte der KBV-Vorstand, bestehend aus Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner.
Zwar sei die Intention des Gesetzgebers richtig, die Notfall- und Akutversorgung insbesondere im Bereich der Patientensteuerung sowie der Finanzierung zu verbessern. Aus Sicht der KBV können die geplanten Regelungen kaum dazu beitragen, eine Entlastung der Notaufnahmen zu erreichen.
Im Gegenteil stehe der Entwurf „für ein Übermaß an zusätzlicher Bürokratie, eine unzureichende und zu vage gehaltene Refinanzierung sowie unrealistische Fristen“. Viele der vorgesehenen neuen Aufgaben seien schlicht „nicht umsetzbar“, so der KBV-Vorstand. Dazu gehöre beispielsweise die Einrichtung eines flächendeckenden Fahrdienstes rund um die Uhr parallel zur Regelversorgung – dies sei angesichts begrenzter personeller Ressourcen nicht stemmbar.
Marburger Bund für mehr Digitalisierung und Steuerung
Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, kritisierte, die benötigte umfassende, medienbruchfreie Digitalisierung, die eine Grundvoraussetzung für eine effektive sektorenverbindende Notfallversorgung sei, bleibe vollkommen unklar. Dies gelte sowohl für die Ausgestaltung als auch hinsichtlich der Zuständigkeiten und der notwendigen Finanzierung.
Weiterhin stellt der MB in seiner Stellungnahme fest, dass vielfach rechtliche und steuerungsrelevante Aspekte in der Begründung ausgeführt würden, sich aber aus den geplanten Regelungen selbst nicht ergäben und auch nicht ableiten ließen. Dies betreffe insbesondere die Steuerung innerhalb der Integrierten Notfallzentren (INZ).
Die Probleme der Notfallversorgung könnten zudem nur gelöst werden, wenn der Rettungsdienst als Teil der Notfallkette bei Veränderungen im ambulanten beziehungsweise stationären Bereich immer mitbedacht werde. „Zwingend notwendig ist es, die Überlegungen zur Reform des Rettungsdienstes mit den generellen Reformen zur Verbesserung der Notfallversorgung und der Krankenhausreform zu synchronisieren“, so die MB-Vorsitzende.
Der MB bekräftigt auch seine Haltung zur Ersteinschätzung von Patienten. Das Instrument müsse wissenschaftlich validiert sein und Patienten sicher erkennen, deren Behandlung zeitkritisch ist. „Insbesondere die standardisierte telefonische Ersteinschätzung über vernetzte Rettungsleitstellen ist essenziell, um Patienten im Bereich der Notfallversorgung sinnvoll zu steuern“, sagte Johna.
„Unterfinanzierung und Inkonsequenz“ bemängelt der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa) am Referentenentwurf zur Notfallreform. „Es ist vollkommen inakzeptabel, dass Angebote und vertragsärztlichen Strukturen der Kassenärztlichen Vereinigungen ohne Gegenfinanzierung seitens der Krankenkassen ausgeweitet und ergänzt werden sollen“, kritisierte der SpiFa- Vorstandsvorsitzende Dirk Heinrich.
Zudem bleibe die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) beabsichtigte Notfallreform inkonsequent, wenn entgegen wissenschaftlicher Expertise auch des Sachverständigenrates Gesundheit die Leitung und Organisation der zentralen Erstaufnahmestelle in den INZ in die Verantwortung der Krankenhäuser gelegt werden soll.
Notfall- und Krankenhausreform zusammen umsetzen
Ähnlich wie die MB-Vorsitzende Johna warnte Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbands Deutschland, davor, eine Reform der Notfallversorgung ohne Einbettung in die ebenfalls geplante Krankenhausreform durchzuführen.
Grundsätzlich dürfe die Notfallreform nicht losgelöst von der Krankenhausreform in den Praxistest geschickt werden. „Ansonsten droht, dass gerade erst etablierte Strukturen in wenigen Jahren wieder in Frage gestellt werden, beispielsweise wenn den Kliniken die neue Leistungsgruppe Notfallmedizin nicht mehr zugewiesen wird“, so Rümmelin.
Der Verband fordert außerdem, im Gesetzentwurf klarzustellen, dass weiterhin alle Krankenhäuser, die nach den Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) an der stationären Notfallversorgung teilnehmen, bei Bedarf auch ambulante Versorgungsleistungen anbieten und abrechnen können, wenn eine solche Notfallbehandlung erforderlich ist. Es wäre „weder haftungsrechtlich noch ethisch vertretbar, wenn Kliniken ambulante Notfallpatientinnen und -patienten unversorgt abweisen müssten, die keiner stationären Aufnahme bedürfen“.
Auch der Verband der Ersatzkassen (vdek) forderte die Politik nachdrücklich auf, die geplante Reform der Notfallversorgung mit einer Reform des Rettungsdienstes zu verknüpfen. „Um die Notfallversorgung grundlegend zu verbessern und die Strukturen effizienter zu gestalten, brauchen wir eine Reform aus einem Guss, die auch Rettungsdienststrukturen auf den Prüfstand stellt“, erklärte heute Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek.
Um die Qualität und Wirtschaftlichkeit zu verbessern, sei es notwendig, die vielen kleinen Leitstellen in Deutschland zu größeren Einheiten zusammenzulegen. Auch um einheitliche Rettungsdienststrukturen aufzubauen, spricht sich der vdek zudem für eine Verankerung des Rettungsdienstes im SGB V aus.
Vorarbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses nutzen
Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg der Reform sei die Etablierung des Ersteinschätzungsverfahrens, betonte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann. „Ganz entscheidend ist ein bundeseinheitliches Verfahren, das hilfesuchende Patientinnen und Patienten in die richtige Versorgungsebene führt. Hierzu empfiehlt es sich, auf die Vorarbeiten aus der gemeinsamen Selbstverwaltung zurückzugreifen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hatte dazu eine Richtlinie beschlossen, die genutzt werden sollte.“
Funktionierende Ersteinschätzungsstellen seien auch deshalb wesentlich, so Reimann, weil sie darüber entscheiden würden, ob der Grundsatz ambulant vor stationär im deutschen Gesundheitswesen „auf ein höheres Niveau“ gebracht werden könne. „Im internationalen Vergleich landen hierzulande noch viel zu viele Notfälle in Krankenhausbetten. Perspektivisch sollten die INZ eigenständig und unabhängig organisiert sein.“
Die mit dem Gesetzesvorhaben angestrebte bessere Patientensteuerung werde grundsätzlich nur dann funktionieren, wenn Strukturanpassungen erfolgen. Dies umfasse eine gelingende Krankenhausreform, die Kapazitäten bündele und die Ambulantisierung vorantreibe. Zudem brauche man eine Stärkung der vertragsärztlichen Versorgung, damit diese „die Akutversorgung auch stemmen kann“. Auch strukturelle Veränderungen des Rettungsdienstes seien unerlässlich.
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