Vermischtes

Ärzte gesucht: Wie eine Kleinstadt den roten Teppich ausrollt

  • Donnerstag, 15. September 2022
Die Medizinstudentin Lena Grünthal steht vor dem Rathaus von Osterburg. Das Altmark-Städtchen Osterburg stellt einer Medizinstudentin ein Stipendium zur Verfügung, im Gegenzug hat sie sich verpflichtet, nach der Ausbildung in der Einheitsgemeinde mit rund 9800 Einwohnern zu praktizieren. /picture alliance, dpa, Klaus-Dietmar Gabbert
Die Medizinstudentin Lena Grünthal steht vor dem Rathaus von Osterburg. Das Altmark-Städtchen Osterburg stellt einer Medizinstudentin ein Stipendium zur Verfügung, im Gegenzug hat sie sich verpflichtet, nach der Ausbildung in der Einheitsgemeinde mit rund 9800 Einwohnern zu praktizieren. /picture alliance, dpa, Klaus-Dietmar Gabbert

Osterburg – Das Kopfsteinpflaster im Altmark-Städtchen Osterburg (Sachsen-Anhalt) könnte ein roter Teppich sein. Die 24 Jahre alte Lena Grünthal fährt mit dem Fahrrad durch ihre Heimatstadt nahe der Landesgrenze zu Brandenburg, guckt noch eben auf Rathaus und ihre alte Schule. Sie will noch fix ihre Oma besuchen, bevor es wieder ins mehr als 90 Kilometer entfernte Magdeburg geht.

Dort steht für sie in Kürze das zweite Staatsexamen an. Lena Grünthal wird Ärztin, genau genommen: Landärztin. Sie hat den ausgerollten roten Teppich vor fünf Jahren angenommen und erhält ein Stipendium von der Stadt Osterburg. Im Gegenzug hat sie sich verpflichtet, nach der Ausbildung in der Einheitsgemeinde mit rund 9.800 Einwohnern zu praktizieren.

Beim Osterburger Bürgermeister Nico Schulz landete das Thema Ärztemangel 2016 auf dem Tisch. Mehrere Ärzte aus seiner Stadt kamen zu ihm, wiesen auf den hohen Altersschnitt hin und wann welcher Kollege seine Praxis verlasse, erinnert sich der 49-Jährige. Für ihn sei klar gewesen: Wenn die ärztliche Versorgung auch keine kommunale Aufgabe ist, auf die Kassenärztliche Vereinigung wollte er sich nicht verlassen.

Der Stadtrat beschloss 2017 ein ganzes Paket. Ärzte sollen bei der Suche nach Grundstücken und Wohnungen unterstützt werden, angehende Mediziner kostenfreien Wohnraum erhalten und es sollten Stipendien vergeben werden. „Wir waren damit Vorreiter, da sind wir schon stolz drauf“, sagt Bürgermeister Schulz.

Osterburg kämpft mit dem demografischen Wandel. Seit 1989 hat die heutige Einheitsgemeinde ein Drittel der Bevölkerung verloren. Abwanderung war viele Jahre das Hauptproblem. Inzwischen kommen durchaus junge Familien nach Osterburg, sagt Nico Schulz. Viele suchten die Ruhe, das bezahlbare Bauland. Ohne gesicherte ärztliche Versorgung, Schulen und Kitas funktioniere Zuwanderung nicht.

Derzeit gibt es sieben Allgemeinmediziner in der Stadt, fünf Fachärzte und neun Zahnärzte, zählt Schulz auf. Eigentlich stehe die Stadt, die aber auch Versorgungszentrum für 20.000 bis 25.000 Menschen im Umland sei, gar nicht schlecht da. Die Demografie galoppiert aber davon: 26 Geburten standen im ersten Halbjahr 81 Sterbe­fällen gegenüber. Und auch die Ärzte werden älter, absehbar gehen weitere in den Ruhestand.

Und so nimmt die Stadt Osterburg trotz knapper Kasse 114.000 Euro in die Hand und fördert drei junge Medi­zin­studentinnen. Sie erhalten jeweils 700 Euro pro Monat. Die Kosten teilt sich Osterburg mit der Kassenärzt­lichen Vereinigung.

Lena Grünthal war vor fünf Jahren die erste Stipendiatin, die einen Vertrag für solch eine kommunale Unterstüt­zung unterzeichnete. Sie habe ohnehin zurück in ihre Heimatstadt gewollt, sagt die 24-Jährige. „Osterburg ist mein Safe Space.“ Hier lebe der allergrößte Teil ihrer Familie. Am Flüsschen Biese fühle sie sich besonders wohl. „Ich bin einfach kein Großstadtmensch.“

Ihre Eltern unterstützten sie finanziell während des Studiums. Vom Stipendium habe sie sich Laptop, Tablet und Bücher gekauft. Sie lege Geld zurück. Es sei schön, ein Polster zu haben. Und: die knappe Freizeit gehe nicht für Studentenjobs drauf.

Sie habe sich auch für das Stipendium beworben, weil sie sich zwar auf den Ort, aber nicht auf eine Fachrich­tung festlegen musste. Stand jetzt werde sie Hausärztin. Ab November wird Lena Grünthal bei ihrem langjähri­gen Hausarzt einen Teil ihres praktischen Jahres absolvieren. Die Facharztausbildung wird noch mal etwa fünf Jahre dauern, einen Teil würde sie gern schon in Osterburg absolvieren, sagt die 24-Jährige.

Dass Kommunen Stipendien vergeben, ist selten. Sachsen-Anhalt, die Kassenärztliche Vereinigung (KVSA) und die AOK hatten damit 2010 begonnen, ab 2014 führte die KVSA das Programm allein weiter, wie sie mitteilte.

Bislang seien so 122 Stipendien vergeben worden. Seit 2014 seien zudem 49 Stipendien an zukünftige Haus­ärz­te vergeben worden, die an der Universität Halle eingeschrieben sind. Zusätzlich würden bislang vier Studie­ren­de der Klasse Hausärzte an der Uni Magdeburg unterstützt. Aktuell gebe es 37 Stipendiaten, erklärt die KVSA. Pro Jahr würden 315.000 Euro ausgegeben.

80 Stipendiaten haben den Angaben zufolge ihr Medizinstudium abgeschlossen und sind derzeit in der Fach­arztausbildung. Die Ausbildung dauert lang und so sind bislang 20 Geförderte in strukturschwachen Regionen vom Landkreis Börde über den Harz bis nach Mansfeld-Südharz und den Burgenlandkreis tätig. Ein Tropfen auf den heißen Stein des Ärztemangels.

Als Osterburger Bürgermeister müht sich Nico Schulz weiter, Mediziner in seine Kleinstadt zu bekommen. Erst vor wenigen Tagen übernahm eine junge Gynäkologin eine Praxis in der Stadt. Drei Jahre zuvor war die vormalige Inhaberin in den Ruhestand gegangen. Anzeigen blieben ohne Resonanz. Schließlich sei die Praxis zwangsbeatmet worden, wie es Schulz nennt.

Einmal in der Woche habe man einen Arzt aus der Kreisstadt Stendal abgeholt und nach Osterburg gebracht, nur um den Praxisbetrieb irgendwie aufrecht zu erhalten. Zu solchen unkonventionellen Lösungen müsse man greifen, sagt Schulz. Die Lösung liegt für ihn aber woanders: Nötig seien mehr Medizin-Studienplätze.

dpa

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