Vermischtes

Bevölkerung über Ernährung aufklären, um Adipositas vorzubeugen

  • Dienstag, 31. Oktober 2023
/Petr Bonek, stock.adobe.com
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Berlin – Die Adipositasprävention muss zu einer wichtigen Zielaufgabe des Gesundheitswesens werden, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und Folgeerkrankungen vorzubeugen. Das war der Tenor der Ver­anstaltung „Darf oder sollte der Staat sich in unsere Ernährung einmischen?“ in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am gestrigen Abend.

Eine Zucker- und Fettsteuer sowie ein Verbot für Süßigkeitenwerbung zu Zeiten, in denen Kinder häufig vor dem Fernseher sitzen, konnten sich die Podiumsteilnehmer – eine Ärztin, ein Psychologe und eine Juristin – mit einem Blick ins Ausland auch für Deutschland vor­stellen.

Generell müsse die Öffentlichkeit stärker für das Thema sensibilisiert werden und gemeinsam mit Politik und Industrie eine Lösung gefunden werden, um Adipositas und weitere Zivilisationskrankheiten einzudämmen, lautete der Konsens.

„Wir leben in einer Gesellschaft, die einen Überfluss an Nahrungsmitteln bietet“, wies Annette Grüters-Kies­lich, Leitende Ärztliche Direktorin und Vorstandsvorsitzende an der Universitätsmedizin Heidelberg, auf die Situation in Deutschland hin.

Essen sei ständig und überall verfügbar, es sei zum Normalzustand geworden, dauernd etwas dabei zu haben, so Grüters-Kieslich. Nicht nur die steigende Frequenz der Nahrungsaufnahme empfand die Kinder- und Ju­gendärztin als problematisch: „Zum Teil weist die Nahrung auch eine viel zu hohe Energiedichte auf“.

Ralph Hertwig, Psychologe und Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, ergänzte: „Zucker versteckt sich an allen Ecken und Enden.“ Für die Verbraucher sei auf den ersten Blick nicht immer erkennbar, in welchen Produkten sich etwa viel Zucker oder Salz verstecke. Vielen seien die Risiken auch gar nicht bewusst.

Der Überschuss an Energie gepaart mit einem zunehmenden Mangel an Bewegung führe immer häufiger dazu, dass die Menschen übergewichtig würden, erklärte Grüters-Kieslich. „Der Hauptrisikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, orthopädische Probleme, Diabetes und einige Krebsarten ist das Übergewicht“.

Die Kinder- und Jugendärztin, die die Entstehung und Behandlung seltener Adipositasformen bei Kindern erforscht, nahm in der Podiumsdiskussion die junge Generation in den Fokus.

Entwickelten Kinder und Jugendliche schon früh ein Übergewicht, könnten sie auch bereits im jungen Alter an Folgeerkrankungen leiden, obwohl sie ihr ganzes Leben noch vor sich hätten. Hier müsse der Staat auch eine gewisse Daseinsfürsorge leisten, damit die Kinder am Ende nicht die Leidtragenden seien.

„Der Gesundheitsschutz ist ein guter Grund, um in die Grundrechte einzugreifen, vor allem, wenn es darum geht, die Gesundheit von Kindern zu schützen“, sagte Johanna Wolff, Professorin für öffentliches Recht, Wirt­schafts-, Finanz- und Steuerrecht an der Universität Osnabrück.

Auf die Frage, inwieweit der Staat dazu berechtigt sei, in die Ernährung der Bevölkerung einzugreifen, erklärte die Juristin, dass es dabei immer auf die Verhältnismäßigkeit ankomme. Es würden Grundrechte berührt, für die eine Rechtfertigung vorliegen müsse. Diese sei beim Gesundheitsschutz gegeben.

„Man kann die Dinge zwar nicht komplett verbieten. Aber man kann Möglichkeiten ergreifen, dass sie nicht mehr ganz so gesundheitsschädlich sind“, sagte Grüters-Kieslich. Ansetzen könne man etwa bei der Aufklä­rung der Bevölkerung. Wenn die Menschen verstehen würden, dass ein Überschuss an Energie langfristig zur Anlagerung von Körperfett führe und daraus Folgeerkrankungen entstehen könnten, sei schon ein großer Schritt getan.

Beginnen muss man der Kinderärztin zufolge schon in der frühkindlichen Bildung. Doch auch die Medien so­wie den öffentlichen Raum, Supermärkte und den Personennahverkehr sah sie bei der Aufklärung über gesun­de und ungesunde Ernährung in der Verantwortung.

Neben Bürgern, die etwas von Ernährung verstehen, brauche es auch eine systemische Lösung von Politik und Industrie, gab Hertwig zu Bedenken. Wenn die Politik ein Signal gebe, dass etwas geändert werden soll, müsse die Industrie auch bereit sein, darauf einzugehen.

In Großbritannien habe es so etwa funktioniert, den Zuckergehalt aus einigen Nahrungsmitteln langsam aus­zuschleichen. Auch die eingeführte Zuckersteuer sei ein Erfolg gewesen: Der Konsum zuckerhaltiger Getränke habe sich in Großbritannien seitdem halbiert.

Die Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass die Möglichkeiten und Ansätze in Deutschland schon jahrelang vorhanden sind. Nur an der Umsetzung würde es schon seit Jahren scheitern. „Fett- und Zuckersteuer sowie Werbeverbote werden immer Gegenstand politischer Machtkämpfe sein“, betonte Hertwig. Wenn systemische Lösungen schwer zu finden sind, müsse zunächst einmal auf die Kompetenzen der Bürger gesetzt werden.

nfs

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