COPSY-Studie: Psychische Gesundheit von Heranwachsenden ist schlechter als vor Coronapandemie

Hamburg – Die gesundheitsbezogene Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen waren zu Beginn der Coronapandemie 2020 erheblich beeinträchtigt, verbesserten sich in den Folgejahren wieder – blieben aber bis Herbst 2024 unter den Werten von vor der Pandemie. Rund 400.000 der Kinder und Jugendlichen in Deutschland oder fünf Prozent geht es nach den Ergebnissen der COPSY-Studie (Corona und Psyche) vom Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) also schlechter als vor der Pandemie. Das wurde heute bei einer Pressekonferenz des Science Media Centers zu den pre-print-Ergebnissen der bevölkerungsbezogenen Längsschnittstudie deutlich.
Kinder und Jugendliche mit ausgeprägten Zukunftsängsten waren der Studie zufolge besonders stark betroffen. Gleichzeitig haben die Sorgen vor Kriegen, Terrorismus, Wirtschaftskrisen und der Klimakrise deutlich zugenommen.
Risikofaktoren wie eine niedrige elterliche Bildung und psychische Probleme der Eltern waren demnach mit einer schlechteren psychischen Gesundheit assoziiert, während persönliche, familiäre und soziale Ressourcen eine schützende Wirkung hatten. Es wurde ein hoher Medienkonsum dokumentiert, der bei einem Teil der Kinder und Jugendlichen mit belastenden Erfahrungen verbunden war.
Ausgewertet wurden für die COPSY-Studie Daten von 2.865 Familien mit Kindern und Jugendlichen im Alter von 7 bis 22 Jahren, die an mindestens einer Welle der COPSY-Studie von Mai 2020 bis Oktober 2024 teilgenommen haben. Mithilfe von deskriptiven Statistiken und multivariaten Regressionsanalysen wurden die Veränderungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (gLQ) und der psychischen Gesundheit zwischen 2017 und 2024 sowie die spezifischen Auswirkungen von krisenbedingten Sorgen, Zukunftsängsten und der Nutzung digitaler Medien untersucht.
„Gesellschaftliche Krisen und Kriege verunsichern Kinder und Jugendliche. Gleichzeitig erhalten sie über soziale Medien Informationen oft ungefiltert und zugleich erfahren viele über diese Medien Ausgrenzung und Mobbing“, sagte die Leiterin der Studie, Ulrike Ravens-Sieberer, Forschungsdirektorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am UKE. „Wir müssen massiv in Ressourcen zur Resilienzbildung für Kinder und Jugendliche investieren, um sie besser zu wappnen“, forderte sie.
Marcel Romanos, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Würzburg, wies darauf hin, dass Längsschnittstudien sehr schwer durchzuführen seien und die COPSY-Studie zurzeit die Einzige, die zeige, wie sich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen verändert. „Solch ein Monitoring ist sehr wichtig, weil psychische Erkrankungen Volkskrankheiten sind, die in Kindheit und Jugend beginnen“, sagte er.
„Bei der Prävention von psychischen Erkrankungen haben wir einen großen Nachholbedarf“, betonte Romanos. Es sei notwendig, evidenzbasierte Maßnahmen zu generieren. Bei den meisten Programmen sei die Wirksamkeit nicht evaluiert. Präventionsmaßnahmen sollten vor allem personale und soziale Ressourcen wie Selbstwirksamkeit und soziale Unterstützung stärken.
Gezielte Programme wie Schulpsychologie, niedrigschwellige Unterstützungsangebote und Medienkompetenztrainings könnten einen wichtigen Beitrag leisten. Zudem sei weitere Forschung nötig, um die Wechselwirkungen globaler Krisen auf die psychische Gesundheit besser zu verstehen und effektive Präventionsansätze zu entwickeln.
Darüber hinaus seien die Versorgungsengpässe in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie groß, wenn erst eine psychische Erkrankung diagnostiziert worden sei. Hier müsse dringend nachgesteuert werden. Neben einer moralischen Verantwortung drohten auch erhebliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgekosten, wenn psychische Belastungen unbehandelt blieben.
Vulnerabilität erhöht
Der Soziologe Ulrich Bauer, Professor für Sozialisationsforschung an der Universität Bielefeld, hält die Ergebnisse der COPSY-Studie europaweit für vergleichbar. „Wir befinden uns in einem Polykrisenzustand und können nach der Pandemie von einem ‚Posteventbelastungssyndrom‘ sprechen.“ Die Vulnerabilität sei erhöht, die Einwirkungen von außen über soziale Medien extrem belastend.
Bauer sieht einen Verlust von Sicherheit in der Gesellschaft sowie gesellschaftliche Umwälzungen, die auch Erwachsene belasten, die dann ihren Kindern kaum Unterstützung bieten könnten. „Generell gilt: Gesellschaften, die Spaltungstendenzen aufweisen und in denen sich das untere Drittel der Gesellschaft abgehängt fühlt, haben ein höheres Risko für psychische Erkrankungen.“
Die Gesundheitswissenschaftlerin Anne Kaman, die an der COPSY-Studie beteiligt ist, betonte, dass besonders die Schulschließungen während der Coronapandemie Belastungen bei den Kindern und Jugendlichen hinterlassen haben, von denen sich viele noch nicht erholt hätten. „Daraus sollten wir für zukünftige Pandemien lernen“, sagte sie.
Zum Zusammenhang von sozialer Mediennutzung und psychischer Gesundheit erläuterte sie: „Jede Stunde mehr Mediennutzungszeit führt bei Kindern und Jugendlichen zu einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit.“ Hier sollte man nicht nur die Medienkompetenz der Kinder verbessern, sondern auch bei den Eltern ansetzen. Diesen Ansatz hält Kaman für zielführender als einen Zugang zu sozialen Medien erst ab 16 Jahren zu erlauben, wie in Australien geplant. Kinder- und Jugendpsychiater Romanos ergänzte, dass die sozialen Medien „ein weitgehend rechtsfreier Raum sind – das sollten wir nicht länger tolerieren, wenn uns die psychische Gesundheit unserer Kinder wichtig ist.“
Die Ergebnisse der aktuellen COPSY-Studie im Detail: Die gesundheitsbezogene Lebensqualität (gLQ) und die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen verschlechterten sich zu Beginn der Pandemie im Vergleich zu präpandemischen Daten (2014-2017) deutlich. Die höchsten Prävalenzen wurden im Winter 2020/21 festgestellt: Fast die Hälfte (48 %) berichtete eine niedrige gLQ, etwa ein Drittel (31 %) gab psychische Auffälligkeiten und Ängste (30 %) und ein Viertel (24 %) depressive Symptome an. In den Jahren 2022 und 2023 verbesserten sich die gLQ und die psychische Gesundheit. Dieser Trend der Verbesserung setzte sich im letzten Jahr bis Herbst 2024 nicht weiter fort.
21 % der Kinder und Jugendlichen gaben weiterhin eine geminderte gLQ an, 22 % berichteten psychische Auffälligkeiten und 23 % Angstsymptome. Damit liegen die Prävalenzen weiterhin etwa 5 % über den präpandemischen Werten. Lediglich für depressive Symptome zeigte sich eine Verbesserung gegenüber dem präpandemischen Niveau, wenngleich im Herbst 2024 wieder ein ansteigender (nicht signifikanter) Trend zu beobachten ist.
Einsamkeit ein Problem
Darüber hinaus berichteten im Herbst 21 % der Kinder und Jugendlichen, sich manchmal, oft oder immer einsam gefühlt zu haben. Damit liegt die Prävalenz von Einsamkeit zwar unter den 9 Werten zu Beginn der Pandemie, bleibt jedoch weiterhin höher als vor der Pandemie (14 %).
Alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede in der gLQ und psychischen Gesundheit Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren hatten insgesamt eine niedrigere gLQ als Kinder im Alter von 11 bis 13 Jahren. Psychische Auffälligkeiten waren vor allem bei jüngeren Kindern (7-10 Jahre) zu Beginn der Pandemie und im weiteren Verlauf auch bei den 11- bis 13-Jährigen deutlich häufiger.
Depressive Symptome traten am häufigsten bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren sowie bei jungen Erwachsenen auf, während 11- bis 13-Jährige die niedrigsten Werte zeigten. Hinsichtlich Angstsymptomen gab es keine klaren altersbedingten Unterschiede. Die geschlechtsspezifische Analyse zeigte, dass Mädchen insgesamt stärker beeinträchtigt waren, mit niedrigeren Werten bei der gLQ sowie höheren Raten an depressiven Symptomen und Ängsten.
Im Herbst 2023 berichtete jeweils etwa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, dass sie mittelmäßig, ziemlich oder sehr besorgt sind aufgrund von Kriegen, Terrorismus, wirtschaftlicher Krisen und der Klimakrise. Diese Sorgen haben im Herbst 2024 signifikant zugenommen (p < 0,001; Effektstärken lagen im schwachen bis moderaten Bereich von V = 0,11 – 0,28). So äußerten 72 % der Kinder und Jugendlichen Sorgen in Bezug auf Kriege, gefolgt von Sorgen im Zusammenhang mit Terrorismus (70 %), wirtschaftlichen Krisen (62 %) und der Klimakrise (57 %). Sorgen aufgrund der COVID-19-Pandemie haben hingegen signifikant abgenommen (p < 0,001; V= 0,06) und wurden nur noch von 15 % der Kinder und Jugendlichen berichtet.
Kinder und Jugendliche, die im Herbst 2024 unter krisenbezogenen Zukunftsängsten litten, zeigten häufiger eine geminderte gLQ, psychische Auffälligkeiten, Ängste und depressive Symptome. So ergab die logistische Regressionsanalyse, dass ein Anstieg des Durchschnittswertes der krisenbezogenen Zukunftsängste um 1 mit einer 1,8-fach höheren Wahrscheinlichkeit für eine geminderte gLQ assoziiert war. Etwas höhere Zusammenhänge fanden sich für psychische Auffälligkeiten (OR = 2,0), depressive Symptome (OR = 2,4) und Angst (OR = 3,0).
Etwa 17 % der Kinder und Jugendlichen waren im Herbst 2024 im Hinblick auf ihre psychische Gesundheit besonders vulnerabel und gehörten zu einer Risikogruppe. Risikofaktoren waren eine geringe Bildung der Eltern, psychische Belastung der Eltern, ein Migrationshintergrund und ein beengter Wohnraum. Diese Kinder und Jugendlichen hatten 1,9- bis 2,7-fach erhöhtes Risiko (OR) für eine geminderte gLQ (OR = 1,9), psychische Auffälligkeiten (OR = 2,7), ängstliche (OR = 2,2) und depressive Symptome (OR = 2,5).
Hingegen hatten Kinder und Jugendliche mit ausgeprägten personalen, familiären und sozialen Ressourcen eine deutlich bessere psychische Gesundheit. Kinder und Jugendliche, die optimistisch und zuversichtlich in die Zukunft schauen, die viel gemeinsame Zeit mit der Familie verbringen und sich von ihrem sozialen Umfeld gut unterstützt fühlen, hatten ein 5- bis 10-fach geringeres Risiko für eine geminderte gLQ (OR = 0,1), psychische Auffälligkeiten (OR = 0,1), ängstliche (OR = 0,2) und depressive Symptome (OR = 0,1).
Nahezu 40 % aller Kinder und Jugendlichen nutzen digitale Medien im Herbst 2024 mindestens 4 Stunden am Tag für private Angelegenheiten. Davon nutzt ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen digitale Medien sogar mindestens 5 Stunden am Tag. Im Vergleich zu den vorherigen Jahren ist der Medienkonsum weitestgehend konstant geblieben (mit etwas höheren Nutzungszeiten zu Beginn der Pandemie). Darüber hinaus nutzt der Großteil der Kinder und Jugendlichen digitale Medien zusätzlich 1 bis 2 Stunden am Tag für schulische Zwecke. Im Herbst 2024 gaben 32 % der Kinder und Jugendlichen an, dass ihnen in den sozialen Medien oft Inhalte begegnen, die sie belasten.
Weiterhin gaben 21 % der Kinder und Jugendlichen an, dass sie sich belastet fühlen, weil sie in sozialen Medien Ausgrenzung und Abwertung erfahren. Fast ein Viertel (23 %) gab an, dass ihnen die Nutzung sozialer Medien nicht guttue.
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