Vermischtes

Digitalisierung im Gesundheitswesen: Schaar spricht von Desaster

  • Dienstag, 17. Januar 2023
/sasun Bughdaryan, stock.adobe.com
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Bonn – Wenn es um die Digitalisierung des Gesundheitswesens geht, kann der frühere Bundesdatenschutz­beauftragte Peter Schaar nur mit dem Kopf schütteln. Seit mehr als drei Jahrzehnten arbeitet die Politik in Deutschland an der Einführung digitaler Informations- und Kommunikationstechniken in der Medizin. Die Bilanz sei ernüchternd, sagt Schaar.

„Corona hat erbarmungslos offengelegt, dass die Digitalisierung bei Weitem nicht so weit vorangeschritten ist, wie immer wieder versprochen wurde“, schreibt Schaar in seinem heute erschienenen Buch „Diagnose Digital-Desaster“ etwa mit Blick auf fehlende digitale Meldesysteme für Infizierte und das Wirrwarr um Intensiv­betten. Blindflug statt datengestützter Planung: Im europäischen Vergleich liege Deutschland weit zurück.

Der Datenschutzexperte Schaar betont, dass nicht der Datenschutz die Fortschritte blockiere. Verantwortlich macht er vielmehr Strukturen in Politik und Gesundheitsbereich, die ansonsten weithin zum Erfolg der Bun­desrepublik beigetragen haben: etwa den Föderalismus und die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen.

Bei der Digitalisierung sehe man, „dass viele, viele, viele Köche mitgewirkt haben, und der Brei ist bisher immer noch nicht gar“. „Das föderale System sichert flächendeckende Versorgungsangebote, erschwert aber zugleich die Durchsetzung bundesweiter digitaler Informationsstrukturen“, analysiert Schaar und verweist auf Zuständigkeiten der Ministerien in Bund und Ländern sowie 16 unterschiedliche Krankenhausgesetze.

Auch das System der Selbstverwaltung, in der Ärzte, Krankenhäuser und Kassen das Leistungsangebot aus­han­deln, tue sich schwer, bei der Digitalisierung unterschiedliche Interessen auszugleichen.

Das Malheur fängt laut Schaar schon beim schlechten Ausbau des Internet an: Immer noch müssten etwa die meisten Kliniken ohne schnelles Internet auskommen. Gerade in ländlichen Regionen, in denen telemedizi­nische Anwendungen den größten Mehrwert versprechen, verhindere die unzureichende Netzversorgung eine schnelle Übertragung großer Datenmengen.

Zugleich bemängelt Schaar, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens zu wenig aus der Perspektive der Patienten, der Ärzte und ihrer Praxen sowie der Apotheken gedacht werde. Oft würden stattdessen die Stan­des­vertreter beteiligt und der „große Wurf“ angestrebt – Leuchtturmprojekte, deren Sinn viele Akteure dann nicht einsähen. Umfragen zeigten eine zunehmende Ernüchterung bei Ärzten im Hinblick auf die Digitali­sierung.

Dabei gibt es durchaus vielversprechende Ansätze: Doch die eigentlich für 2006 vorgesehene Umstellung des Papierrezepts auf ein elektronisches Rezept ist noch immer in der Umsetzung. Ähnlich die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte: Ärzte seien dazu verpflichtet worden, ihre Praxen mit einer Technik an die Telematikinfrastruktur anzuschließen, die sich als instabil und wenig nutzerfreundlich erwies.

Auch bei Patienten sei die Angst, man könnte zu einem „gläsernen Patienten“, Opfer von Datenklau oder zur „Ware“ degradiert werden, nicht ernst genommen worden. Ist die Digitalisierungsschwäche des Gesundheits­wesens heilbar? Schaar sieht sinnvolle Therapieansätze. „Aber homöopathische Dosen werden nicht ausrei­chen.“

Beim Umsteuern müssten die Betroffenen stärker mitgestalten, also die Patienten und die Angehörigen der Heilberufe. Auch müsse stets Europa mitgedacht werden, um künftig grenzüberschreitende Gesundheits­dienst­leistungen anbieten zu können. Der frühere Datenschutzbeauftragte fordert insbesondere ein grundle­gendes Umdenken bei der Datenspeicherung.

„Viel sinnvoller als das bisherige zentralisierte System zur Ablage von Gesundheitsdaten in serverseitigen elektronischen ‚Patientenakten‘ wäre es, die Daten dort zu belassen, wo sie sich schon heute befinden, näm­lich in den Arztpraxen und Krankenhäusern, und sie bei Bedarf mit Einwilligung des Patienten elektronisch zusammenzuführen – etwa, wenn eine Operation geplant wird oder Ärzte verschiedener Disziplinen zu­sammenwirken.“ Viele europäische Länder – etwa Estland, Dänemark und Österreich – verfolgten einen solchen Ansatz.

kna

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