Fachkräftemangel: Mehr Flexibilität in der Versorgung

Berlin – Um den teilweise vorhandenen Mangel an ärztlichem Personal, insbesondere im ländlichen Raum, zu lösen, könnten flexiblere Versorgungsmodelle künftig eine wichtige Rolle spielen. Das diskutierten Fachleute gestern bei einer Onlineveranstaltung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Der Mangel an Ärztinnen und Ärzten im ländlichen Raum sei nicht nur mit der Vergütung zu erklären, erklärte Jonas Schreyögg von der Universität Hamburg. Schreyögg ist zudem Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege (SVR).
Vielmehr spielten das Vorhandensein von kulturellen Einrichtungen oder Jobmöglichkeiten für den Partner oder die Partnerin eine große Rolle. „Deshalb müssen wir zu flexibleren Modellen kommen“, so Schreyögg.
Beispielsweise könnten Ärztinnen und Ärzte aus den Ballungsräumen etwa für zwei Tage in der Versorgung im ländlichen Raum arbeiten und dafür ein deutlich höheres Honorar als Anreiz erhalten. „Hier braucht es deutlich flexiblere Vergütungen“, forderte der Gesundheitsökonom.
Der OECD-Analyst für Gesundheitspolitik, Michael Müller, sieht eine weitere Lösungsmöglichkeit zudem im Zusammenschluss von Ärzten in integrierten Versorgungszentren gemeinsam mit anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Dies werde etwa in Skandinavien oder Frankreich bereits so gehandhabt.
Eine weitere Form von flexiblen Arbeitsmodellen schlug Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien in Wien vor. Größtes Potenzial zur Lösung des Problems würde es mit einem breiten Menü an Möglichkeiten geben, so Czypionka. Ärztinnen und Ärzten müssten die freie Wahl erhalten, etwa vollständig selbstständig zu arbeiten, damit auch in ihre eigene Praxis zu investieren und eine entsprechende Vergütung zu erhalten.
Allerdings müsse es auch Möglichkeiten geben, in denen die Praxis gestellt werde und mit diesem geringeren Risiko aber auch eine geringere Vergütung einhergehe, so der Gesundheitsökonom.
Rudolf Blankart von der Universität Bern, ergänzte, dass es eine Besonderheit im deutschsprachigen Raum sei, dass insbesondere Pflegefachpersonal nur beschränkte Aufgaben im Gesundheitswesen übernehmen dürften.
Im französischsprachigen Teil der Schweiz sei eine höhere Ausbildung der Pflegefachkräfte, etwa mit Hochschulabschlüssen, bereits üblich. Hier gehe es viel mehr bereits in Richtung der Advanced Practise Nurse, also eine akademische Weiterqualifikation des Pflegeberufes. Diese Entwicklung würde auch dem Personalmangel im ärztlichen Bereich durch eine bessere Aufgabenverteilung helfen.
Stationäre Aufnahmequote reduzieren
Darüber hinaus sei es sehr wichtig, eine nachhaltige Strategie zu entwickeln und etwa die hohe Inanspruchnahme im stationären aber auch im ambulanten Bereich zu reduzieren, betonte Schreyögg. „Es braucht eine Stärkung der Primärversorgung, um im sekundären Bereich eine Inanspruchnahme zu vermeiden.“
Beispielsweise die stationäre Aufnahmequote, also Patientinnen und Patienten, die aus der Notaufnahme heraus stationär aufgenommen werden, liege in Deutschland bei etwa 45 Prozent, erklärte Schreyögg. In vielen Ländern liege diese Quote lediglich bei rund 30 Prozent oder häufig darunter.
Hier gebe es durch eine Notfallreform ebenfalls viel Potenzial, Ressourcen künftig besser einzusetzen. Zudem müsse der Rettungsdienst in Deutschland künftig eine Vergütung erhalten, auch wenn er den Patienten oder die Patientin nicht in ein Krankenhaus bringt. Diese Regelung schaffe Fehlanreize, kritisierte er.
Claudia Hartmann von der Berliner Charité wies zudem auf die Möglichkeiten der Telemedizin hin, die ebenfalls zu einer ressourcenschonenderen Versorgung führen könne. Allerdings würde das Gesundheitspersonal derzeit mit Bürokratie und digitalen Softwares und Tools überladen, so dass sie kaum Zeit für die eigentliche Patientenversorgung haben, kritisierte sie. Digitalisierung müsse aber vielmehr als Entbürokratisierung wirken.
Anlass für die Diskussion war die heutige Vorstellung des neuen OECD-Reports „Health at a Glance 2023“, der viele Gesundheitsindikatoren in den 38 OECD-Mitgliedstaaten für einen direkten Vergleich erfasst. In dem 234-seitigen Bericht gibt es länderspezifische Ergebnisse zu Gesundheitsfaktoren wie Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Erkrankungen sowie Alkohol- oder Tabakkonsum.
Es geht zudem auch um die Faktoren Umwelt und Gesundheit sowie vorhandene Strukturen, wie etwa Informationen über den ambulanten und stationären Bereich in den jeweiligen Ländern, darunter Krankenhausbetten, diagnostische Technologien oder ambulante Operationen. Auch Gesundheitsausgaben oder Zahlen zu Gesundheitspersonal werden in dem OECD-Report für die Mitgliedstaaten jeweils erhoben.
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