Gesundheitskompetenz in Deutschland weiter gering

Bielefeld – Um die Gesundheitskompetenz der Menschen in Deutschland ist es weiterhin schlecht bestellt. Das berichteten Wissenschaftlerinnen auf der Online-Fachtagung „Gesundheitskompetenz 2022“ der Universität Bielefeld am 14. September. Danach ist die Gesundheitskompetenz in den vergangenen Jahren sogar gesunken. Ein Problem ist offenbar die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft, mit der viele Menschen nicht Schritt halten.
Die Veranstaltung erfolgte in Kooperation mit der Hertie School Berlin, der Robert-Bosch-Stiftung und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und trug den Untertitel „Digitale Gesundheitskompetenz und Migration – Was wissen wir? Wo stehen wir?“ Der Blick auf die Daten fördert danach zum Teil Unerwartetes zutage, etwa, dass Migration per se durchaus kein Risikofaktor für niedrige Gesundheitskompetenz ist.
Eher im Gegenteil – die Kompetenz von Migranten ist tendenziell möglicherweise eher höher als die der Allgemeinbevölkerung. Außerdem wichtig und überraschend: Das Verstehen von Gesundheitsinformationen ist bei den Menschen – deutschstämmigen wie solchen mit Migrationshintergrund – nicht das wichtigste Problem, sondern die Beurteilung von Informationen.
Einen Überblick über die Studien zur Gesundheitskompetenz in Deutschland gab Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld. Voran stellte sie ihrer Darstellung eine Definition des Begriffs und seiner Dimensionen: Gesundheitskompetenz umfasst danach „die Fähigkeit von Menschen, Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in gesundheitsrelevanten Bereichen Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu können“.
Die Ergebnisse des ersten europäische Health Literacy-Survey (HLS-EU, 2012) waren für Deutschland ernüchternd, zeigten sie doch, dass ein großer Teil der Bevölkerung über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz verfügte. Für Deutschland kam die erste repräsentative Studie zur Gesundheitskompetenz (HLS-GER 1) aus dem Jahr 2016 sogar zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung Schwierigkeiten hat, gesundheitsrelevante Informationen ausfindig zu machen, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden.
Die Wiederholungsbefragung namens HLS-GER 1 aus dem Jahr 2020 signalisierte eine weiter sinkende Gesundheitskompetenz: Danach zeigten im Jahr 2012 46,3 Prozent der Menschen in Deutschland eine schlechte Gesundheitskompetenz, 2016 54,3 Prozent und 2020 64,2 Prozent. Das größte Problem besteht dabei bei der Dimension „Beurteilen von Gesundheitsinformationen“. Hier schnitten 71,5 Prozent der Befragten schlecht ab. Dabei geht es unter anderem um Fragen wie „Ist die Information glaubhaft? Ist sie aktuell? Ist sie vollständig?“
Digitale Gesundheitskompetenz
Um die digitale Gesundheitskompetenz in Deutschland steht es laut Schaeffer sogar noch schlechter als um die allgemeine Gesundheitskompetenz. Gemäß einer Erhebung namens „HLS-GER 2“ aus dem Jahr 2021 schneidet Deutschland hier im internationalen Vergleich von 17 Ländern am schlechtesten ab: 75,8 Prozent der Menschen haben laut der Erhebung hierzulande eine schlechte digitale Gesundheitskompetenz.
Auch hier sei die Dimension „Beurteilen von Gesundheitsinformationen“ die problematischste gewesen – also nicht etwa das Auffinden oder das Verstehen von Informationen. Schaeffer betonte, dass die allgemeine und die digitale Gesundheitskompetenz einem Gradienten unterliegen: Besonders Personen mit niedriger Bildung, niedrigem Sozialstatus und höherem Lebensalter verfügten über eine messbar geringere Kompetenz.
Eine Nachfolgebefragung im Verlauf der Coronapandemie namens HLS-GER 2 habe im Übrigen gezeigt: Die geringe digitale Gesundheitskompetenz in Deutschland sei von 75,8 Prozent vor der Pandemie auf 70,5 Prozent gesunken. „Ist Corona auch ein Lernprojekt gewesen?“, fragte Schaeffer daher.
Gesundheitskompetenz und Migration
Eva-Maria Berens von der Universität Bielefeld stellte auf der Tagung Ergebnisse einer Studie namens HLS-MIG vor, welche die Gesundheitskompetenz von jeweils rund 500 Menschen untersuchte, die selbst oder von denen wenigstens ein Elternteil aus der ehemaligen Sowjetunion oder der Türkei eingewandert ist – also Menschen mit Migrationshintergrund der ersten sowie der zweiten Generation.
Danach ist ihre allgemeine und digitale Gesundheitskompetenz tendenziell besser als die der Allgemeinbevölkerung. Berens wies aber auf eine methodische Einschränkung hin, nämlich, dass die Gruppe der Befragten im Vergleich zur Grundgesamtheit der Menschen mit Migrationshintergrund sowie zur Allgemeinbevölkerung etwas jünger war und eine höhere Schulbildung hatte. Es zeigte sich weiter: Kontraste nach dem Herkunftsland (ehemalige Sowjetunion – Türkei) gibt es kaum.
Auch den Menschen mit Migrationshintergrund fällt zudem vor allem die Beurteilung von Informationen besonders schwer. Eine wichtige Quelle für Gesundheitsinformationen sind Quellen aus dem Herkunftsland. Ein wichtiges Fazit aus den Studien zog Schaeffer am Ende ihres Vortrages: Die Förderung von Gesundheitskompetenz – allgemeiner wie digitaler – erfordert ein regelmäßiges Monitoring, um evidenzbasierte Maßnahmen ableiten zu können. Das aber sei teuer.
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