IGeL-Monitor: Hyaluronsäurespritzen bei Arthrose schaden mehr als sie nützen

Berlin – Spritzen mit Hyaluronsäure gegen Kniegelenksarthrose oder Hüftgelenksarthrose bringen kaum einen messbaren Nutzen, sind aber mit einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen verbunden. Zu diesem Ergebnis kommt der Medizinische Dienst Bund (MD) in einer aktuellen Bewertung für den IGeL-Monitor.
Demnach überwiege der Schaden den Nutzen deutlich. Der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) wehrt sich in einer Stellungnahme gegen diese Bewertung.
Das wissenschaftliche Team des MD wertete 25 „methodisch überzeugende“ Studien mit 9.423 Patientinnen und Patienten zu Kniearthrose sowie fünf Studien mit 591 Betroffenen zu Hüftarthrose aus.
Bei der Hüfte zeigte sich kein Unterschied gegenüber einer Scheinbehandlung. Bei Kniearthrose fand sich zwar ein geringer Vorteil, dieser sei jedoch „so minimal, dass er klinisch nicht von Bedeutung ist“, erklärte MD-Bereichsleiter Stefan Lange bei einer Pressekonferenz. Dagegen sei das Risiko für Nebenwirkungen wie Gelenkentzündungen, Herzbeschwerden, Schwellungen oder Schmerzen im Gelenk erhöht.
„Fakten statt Werbung im Wartezimmer“
Auch die extrakorporale Stoßwellentherapie bei Kalkschulter und Tennisarm erhielt keine positive Bewertung. Wegen zu weniger und widersprüchlicher Studien fiel das Urteil „unklar“ aus.
Insgesamt ergibt sich laut MD ein ernüchterndes Bild: Von bislang 60 geprüften IGeL wurden 31 negativ bewertet, 26 als unklar und nur drei als tendenziell positiv.
„Viele Selbstzahlerleistungen schaden mehr als sie nützen. Uns besorgt, dass Patientinnen und Patienten in den Praxen oftmals nicht ausreichend über Risiken aufgeklärt werden“, sagte der MD-Vorstandsvorsitzende Stefan Gronemeyer bei der Pressekonferenz.
Er formulierte zwei Forderungen: Zum einen sollten die Praxen verpflichtet werden, unabhängige wissenschaftsbasierte Informationen regelhaft anzubieten. Gronemeyer sprach in dem Kontext von „Fakten statt Werbung im Wartezimmer“.
Zum zweiten fordere der MD, dass IGeL nicht am selben Tag erbracht werden dürfen, an dem sie angeboten werden – auch, wenn diese verpflichtende Bedenkzeit für Patientinnen und Patienten einen zusätzlichen Praxisbesuch bedeute.
BVOU: Verzerrte Wiedergabe der wissenschaftlichen Grundlagen
In einer Stellungnahme verweist der BVOU auf die aktuelle S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Diese zeige keinen Unterschied in der Häufigkeit von Nebenwirkungen nach intraartikulärer Injektion von Hyaluronsäure im Vergleich zu Placebo.
Der BVOU nennt zudem die aktuelle Leitlinie der OARSI (Osteoarthritis Research Society International), die eine (bedingte) Empfehlung für die Injektion von Hyaluronsäure abgebe und sie als gegenüber der Injektion von Glukokortikoiden als die zu bevorzugende Alternative empfehle.
In der DGOU-Leitlinie heißt es hingegen: „Es kann aufgrund der widersprüchlichen Evidenz keine Empfehlung zum Einsatz von intraartikulärer Hyaluronsäure-Injektion abgegeben werden.“
Dies liegt laut BVOU an der widersprüchlichen Evidenzlage in den Studien: „Diese – zugegeben komplexen – wissenschaftlichen Grundlagen bei der intraartikulären Therapie der Gonarthrose werden vom IGeL-Monitor nicht oder nur verzerrt bzw. falsch wiedergegeben“, so die Stellungnahme des Verbandes.
Dieser merkt darüber hinaus an, dass bei vielen gängigen konservativen Therapien oft die Studien fehlten oder diese zu heterogen seien, um eine Empfehlung überhaupt auszusprechen oder die Empfehlungsgrade seien schwach bis neutral.
„Einige dieser Therapien, die von den Kassen erstattet werden, sind, anders als die intraartikulären Injektionen, sogar mit einem negativen Empfehlungsgrad versehen (Orthesen, Tapes, transkutane elektrische Nervenstimulation - TENS, Ultraschalltherapie, Lasertherapie)“, heißt es in der Stellungnahme weiter.
So stünden die Ärztinnen und Ärzte in vielen Fällen vor dem Dilemma, dass neben Beratung und Patientenedukation vor der Operation nicht allzu viele Therapieoptionen bereitstünden, für die es eine uneingeschränkte Empfehlung auf Basis der Studienlage gebe.
2,4 Milliarden Euro für IGeL-Leistungen
Laut IGeL-Report 2024 würden gesetzlich Versicherte jährlich mindestens 2,4 Milliarden Euro für IGeL-Leistungen ausgeben, darunter an erster Stelle Angebote aus den Fachgebieten Augenheilkunde mit 544 Millionen Euro und Gynäkologie mit 543 Millionen Euro, gefolgt vom Bereich Orthopädie mit fast 400 Millionen Euro.
Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) forderte schärfere Regeln. „Einen Markt von 2,4 Milliarden Euro pro Jahr kann es nur geben, wenn Arztpraxen ihrer Aufklärungspflicht nicht nachkommen“, sagte Thomas Moormann, Leiter Team Gesundheit und Pflege.
Er sprach sich dafür aus, den Vertrieb von IGeL in Kassensprechstunden zu verbieten und kostenpflichtige Angebote nur in gesondert ausgewiesenen Sprechstunden zuzulassen.
Hingegen fordert der BVOU eine differenzierte Bewertung von Selbstzahlerleistungen. „Es fällt in der aktuellen Diskussion auf, dass ärztliche Leistungen, sobald sie als Selbstzahlerleistungen angeboten werden, häufig pauschal als kommerziell motivierte Überversorgung oder ‚unseriöse Zusatzleistung’ eingeordnet werden, während dieselbe Behandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung als ‚anerkannte medizinische Therapie’ gilt“, schreibt der Verband.
Einige Therapien, wie zum Beispiel die Stoßwellentherapie (ESWT) bei Plantarfasziitis, seien einst als IGeL gebrandmarkt gewesen, nun aber in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen worden, wird in der Stellungnahme angemerkt.
Und weiter: „Patientinnen und Patienten sollten sich bei der Auswahl ihrer Therapien auf die Leitlinien der wissenschaftlichen Fachgesellschaften und die Empfehlungen der Ärztinnen und Ärzte verlassen, aber nicht auf die Erstattungspraxis der Kassen und die Publikationen des Medizinischen Dienstes – beide genügen wissenschaftlichen Kriterien nicht.“
Der Verband übt anschließend deutliche Kritik: Der IGeL-Monitor gebe sich den Anstrich einer wissenschaftlichen Analyse zu medizinischen Therapien. „In Wahrheit handelt es sich hier um einen Beitrag zum ‚Ärzte-Bashing’“.
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