Ruf nach Maßnahmen zum Schutz psychischer Gesundheit

Berlin – Vermehrte Suizide bei Hitze, Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) infolge von Extremwetterereignissen oder neue Syndrome wie „Eco-Distress“ oder „Solastalgie“. Der Klimawandel gefährde auch die psychische Gesundheit, der psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungsbedarf werde steigen und das Gesundheitssystem müsse sich darauf vorbereiten.
Das erklärten Experten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), die heute mit der „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“ vor die Presse traten.
„Der Klimawandel ist die größte Gesundheitsbedrohung des 21. Jahrhunderts und wir befinden uns in einem kollektiven Zustand der Realitätsverweigerung“, mahnte Eckart von Hirschhausen, Arzt und Gründer der Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“. Man brauche andere Wege der Kommunikation, damit der Klimawandel allen Menschen bewusst werde.
„Der Klimawandel hat gravierende Folgen für die psychische Gesundheit“, erklärte Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
So verursachten Hitzewellen mehr Suizide und Todesfälle unter psychisch erkrankten Menschen, mehr psychiatrische Notfallkontakte und Krankenhauseinweisungen sowie mehr Angsterkrankungen, affektive und organische Störungen.
Darüber hinaus sei eine Verschlechterung von Symptomen insbesondere bei Schizophrenie und Demenz zu beobachten.
„Eine neue Metaanalyse zeigt, dass pro ein Grad Celsius Temperaturanstieg auch das Risiko für psychische Erkrankungen steigt, nämlich um 0,9 Prozent.“, berichtete Heinz, der auch Leiter der DGPPN-Taskforcce „Klima und Psyche“ ist.
Dem Psychiater zufolge sind Menschen, die eine Naturkatastrophe erlebt haben, häufiger psychisch krank. „Das Risiko für eine Neuerkrankung, insbesondere für Posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen verdoppelt sich“, sagte er.
Nach dem Hurrikan Katrina beispielsweise, einer der verheerendsten Naturkatastrophen in den USA im Jahr 2005, zeigten Studien, dass 30 Tage nach dem Sturm jeder zweite Betroffene in New Orleans an einer affektiven Störung litt und jeder Dritte Symptome einer PTBS aufwies.
Besonders vulnerabel waren danach Frauen, psychisch Kranke und Menschen mit schwachen sozialen Netzwerken oder niedrigem sozioökonomischen Status.
Heinz wies auf neue Syndrome hin, die im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe entstanden seien: „Eco-Distress“ bezeichnet emotionale Reaktionen angesichts der Umweltzerstörung der Erde wie Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut, Sorgen, Angst und Panik.
„Solastalgie“ steht für emotionalen Schmerz nach Veränderung der Heimat durch Umweltzerstörung. „Klimaangst“ bezeichnet die Befürchtung, in Zukunft selbst direkt vom Klimawandel betroffen zu sein.
Zu den direkten Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit addieren sich dem Psychiater zufolge die indirekten Folgen: Ökonomische Krisen, Nahrungsmittelunsicherheit, gewaltvolle Konflikte und die Vertreibung von Menschen.
„All dies sowie neue, vollkommen begründete Zukunftsängste sind zusätzliche, massive Belastungs- und Risikofaktoren für die psychische Gesundheit“, sagte er. Die Psychiatrie sehe es als ihre Aufgabe, über diese Zusammenhänge aufzuklären und Menschen in dieser Krise so weit wie möglich psychisch zu stabilisieren.
„Wir müssen schon jetzt überlegen, wie wir die psychiatrische Versorgung nach Naturkatastrophen aufrechterhalten und wie wir auch neu auftretende Syndrome wie Eco-Distress, Klimaangst und Solastalgie behandeln können“, sagte Andreas Meyer Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. Dafür werde ein erweitertes Spektrum psychiatrisch-psychotherapeutischer Angebote und Spezialambulanzen gebraucht.
Zudem müssten die Ressourcen jetzt optimaler genutzt werden, um den Energieverbrauch zu reduzieren. In den Städten sollten Hitzeschutzmaßnahmen und mehr Grünflächen eingeplant werden. Es müsse in Bauten, auch in Krankenhäuser, investiert werden, um sie in Hitzeperioden erträglicher zu machen. Psychisch kranke Menschen sollten darüber hinaus vorrangig ambulant behandelt werden, das sei im Sinne von Nachhaltigkeit besser, betonte der Psychiater.
„Zudem müssen wir natürlich die Psychiatrie selbst klimaneutral machen – und zwar sowohl im Bereich der klinischen Versorgung, der Forschung als auch der Aus-und Weiterbildung der Kolleginnen und Kollegen“, erklärte Meyer-Lindenberg. Die DGPPN strebe die Klimaneutralität bis 2030 an.
„Wir haben mit der ‚Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit‘ drängende Forderungen an die Politik formuliert. Es sind Dinge, die getan werden können und müssen, um die Folgen des Klimawandels für die psychische Gesundheit und insbesondere für Menschen mit psychischen Erkrankungen abzumildern“, betonte Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs „Affektive Erkrankungen“ der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité.
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