Schizophrenie: Biomarker für frühen Lebensstress liefert neuen Therapieansatz
Göttingen – Belastungen in der Kindheit können lebenslang die Hirnaktivität verändern und dadurch möglicherweise die Entwicklung einer Schizophrenie fördern. Ein internationales Forscherteam bringt dies mit epigenetischen Störungen in Verbindung, die in einem Bluttest nachgewiesen werden können und die laut der Publikation in den Proceedings of the National Academy of Sciences (2017; doi: 10.1073/pnas.1613842114) den Einsatz von Medikamenten nahelegen, die derzeit für andere Erkrankungen in der klinischen Entwicklung sind.
Die Ursachen der Schizophrenie, an der etwa ein Prozent der Weltbevölkerung leidet, sind nicht bekannt. Bekannt ist allerdings, dass neben einer erblichen Veranlagung auch bestimmte Umweltfaktoren – etwa traumatische Erlebnisse in frühen Lebensphasen – das Erkrankungsrisiko vergrößern. Dies zeigte sich beispielsweise bei der Befragung von Teilnehmern der „PsyCourse-Kohorte“, einer Untersuchung an fast einhundert von Schizophrenie betroffenen Erwachsenen. Einige Patienten berichteten, dass sie in der frühen Kindheit eine emotionale Vernachlässigung oder andere ungünstige Lebensumstände erfahren hatten.
Prozesse im Gehirn können dauerhaft verändert werden
Ein Team um André Fischer vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Standort Göttingen, vermutet, dass diese frühkindlichen Erlebnisse über sogenannte epigenetische Prozesse die Aktivität von Genen im Gehirn dauerhaft verändern können. Hinweise dafür fanden die Forscher zunächst in den Gehirnen von verstorbenen Patienten. Im präfrontalen Kortex, wo sich die Kommandozentrale des Gehirns befindet, fanden sie einen „Überschuss“ an Histon-Deacetylase 1 (HDAC1).
Dieses Enzym entfernt Acetylgruppen von den Histonen, auf denen die DNA aufgewickelt ist. Die Folge ist eine stärkere Verpackung des Erbguts. Einzelne Gene können lebenslang nicht mehr aktiviert werden. Dies könnte erklären, warum frühkindliche Erlebnisse eine Erkrankung beeinflussen, die sich meistens im frühen Erwachsenenalter zeigt.
Auch bei Mäusen kann die Aktivität von HDAC1 durch frühkindliche Traumata gesteigert werden. Es reicht, wenn die Mäuse kurz nach der Geburt von den Muttertieren getrennt werden. Sie entwickelten dann später Symptome, die in ähnlicher Weise bei einer Schizophrenie auftreten, berichtete Fischer.
Die Forscher konnten bei den Tieren die Entwicklung der Erkrankung verhindern, indem sie sie mit einem HDAC-Inhibitor behandelten. Der Wirkstoff hemmt die HDAC1 und „befreit“ dadurch die Gene aus der allzu festen Verpackung der Histone. Fischer hofft, dass eine ähnliche Behandlung auch bei Patienten mit Schizophrenie funktionieren könnte.
Dies könnte schon bald möglich werden, da einige HDAC-Inhibitoren wie Entinostat als Krebsmedikament klinisch getestet werden. Ein Vertreter Vorinostat ist in den USA bereits zur Behandlung eines besonderen T-Zell-Lymphoms zugelassen. Ein möglicher Wirkstoff könnte auch das Antiepileptikum Valproinsäure sein, dem eine HDAC-hemmende Wirkung zugeschrieben wird. Valproinsäure wurde laut Fischer in der Vergangenheit bereits zur Behandlung von Psychosen eingesetzt (ist aber derzeit kein etablierter Wirkstoff zur Behandlung der Schizophrenie).
Eine Behandlung käme nach Ansicht der Forscher in erster Linie für Patienten infrage, bei denen in einem Bluttest eine erhöhte HDAC1-Konzentration nachgewiesen wurde. Ob es zu diesen klinischen Studien kommt, bleibt abzuwarten. Man müsse sehr vorsichtig sein, wenn man Ergebnisse aus Tierversuchen im Zusammenhang mit menschlichen Krankheiten interpretiert, erklärte der Forscher. Dies gelte besonders für solche komplexen Erkrankungen wie die Schizophrenie. Gleichwohl ist der Forscher zuversichtlich, dass die Epigenetik ein großes Potenzial für neue therapeutische Wege bietet.
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